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Wissenschaft in Bildern: Sande der Welt

Lose Anhäufungen kleiner, durch Verwitterung und Abtragung entstandener Mineralkörner sind eine der häufigsten und zugleich vielfältigsten Erscheinungsformen der unbelebten Natur, die genaues Betrachten lohnen.

Um eine Welt in einem Sandkorn zu sehen
und einen Himmel in einer Wildblume,
halte die Unendlichkeit in der Fläche deiner Hand
und die Ewigkeit in der Dauer einer Stunde. William Blake, "Prophetien der Unschuld"


Wenn Sie am Strand eine Hand voll Sand aufheben und beobachten, wie er durch die Finger rieselt, sehen Sie das Produkt eines Jahrmillionen überspannenden geologischen Formungsprozesses. Viel von dieser teils bewegten Vorgeschichte der Partikel offenbart der Blick durch ein Vergrößerungsglas, wie er auf dieser und den folgenden Seiten für Sande verschiedenen Ursprungs wiedergegeben ist.

Das Rohmaterial stammt meist aus Gebirgsregionen, deren kontinentales Gestein Quarz und Feldspat als Hauptbestandteile enthält. Es wird durch Prozesse wie die Hobelwirkung von Gletschern oder den Sprengdruck von Eis bei wiederholtem Gefrieren und Auftauen zunächst grob mechanisch zerkleinert – zu Felsbrocken und Geröll. Dann kommt zum physikalischen Zerstörungswerk der chemisch-biologische Angriff: Pflanzen treiben ihre Wurzeln in feine Risse und erweitern sie, und saure Chemikalien, die im Regen enthalten sind und von der Vegetation abgesondert werden, zersetzen die Blöcke und lassen sie schließlich zu feinen Körnern zerbröseln. Die Geologen definieren Sand als Gesteinsfragmente mit Durchmessern zwischen etwa 0,05 und 2 Millimetern (die Untergrenze sowie die Unterteilung in feinen Silt, Mittelsand und groben Grit sind nicht einheitlich festgelegt); größere Partikel werden als Kies, kleinere als Schluff klassifiziert.

Vom Regen hangabwärts in ein Bachbett gespült, rollen und hüpfen die Körner an dessen Grund entlang und reichern sich hier in einem Strudelloch oder da im Strömungsschatten eines Felsblocks an. Vielleicht erst nach Jahren gelangen sie in einen größeren Fluß, der sie aus den Bergen herausführt und einen Teil des Sandes schließlich bis zur Küste befördert. Das geschieht jedoch sehr langsam. Ein mittelgroßer Fluß benötigt etwa eine Million Jahre, um seine Sandfracht 150 Kilometer stromabwärts zu bewegen. Währenddessen werden viele Körner durch die unablässige Reibung untereinander und mit dem Untergrund geschliffen und durch im Wasser gelöste Chemikalien auf Hochglanz poliert.

Außerhalb des Wassers verteilt vor allem der Wind den Sand. Überall dort, wo die Vegetation schütter ist, bläst er die Körner vor sich her. Sie kullern und hopsen über den Boden, wobei sie manchmal bis zu einen halben Meter hoch springen. Dadurch nehmen sie ein stumpfes, mattiertes Aussehen an.

Indes sind nicht alle Sandstrände Gemenge aus Bruchstücken von Quarzgestein, die vom Festland heruntergewaschen oder -geblasen wurden. Manchmal dominieren Partikel aus Kalkstein, der sich vor allem im Flachmeer durch chemische Ausfällung, insbesondere durch Sedimentation der Schalen und Skelette mariner Tiere und vielfach unter Beteiligung pflanzlicher Kleinlebewesen wie der Kalkalgen bildet. Wo das Wasser warm und organismenreich ist, können die Uferzonen auch gänzlich oder teilweise aus zerbrochenen Hartteilen der wirbellosen Meeresfauna bestehen. Solche Kreidestrände und ihre Körner sind bei weitem die interessantesten für eine mikroskopische Untersuchung; denn sie bergen einige der zartesten und farbigsten Miniaturkunstwerke der Natur.


Literaturhinweis

- Sand. Ein Archiv der Erdgeschichte. Von Raymond Siever. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1989.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 72
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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