Neglect: Wege aus einer halbierten Welt
Der Polizist Andreas Gambach ist 52 Jahre alt, als er eines Nachts aufwacht und bemerkt, dass sich sein linker Arm und sein linkes Bein merkwürdig pelzig anfühlen. Er versucht aufzustehen, doch die linke Seite seines Körpers gehorcht ihm nicht mehr und er stürzt. Seine Frau, die in einem anderen Zimmer schläft, wird durch die Geräusche wach und findet ihn, wie er auf dem Fußboden sitzt und mit der rechten Hand auf diesen klopft, um sie zu wecken. Ein Rettungswagen bringt ihn in die Klinik, wo Ärzte ein geplatztes Blutgefäß in der rechten Hirnhälfte feststellen und ihn notoperieren.
Seine Frau erinnert sich noch gut an die ersten Wochen und Monate in der Rehabilitationsklinik: "Laufen ging erst mal gar nicht. Mein Mann saß im Rollstuhl, die linke Seite war gelähmt. Und er blickte auch nie nach links. Er ignorierte jeden, der von dieser Richtung auf ihn zukam, aß nur die rechte Hälfte seines Tellers leer und reagierte auf Geräusche von dieser Seite, indem er sich in die entgegengesetzte Richtung drehte. Seinen linken Arm und sein linkes Bein beachtete er gar nicht, die hingen oft in den Speichen des Rollstuhls fest."
Fachleute bezeichnen diese Störung als Neglect (von lateinisch: neglegere = vernachlässigen, ignorieren). Sie tritt häufig nach einem rechtsseitigen Infarkt in den Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Jedes Jahr erleiden rund 270 000 Menschen in der Bundesrepublik einen solchen Infarkt. Ursache ist entweder ein Gefäßverschluss (ischämischer Infarkt), der zu einer Mangelversorgung von Hirnarealen führt, oder eine Einblutung ins Hirngewebe (hämorrhagischer Infarkt) durch ein geplatztes Blutgefäß. 60 bis 70 Prozent der Überlebenden tragen langfristig schwer wiegende Behinderungen davon und sind pflegebedürftig. Eine dieser gravierenden Beeinträchtigungen ist der Neglect, unter dem etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten nach einem rechtshemisphärischen Schlaganfall leiden; das entspricht mehreren tausend Neuerkrankungen in Deutschland pro Jahr ...
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