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Pharmazeutik: Schnipsel-Jagd

Mit Biochips erforschen die Pharmazeuten Krankheitsursachen und prüfen ihre Medikamente. Kurze DNA-Abschnitte auf einem Chip verraten beispielsweise, ob ein Wirkstoff bei einem bestimmten Patienten anschlagen würde.


Gerade acht Jahre auf dem Markt gehören DNA-Chips heute auf den Wunschzettel pharmazeutischer Labors. Analysten des Beratungsunternehmens Frost und Sullivan prophezeien ihren Herstellern Zuwachsraten von 65 Prozent pro Jahr. Wurden vor zwei Jahren auf diesem Markt noch 874 Millionen Dollar umgesetzt, werden es 2004 schon 2,6 Milliarden sein. Die Liste der möglichen Anwendungen ist lang und reicht von der Entwicklung auf den Patienten abgestimmter Medikamente bis hin zur Früherkennung von Erbkrankheiten. So genannte Proteinchips, die nach bestimmten Eiweißen in Gewebeproben forschen, eröffnen der Industrie wie der medizinischen und molekularbiologischen Forschung weitere Möglichkeiten; diese Technik befindet sich allerdings noch in der Entwicklung.

Grundlage der DNA-Chips ist eine wesentliche Eigenschaft der Erbsubstanz, die Komplementarität. Die DNA besteht neben Zuckermolekülen und Phosphatgruppen aus den vier chemischen Bausteinen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin – diese werden gern als Alphabet des Lebens bezeichnet. Die DNA-Bausteine verknüpfen sich zu einer langen Kette. Zwei passende Stränge können darüber hinaus aber auch untereinander eine lockere Bindung über Wasserstoffbrücken eingehen. Allerdings bilden nur Adenin mit Thymin und Cytosin mit Guanin ein Paar. Am besten "paaren sich" zwei Stränge, wenn sie genau komplementär sind, also jedem A ein T und jedem C ein G gegenübersteht.

Dieses Prinzip hat das amerikanische Unternehmen Affymetrix technisch umgesetzt; die meisten Biochips beruhen auf ihrem Verfahren. Viele kleine charakteristische Erbgutschnipsel – als Sonden bezeichnet – werden dazu wie in einem Schachbrettmuster auf einer planen Unterlage fixiert. Spülen die Biologen eine zu untersuchende Probe über dieses "Mikro-Array", dann bleiben DNA-Stücke an zu ihnen komplementären Sonden haften. In weiteren Schritten entstehen dort Molekülkomplexe, die unter Fluoreszenzlicht leuchten – die Bestandteile der Probe lassen sich nun identifizieren (SdW 06/2002, Seite 62).

Das Freiburger Unternehmen Gene-Scan offeriert seit Mai dieses Jahres einen DNA-Chip für die Pharmakogenetik, einen Forschungszweig, der sich mit der individuellen Wirksamkeit und Unverträglichkeit von Arzneimitteln beschäftigt. Oft erzielen Medikamente nicht die gewünschte Wirkung, weil sie von den Enzymen der Leber nicht im richtigen Tempo um- oder abgebaut werden. Erfolgt dieser Vorgang zu schnell, wirkt das Arzneimittel nicht oder nur unzureichend. Bleibt es dagegen zu lange im Gewebe, können toxische Nebenwirkungen auftreten.

Der "Pharm-O-Kin-Chip" von Gene-Scan hilft, individuelle Unterschiede im Stoffwechsel auszumachen. Die meisten Arzneimittel werden nämlich zunächst von zwölf Enzymen der Cytochrom-P450-Familie (CYP) oxidiert, die Abbauprodukte dann von N-Acteyltransferasen für den Abtransport an bestimmte Substanzen gekoppelt. Dass diese Enzyme bei jedem Menschen unterschiedlich schnell arbeiten, beruht auf geringfügigen Veränderungen der Erbsubstanz, oft allein auf dem Austausch einer einzelnen Base durch ein anderes, einer so genannten Punktmutation. Insgesamt 39 solcher individuellen genetischen Unterschiede (fachlich Polymorphismen) auf den Genen für verschiedene CYP-Enzyme und auf denen für die N-Acteyltransferase 2 erkennt der GeneScan-Chip.

Kampf dem Krebs

Ein weiterer Anwendungsschwerpunkt von Biochips liegt in der Krebsforschung. Seit zweieinhalb Jahren sind beispielsweise die Pharmaforscher von Roche Diagnostics im bayerischen Penzberg verschiedenen Krebsarten wie etwa Lungenkrebs mit dieser Technik auf der Spur. In so genannten Genexpressionsstudien vergleichen sie die Aktivität von Genen in gesunden Zellen und Krebszellen, insbesondere nach der Einnahme von Therapeutika.

Von den vielleicht 30000 verschiedenen Genen des Menschen ist stets nur ein kleiner Teil aktiv. Welche es sind, verraten ihre Botenstoffe (mRNA), die zu den Proteinfabriken der Zellen wandern. Auch hier greift die Technik der DNA-Chips: In einem Zwischenschritt erzeugen Enzyme anhand der mRNA eine weitgehend getreue Kopie (cDNA genannt) der originalen Erbsubstanz (lediglich für die Identifikation nicht benötigte Abschnitte fehlen). Die Intensität des Fluoreszenzlichts ist dann ein Maß für die Aktivität des betreffenden Gens. "Diese Biochips versetzen uns in die Lage, zum Beispiel Lungenkrebs besser zu verstehen. Es gibt nämlich kein einheitliches Krankheitsgeschehen. Je genauer man hinschaut, umso mehr Untergruppen lassen sich definieren", erklärt Helmut Burtscher von Roche Diagnostics. Bis diese Forschung zu besseren Medikamenten verhilft, werden nach seiner Ansicht aber noch zwei bis fünf Jahre vergehen.

Auch dem Magengeschwür rücken Biochips zu Leibe. Wissenschaftler schätzen, dass rund zwei Drittel der Weltbevölkerung mit dem Bakterium Heliobacter pylori infiziert sind. H. py-lori soll nicht nur für achtzig bis neunzig Prozent aller Magengeschwüre verantwortlich sein, es steht auch im Verdacht, Magenkrebs zu verursachen. Die Firma MWG Biotech AG aus Ebersberg bei München hat nun einen Biochip entwickelt, dessen DNA-Sonden alle 1877 Gene des Bakteriums erfassen. Damit sollen Diagnostik und Therapie einer Infektion verbessert werden. "Mit diesem Chip kann man sehr gut erforschen, welcher Mechanismen sich dieses Bakterium bedient und wie man sie blockieren kann. Beispielsweise muss es die Magensäure neutralisieren, um sich einzunisten, und wir wollen das verhindern", erklärt Kai Wilkens, Marketing-Manager von MWG Biotech.

Das Unternehmen bietet der Grundlagenforschung auch Biochips mit den Genomen von Maus, Hefe oder Escherichia coli, die in der Forschung als "Modellorganismen" dienen. Auch das vor zwei Jahren entschlüsselte menschliche Erbgut ist bereits Produkt: MWG Biotech hat auf einem DNA-Array die charakteristischen Genschnipsel derjenigen 10000 menschlichen Gene untergebracht, deren Funktion schon exakt bekannt ist. Auf zwei anderen Biochips stehen den Forschern weitere 20000 Gene zur Verfügung.

Das Unternehmen Nanogen aus San Diego (Kalifornien) hat sich auf die Diagnose von Erbkrankheiten spezialisiert. Mit einem neuen Biochip soll etwa die Früherkennung von Mukoviszidose erleichtert werden. Mukoviszidose-Patienten leiden an einer quälenden Verschleimung der Lungen infolge einer Störung der Atmung. Die Krankheit, die auf einen Defekt des Gens CFTR auf Chromosom 7 zurückgeht und unheilbar ist, tritt nur bei Kindern auf, deren Eltern beide diesen Gendefekt tragen. Je früher sie erkannt wird, umso wirksamer lassen sich die auftretenden Symptome mildern.

"Häufig wird die Krankheit bei den jungen Patienten aber zu spät erkannt, weil sie infolge von Punktmutationen unterschiedlich stark ausgeprägt ist", erklärt Kieran Gallahue, der Präsident von Nanogen. Der Mukoviszidose-Chip erkennt über 900 davon. Allerdings stellt sich ein moralisches Problem: Nach einer Diagnose entscheiden sich Eltern möglicherweise für eine Abtreibung, um dem Kind die schwere Krankheit zu ersparen.

The Next Generation: Proteinchips

Nanogen entwickelt zudem einen Biochip für den genetischen Fingerabdruck: Anhand von 13 charakteristischen kurzen DNA-Stücken, den so genannten Short-Tandem-Repeats, und der Häufigkeit, mit der sie sich in der Erbsubstanz wiederholen, kann eine Person identifiziert werden. Das Unternehmen will ein mobiles Gerät auf den Markt bringen, mit dem Polizisten bereits auf Streife den genetischen Fingerabdruck ermitteln und per Funk mit den Werten einer zentralen Datenbank vergleichen können. Dazu muss freilich auch die Probenaufbereitung in einem tragbaren Analysegerät integriert werden; derzeit geschieht das im Fachlabor. Gallahue schätzt, dass diese Technik in wenigen Jahren marktreif ist.

Den Weg zu mehr Automatisierung bei Biochips beschreitet auch die Mannheimer Firma Febit. Deren System Geniom One soll auf einfache Weise einen leeren Chip nach den Wünschen des Anwenders bestücken. "Man klickt einfach mit der Computermaus auf die gewünschten DNA-Sonden", erklärt Markus Beier, "holt sich einen Chip-Rohling aus dem Kühlschrank, setzt ihn in Geniom One ein und startet die Synthese." Auch der Münchner Halbleiterhersteller Infineon ist hier aktiv. Während die meisten Biochips mit Glas als Träger arbeiten, verwendet Infineon Silizium, um gleich die elektronische Auswerteeinheit zu integrieren.

Während DNA-Chips langsam "erwachsen" werden, stecken so genannte Proteinchips noch in den Kinderschuhen. Sie suchen direkt nach bestimmten Aminosäure-Molekülen. Ohne den Umweg über mRNA und cDNA ließe sich damit die Aktivität eines Gens anhand der resultierenden Proteine nachweisen. Dia-gnostik und Erforschung von Infektionen wären einfacher, da es oft bestimmte Eiweißstoffe oder Peptide sind, die eine Krankheit auslösen. Zu den Pionieren gehört das Unternehmen Ciphergen in Fremont (Kalifornien), dessen Chip das Molekulargewicht eines Proteins bestimmen kann. Doch Thomas Laufen von GeneScan dämpft den Optimismus. "Proteine sind nur in ihrer dreidimensionalen Struktur aktiv, bei der Fixierung auf die Chipoberfläche können sie diese aber verlieren. Und es gibt noch keine Möglichkeit, die biologische Aktivität des Proteins direkt auf dem Chip zu untersuchen."

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2002, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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