Schrott im Orbit - Gefahr für die Raumfahrt
Selbst im All hat der Mensch seine Spuren hinterlassen: Ausrangierte Satelliten, Raketenstufen, Kleinteile und Bruchstücke rasen um die Erde. Möglichkeiten zur Beseitigung des Weltraummülls gibt es kaum.
Am 5. Oktober 1957 begann eine neue Ära der Menschheitsgeschichte: Mit dem sowjetischen Sputnik kreiste der erste künstliche Trabant um die Erde. Seitdem wurden mehr als 20000 Tonnen an militärischen, der Forschung dienenden oder kommerziellen Raumflugkörpern in Umlaufbahnen befördert. Doch auch hier gilt: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Zwar sind viele längst in der Atmosphäre verglüht, doch mit Radargeräten und Teleskopen lassen sich noch ungefähr 10000 Objekte erkennen, deren Gesamtmasse rund 4500 Tonnen betragen dürfte. Doch nur 6 Prozent davon sind funktionstüchtig und in Betrieb, der Rest ist Müll. Darüber hinaus dürften etwas mehr als eine Tonne kleinerer Schrotteile auf Bahnhöhen von wenigen hundert bis zu vierzigtausend Kilometern verstreut sein; viele davon sind kleiner als ein Millimeter.
Einst Millionen teuer – nunmehr Schrott
Würden sich diese Mini-Trabanten der Erde wie die Felsbrocken und Eisstücke um Jupiter und Saturn zu Ringen gruppieren, wären sie von ästhetischem Reiz und leicht bei Raumfahrtmissionen einzuplanen. Doch scheinen ihre Bewegungen völlig ungeordnet und zufällig. Im Vakuum des Alls kaum durch Reibung gebremst fliegen sie zudem mit relativen Geschwindigkeiten von durchschnittlich 10 Kilometern pro Sekunde. Ein Satellit, der mit einem zentimeter-großen derartigen Geschoß kollidiert, würde komplett zerstört, und selbst ein Körnchen mit einem Millimeter Durchmesser vermag eine ganze Mission zu beenden.
Wie so manches Abfallproblem auf der Erde, erfordert auch das des extraterrestrischen Mülls eine Strategie des Vermeidens. Dazu klassifiziert man ihn nach seinen Quellen: Den größten Teil der Masse machen ausgediente Satelliten, ausgebrannte Raketenstufen und missionsbedingte Objekte aus (operational debris) sowie Explosionstrümmer (fragmentation debris); schließlich sind noch Erosionsprodukte und der Ausstoß von Aluminiumteilchen aus Feststofftriebwerken zu nennen. Dieses Schema deckt sich auch teilweise mit einer Ordnung in Größenklassen, wie ich im folgenden zeigen werde.
Bis heute wurden 4800 Raumfahrzeuge auf eine Erdumlaufbahn gebracht; davon ist die Hälfte mittlerweile in der Atmosphäre verglüht. Von den Verbliebenen hat man 75 Prozent nach Abschluß ihrer Mission aufgegeben. Die meisten dieser Objekte wiegen von einem Kilogramm bis zu 20 Tonnen (mit Ausnahme der russischen Raumstation Mir, die inzwischen selbst ohne Transportvorrichtungen mehr als 115 Tonnen hat).
Meist bleibt vom Transport ins All mindestens eine leere Raketenstufe im Orbit zurück, beim 1984 gestarteten japanischen Wettersatellit Himawari 3 waren es sogar drei: die erste in einem sogenannten Low-Earth-Orbit (LEO) mit einer variablen Bahnhöhe von 170 bis 535 Kilometern; eine andere in der Nähe seiner operationellen geosynchronen Bahn bei 35785 Kilometern (sie entspricht weitgehend der geostationären Bahn, verläuft aber quer über den Erdball und nicht parallel zum Äquator); und eine auf mittlerer Höhe in einem stark elliptischen Orbit (MEO) zwischen 175 und 36720 Kilometern. Seither sind zwei von ihnen in der Atmosphäre verglüht, nämlich 1984 und 1994. Insgesamt kreisten 1998 noch etwa 1400 Raketenoberstufen um die Erde.
Des weiteren verloren die meisten Missionen eine Unzahl von Kleinteilen wie etwa Sprengbolzen, Spannbänder und Federn beim Trennen von Satellit und Trägerrakete. Eines der größten orbitalen Schrotteile ist wohl mit vier Me-tern Durchmesser und einer Masse von 300 Kilogramm die obere Hälfte der SPELDA (Structure Porteuse pour Lancement Doubles Ariane) der Ariane-Rakete, einem Transportsystem für mehrere Satelliten.
Auch bemannte Raumflüge hinterlassen kurzzeitig Spuren im All. 1965 verlor Edward White, der als erster Amerikaner einen Raumspaziergang machte, dabei einen Handschuh; der kreiste etwa einen Monat lang mit 28000 Kilometern pro Stunde um die Erde – ein recht gefährliches Kleidungsstück. Von der Raumstation Mir entschwebten während der ersten zehn Jahre mehr als 200 Abfallstücke, die meisten davon Müllsäcke. Glücklicherweise halten sich Astronauten und Kosmonauten für gewöhnlich in erdnahen Umlaufbahnen zwischen 250 und 500 Kilometern Höhe auf, so daß alles, was sie dort verlieren, infolge des Luftwiderstandes sehr bald in die Atmosphäre herabfällt und verglüht.
Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei Missionen auf hohen Bahnen, in denen Schrotteile sehr lange kreisen. Mehr als 1000 Objekte sind auf erdfernen Umlaufbahnen bekannt, unter anderem achtzig Klumpen zusammengebackener Nadeln, die 1963 im Rahmen eines Telekommunikationsexperiments des amerikanischen Verteidigungsministeriums freigesetzt wurden. Die grazilen Nadeln, insgesamt 400 Millionen, hätten vom Strahlungsdruck des Sonnenlichts aus ihrer Umlaufbahn entfernt werden sollen, jedoch verhinderte eine Funktionsstörung beim Aussetzen die Verbreitung – seitdem kreisen sie in Bündeln etwa 6000 Kilometer über der Erde.
Explosionen: Quellen zentimetergroßer Stücke
Raketenstufen fast aller Triebwerksarten können irgendwann explodieren, beispielsweise durch Zündung von Treibstoffresten oder durch den Überdruck, der entsteht, wenn Brennstoff verdampft. Einige detonieren schon wenige Stunden nach dem Start, andere mehr als 20 Jahre später. So hinterließ die Explosion der oberen Stufe der 1994 gestarteten Pegasus-Rakete die größte katalogisierte Müllwolke: Mehr als 700 Objekte in Höhen zwischen 250 und 2500 Kilometern verdoppelten auf einen Schlag das offizielle Kollisionsrisiko des nur 25 Kilometer tiefer fliegenden Hubble-Weltraum-teleskops. Genauere Radarbeobachtungen enthüllten weitere auf 300000 Stück geschätzte Bruchstücke größer als vier Millimeter (siehe Bild Seite 84). Die Raumfähre Discovery mußte während ihrer Hubble-Wartungsmission 1997 einem Fragment ausweichen, von dem angenommen werden mußte, daß es sich auf weniger als 1,5 Kilometer nähern würde. Außerdem entdeckten die Astronauten kleine Einschlagskrater an Hubble-Komponenten und ein Loch in einer der Antennen.
Doch nicht nur Raketenstufen explodieren – seit 1961 zerbrachen auch mehr als 150 Satelliten in Tausende von Fragmenten, sei es durch absichtliche Sprengung oder ungewollt, etwa durch Explosion einer Batterie. Einige Zentimeter große Fragmente von Wärmeisolationen oder Kohlenstoff-basierten Komponenten lassen sich beispielsweise mitunter entdecken, da sie Radarsignale gut reflektieren. So setzte der NASA-Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) auf ungeklärte Weise mindestens achtzig derartige Partikel frei.
Ein besonderes Risiko sind die fünfzig mit Kernreaktoren oder Radioisotopenbatterien bestückten Satelliten der ehemaligen Sowjetunion und der USA. So ließ sich 1978 der sowjetische Kosmos 954 nicht mehr kontrollieren, verlor infolge des Luftwiderstandes mehr und mehr an Höhe und stürzte schließlich mit 30 Kilogramm angereichertem Uran an Bord im nördlichen Kanada ab. Die sowjetischen Entwickler sahen deshalb bei folgenden Projekten vor, daß die Reaktoren am Ende ihrer Mission zunächst in eine Bahnhöhe von etwa 1000 Kilometer gebracht werden, und anschließend ihre radioaktiven Brennkerne abstoßen, die dann beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen.
Dieses Raumfahrtprogramm wurde 1988 beendet, und seitdem gelangten keine Nuklearreaktoren mehr auf Erdumlaufbahnen. Während eines von der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA unterstützten Experiments in Pasadena (Südkalifornien) entdeckten Wissenschaftler aber 1989 mit der Goldstone-Radarstation des Jet Propulsion Laboratory (JPL) eine ausgedehnte Wolke flüssiger Natrium-Kalium-Tropfen, einem Reaktorkühlmittel, das bei einer solchen Trennung eines Satelliten von seinen Brennstäben mit ausgetreten war. Weitere Beobachtungen an der Haystack-Radaranlage des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Nähe von Boston (Massachusetts) bestätigten etwa 70000 solcher Kugeln mit mittleren Durchmessern von einem Zentimeter in einer Bahnhöhe von etwa 900 Kilometern – dorthin wurden ausgediente Reaktoren und Brennkerne verfrachtet.
Alterung im All – Verschleiß durch kleinste Partikel
Teilchen kleiner als ein Zehntel Millimeter richten, jedes für sich, bei einem Treffer keinen großen Schaden an, doch ihre schiere Zahl sorgt doch für kleinere Schäden an Raumfahrzeugen und Satelliten. Den größten Anteil an diesen Partikeln haben Verbrennungsprodukte aus Feststofftriebwerken. Selbst bei sachgemäßem Betrieb entstehen neben Schlacketeilen im Zentimeterbereich noch bis zu 1020 Aluminiumoxid-Partikel in Mikrometergröße. Zwar nutzt man diese Antriebe seit etwa zehn Jahren seltener, doch wenn, dann mit immer stärkeren Maschinen, so daß letztlich mehr Verbrennungsprodukte zurückbleiben.
Eine weitere Quelle für solchen künstlichen orbitalen Staub ist die Alterung der Raumflugkörper. Millionen kleiner Lacksplitter verschmutzen beispielsweise den erdnahen Weltraum, die meisten älteren Satelliten dürften von einem regelrechten Schweif begleitet sein, der aber durch Fernüberwachung nicht erfaßbar ist.
In den sechziger und siebziger Jahren spekulierten nur wenige Futuristen über ein orbitales Müllproblem. Zwar suchte die NASA 1966 Kollisionsrisiken für bemannte Raumflüge zu berechnen, dabei wurden jedoch nur die damals erfaßbaren Objekte berücksichtigt. Erste Untersuchungen der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA in den siebziger Jahren betrafen die Gefahren für Satelliten in der geostationären Bahn. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung begann aber erst in den frühen achtziger Jahren.
(So erschien 1988 ein Bericht der ESA zum Thema, der in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Braunschweig erstellt worden war. Ein Jahr später verabschiedete der Rat der Weltraumbehörde eine Resolution, die entsprechende systematische Aktivitäten einleiteten. Die Redaktion)
Größere Schrotttrümmer werden mit jenen Anlagen aufgespürt und beobachtet, welche die Supermächte während des Kalten Krieges zur Frühwarnung vor Raketenangriffen und Beobachtung von Spionagesatelliten aufgebaut hatten. In den Vereinigten Staaten und der ehemaligen Sowjetunion aktualisieren die jeweiligen Netze zur Weltraumüberwachung ständig die Liste aller etwa 10000 Objekte im Orbit. Fünfzig Stationen liefern mit Radar, optischen beziehungsweise elektro-optischen Sensoren im Mittel 150000 Beobachtungen pro Tag. Im erdnahen Bereich erfassen sie Schrotteile ab zehn Zentimeter Durchmesser, auf der geosynchronen Bahn ab einem Meter Größe. Da der größte Anteil dieses Mülls von Satelliten stammt, ist seine Dichte in den Bereichen der Satellitenbahnen am höchsten: Bei 850, 1000 und 1500 Kilometer Höhe hat sie mit etwa einem Objekt pro 100 Millionen Kubikkilometern jeweils ein Maximum; ab 1500 Kilometer Bahnhöhe nimmt die Dichte beständig ab, erreicht nur bei 20000 und bei 36000 Kilometern (dem Bereich semi- beziehungsweise geosynchroner Bahnen) nochmals ein Maximum (siehe Graphik).
Objekte kleiner als zehn Zentimeter sind für die Teleskope dieser Überwachungsnetzwerke zu lichtschwach und für Radarwellenlängen zu klein. Bis 1984 blieben sie darum unentdeckt. Seitdem schätzen Wissenschaftler ihre Menge anhand statistisch verteilter Probebeobachtungen mit einer Gesamtdauer von mehreren hundert Stunden pro Jahr. Dabei verwenden sie Forschungs-Radaranlagen wie die Goldstone-Station oder das riesige Arecibo-Radioteleskop in Puerto Rico. Signale werden von einer Antenne ausgesandt und die an orbitalen Objekten reflektierten Wellen mit einer benachbarten aufgefangen; dieses Verfahren simuliert eine größere Anlage mit entsprechend höherer Auflösung. Damit können noch Partikel von nur zwei Millimetern Größe nachgewiesen werden. Fast ebenso leistungsfähig ist die Haystack-Radaranlage mit ihren Hilfseinrichtungen; sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der NASA und des US-Verteidigungsministeriums. Um die Sensoren für kleinste Schrotteile zu kalibrieren, setzte die amerikanische Raumfähre 1994 und 1995 Kugeln mit Durchmessern von 5, 10 und 15 Zentimetern und Nadeln einer Länge von 4 oder 13 Zentimetern als Zielobjekte aus.
(Europa verfügt über kein eigenes Überwachungssystem und wertet überwiegend amerikanische Daten aus. Immerhin vermag die deutsche Großradaranlage der Forschungsgesellschaft für angewandte Naturwissenschaft in Wachtberg zwei Zentimeter große Objekte zu erkennen, die sich in bis zu 1000 Kilometer Höhe befinden. Im Verbund mit dem 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg lassen sich sogar Neun-Millimeter-Teilchen detektieren. Zudem bereitet die ESA derzeit ein Ein-Meter-Teleskop des Teide-Observatoriums auf Teneriffa zur Beobachtung von Weltraumschrott auf hohen Bahnen vor. Die Redaktion)
Noch kleinere Partikel sind nicht mehr zu beobachten, sondern werden indirekt durch Einschläge in die Oberflächen von Satelliten abgeschätzt, die an Bord von Raumfähren wieder zur Erde gelangen. Von 1984 bis 1990 war die Long Duration Exposure Facility im All, ein eigens für diesen Zweck gebautes Dummy; das Gerät wurde offensichtlich von Zehntausenden künstlicher Splitter, aber auch von Meteoriten getroffen. Weitere experimentelle Zielscheiben waren das europäische Weltraumlabor EURECA (European Retrievable Carrier), Japans Space Flyer Unit, Teile des Hubble-Weltraumteleskops und der Solar Maximum Mission und dann natürlich die Raumfähre selbst. Da ihr Aktionsradius begrenzt ist, beschränkt sich der untersuchte Bereich allerdings auf Höhen von weniger als 620 Kilometern.
Solche Messungen werden durch theoretische Modelle ergänzt; so vermag das Meteoroid and Space Debris Terrestrial Environment Reference der ESA anhand von Meßdaten für große Objekte und Modellierung der bekannten Explosionen die räumliche Verteilung von Schrott und Meteoroiden im erdnahen Raum bis zu einer Größe von einem Zehntel Millimeter zu simulieren.
Auch für Bahnen in größerer Höhe gibt es theoretische Modelle, die Besonderheiten berücksichtigen: Die Verweilzeit auf erdnahen Bahnen ist kurz, denn das Verglühen in der Atmosphäre ist gewissermaßen vorprogrammiert, anders in großen Bahnhöhen. Insgesamt schätzt man die Anzahl der orbitalen Objekte zwischen einem und zehn Zentimetern auf mehr als 100000, die Menge derjenigen zwischen einem Millimeter und einem Zentimeter auf mehrere Zehnmillionen. In diesen Größenbereichen und noch darüber gibt es also weit mehr künstliche als natürliche Teilchen im All. Gleichwertig sind beide Populationen nur für Größenordnungen zwischen 0,01 und 1,0 Millimeter; bei allem, was kleiner ist, überwiegt wieder der Anteil des orbitalen Mülls.
Gefahr erkannt, was nun?
In den beiden vergangenen Jahrzehnten kamen pro Jahr 175 neue Objekte hinzu, mindestens ein Viertel davon durch Satelliten-Trümmer. Die Raumfahrtnationen starten seit 1957 im Durchschnitt 120 neue Flugkörper pro Jahr, allerdings mit abnehmender Tendenz; insbesondere Rußlands Aktivitäten im Low-Orbit sind drastisch zurückgegangen. Die Gesamtzahl der Starts stieg allerdings von 73 im Jahre 1996 wieder auf 86 im Jahr 1997, allein 10 infolge der neuen Kommunikationssysteme Iridium und Orbcom.
Das könnte zu der Annahme verleiten, das Problem des orbitalen Mülls würde sich mit der Zeit von selbst lösen beziehungsweise wenigstens auf einem akzeptablen Niveau stabilisieren. Denn der Luftwiderstand im Low-Earth-Orbit bremst, wie erwähnt, Satelliten, die dann schneller und schneller Richtung Erde fallen und schließlich in dichteren Atmosphärenschichten ganz oder teilweise verglühen.
Dieser sozusagen natürliche Reinigungsprozeß läßt sich bis zu 1500 Kilometern Bahnhöhe feststellen, ist aber unterhalb von 600 Kilometern am deutlichsten ausgeprägt: Ohne Ausgleich des Energieverlustes durch Zünden von Triebwerken würden Satelliten dort bereits nach wenigen Jahren durch Luftreibung zerstört. In Phasen erhöhter Energieabgabe der Sonne, die sich alle 11 Jahre wiederholen, wird die Atmosphäre zudem stärker erwärmt und expandiert: Während des letzten Aktivitätsmaximums 1989/1990 stürzten täglich drei Satelliten ab, innerhalb eines Jahres verschwanden auch mehr als 560 Tonnen Raumfahrtmüll. Die Raumstation Saljut 7, der Vorgänger von Mir, fiel diesem Aktivitätsausbruch zum Opfer und trat Anfang 1991 wieder in die Atmosphäre ein; infolge des Maximums der Sonnenaktivität 1979/1980 traf dieses Schicksal die amerikanische Raumstation Skylab noch vor ihrem geplanten Ende.
Die orbitale Population insgesamt wächst aber trotzdem weiter, besonders im Bereich von 800 bis 1500 Kilometern Höhe. Einer der Gründe ist die geringe atmosphärische Reibung dort. Freilich kann man Satelliten und andere Flugkörper gezielt in die Atmosphäre steuern; mit dem Space Shuttle lassen sich Satelliten auch direkt von ihrer Umlaufbahn entfernen; und mancher Orbit bewegt sich in einer Spirale auf die Erdatmosphäre hin. All dies ist zwar hilfreich, jedoch ohne große Wirkung.
Im Juli 1996 ereignete sich der erste dokumentierte Zusammenstoß zweier Raumflugkörper: Der französische Militärsatellit CERISE wurde vorübergehend außer Funktion gesetzt, als ein Geräteausleger von einem Fragment einer zehn Jahre zuvor explodierten Ariane-Oberstufe getroffen wurde; die Aufprallgeschwindigkeit betrug fast 15 Kilometer pro Sekunde.
Um Kollisionen mit Schrotteilen zu vermeiden, plant man bei Space-Shuttle-Missionen die Fluglage sehr genau. Denn vor allem in der Ebene parallel zum lokalen Horizont und 30 bis 45 Grad links und rechts der Flugrichtung können gefährliche Trümmer auftauchen. Nach Möglichkeit drehen die Astronauten die Raumfähre so, daß die empfindlichsten Außenbereiche davon wegweisen. Um Kollisionen mit größeren Objekten zu vermeiden, muß die Raumfähre gelegentlich ein Ausweichmanöver fliegen, und durchschnittlich eines seiner acht Fenster ist nach jeder Mission auszutauschen, weil es kleine Einschlagkrater superschneller Schrottkörner und Staubteilchen aufweist. (Auch die europäischen Erdbeobachtungssatelliten ERS 1 und ERS 2 bedürfen einer regelmäßigen Kontrolle auf Gefahren, denn sie bewegen sich in fast-polaren Bahnen in ungefähr 780 Kilometer Höhe, also einem Bereich hoher Schrottdichte; zwei Manöver waren bislang erforderlich, um Kollisionen mit anderen Satelliten oder Raketenoberstufen zu vermeiden. Die Redaktion)
Müllteile zwischen einem und 10 Zentimetern Durchmesser sind deshalb besonders gefährlich, weil sie von den Überwachungssystemen nicht erfaßt werden, aber die Wände der Raumflugkörper durchschlagen können. Das US-Verteidigungsministerium beginnt deshalb, sein Überwachungsnetz entsprechend zu verbessern. Allerdings werden diese Systeme nur für die bemannte Raumfahrt zugänglich sein und Satelliten keinen Schutz bieten.
Die gute Nachricht ist: Derzeit laufen die meisten Satelliten während ihrer Betriebsdauer im Orbit kaum Gefahr zu kollidieren. Die schlechte: In Zukunft könnte sich das durchaus ändern, denn theoretisch entstehen bei Zusammenstößen weitere Bruchstücke – es könnte eine regelrechte Kaskade der Zerstörung in Gang kommen. Deshalb haben die Raumfahrt-Nationen das Inter-Agency Space Debris Coordination Committee (IADC) gegründet, gegenwärtig besetzt mit Vertretern aus den Vereinigten Staaten, Rußland, China, Japan, Indien, der Europäischen Raumfahrtbehörde, Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland. Das Komitee soll den Austausch von Forschungsresultaten fördern und kostengünstige, gleichwohl wirksame Maßnahmen ausarbeiten, das weitere Anwachsen des Weltraumschrotts zu verlangsamen. Das nächste Treffen dieser Organisation findet im Oktober diesen Jahres in Darmstadt statt.
Das United Nations Scientific and Technical Committee on the Peaceful Uses of Outer Space widmet sich seit 1994 der Müllproblematik und will bis 1999 eine Lagebeurteilung erstellen. Obgleich mittlerweile jeder die Schwierigkeiten erkannt hat, liegt es noch an den Ausschüssen zu entscheiden, was getan werden soll, wer die Abläufe kontrollieren wird, und wie man am günstigsten einen Mittelweg findet zwischen dem in Kauf nehmbaren Unfallrisiko einerseits, den Kosten für eine Gefahrenminderung – und eventuellen Reinigungsmaßnahmen – andererseits.
Einstweilen versuchen die Raumfahrtorganisationen weniger Abfälle zu verursachen. NASA und NASDA, die größte japanische Weltraumbehörde, verwenden Boltzenfänger und spezielle Halteketten, um weniger missionsbedingten Müll freizusetzen; um Explosionen von Oberstufen zu verhindern läßt man Resttreibstoff ab – seit 1993 bei Ariane-Flügen Routine – und schaltet elektrische Systeme ausrangierter Objekte aus; außerdem wird empfohlen, Satelliten und Raketenstufen im erdnahen Bereich am Ende ihrer Missionen in eine niedrigere Umlaufbahn zu bringen, so daß sie spätestens 25 Jahre nach Beendigung ihrer Aufgaben in der Atmosphäre verglühen (de-orbiting).
Motiviert durch die erwähnte Explosion der Pegasus-Oberstufe von 1996 gestalteten die Techniker der Orbital Sciences Corporation, der Produktions- und Betreiberfirma der Pegasus-Fahrzeuge, eine neue Oberstufe und installierten weitere Sicherheitsmechanismen, bevor die Raumflüge im Dezember 1997 fortgesetzt wurden. Einige der neuen Telekommunikationskonzerne wollen das de-orbiting prinzipiell nach jeder Ausmusterung durchführen. In großen Bahnhöhen ist zwar die Gefahr eines Zusammenstoßes insgesamt geringer, doch ist die geostationäre Bahn schon stark belegt. Außer Betrieb gestellte Satelliten besetzen Plätze, die für neue gebraucht würden. Deshalb ergeht gegenwärtig an alle Betreiber die Bitte, ihre ausrangierten Raumflugkörper auf einem etwa 300 Kilometer höheren "Friedhofsorbit" zu bestatten. Die ESA hat seit 1984 bereits neun Satelliten dorthin verfrachtet. Im Januar 1998 legte die amerikanische Regierung der Raumfahrtindustrie einen Entwurf für Weltraum-Müll-Standards für den Bau und Betrieb von Satelliten zur Diskussion vor.
All diese Maßnahmen helfen allerdings nicht gegen den schon vorhandenen Müll. Weltraumingenieure installieren deshalb mittlerweile Schutzschilde gegen Kollisionen, um die zahlreichen Objekten unter einem Zentimeter Größe abzuwehren. Insbesondere an der Außenseite angebrachte feste Platten lassen sich zum Abschirmen der meisten Bauteile einsetzen. Die bewohnbaren Abteile der internationalen Raumstation ISS werden von hochentwickelten Schilden umgeben sein, genau wie Treibstoffleitungen, Lageregelungssysteme und andere empfindliche Außenteile (siehe Graphik). Bestimmte Komponenten sind allerdings aus praktischen Gründen nicht abschirmbar, so etwa die Sonnenflügel; sie werden mit der Zeit durch kleine Kollisionen verschleißen.
Weltraumschrott jeder Größe und Menge effektiv einzusammeln läßt sich derzeit nicht bewerkstelligen, die Raumfähre ist dafür zu kostspielig und wird überdies bei solchen Missionen selbst gefährdet. Eine potentielle Strategie der NASA und der amerikanischen Ministerien für Verteidigung und für Energie ist das Projekt Orion: Terrestrische Laser sollen kleine Müllteile verdampfen oder durch den Beschuß vom Kurs abbringen und in die Atmosphäre lenken. Ebenfalls noch Spekulation sind riesige Schaumbälle – orbitale Teilchen würden in das weiche Material eindringen, dabei Energie verlieren und in kurzer Zeit zur Erde fallen – und Seilsysteme (die Technische Universität Braunschweig hat ein Raumfahrzeug konzipiert, das Objekte mittels eines mehrere Kilometer langen Seiles auf tiefer gelegene Absturzbahnen schleppt.
Künftige Generationen werden vielleicht mit den Folgen der kurzsichtigen Nachlässigkeit in den Anfangstagen der Raumfahrt fertig werden, uns bleibt leider nur, alles zu tun, um das weitere Anwachsen der orbitalen Population zu verhindern. Falls das nicht gelingt, werden wir uns auf erheblichen Platzmangel im Weltraum einstellen müssen. Die Folgen für die Erdbeobachtung oder auch die Telekommunikation wären kaum absehbar.
Literaturhinweise
Preservation of Near Earth Space for Future Generations. Herausgegeben von J. A. Simpson. Cambridge University Press, 1995.
Orbital Debris: A Technological Assessment. Committee on Space Debris, Aeronautics and Space Engineering Board, National Research Council. National Academy Press, 1995.
Protecting the Space Station from Meteoroids and Orbital Debris. Committee on International Space Station Meteoroid/Orbital Debris Risk Management, Aeronautics and Space Engineering Board, National Research Council. National Academy Press, 1997.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1999, Seite 80
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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