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Schutz vor Agrochemikalien



Um ihre Erträge zu steigern, setzen landwirtschaftliche Betriebe oft Pestizide gegen Schadinsekten und Pilze ein. Sachgemäßen Gebrauch vorausgesetzt, sind die giftigen Stoffe auch bei größeren Mengen für den Anwender ungefährlich. Doch medizinische Untersuchungen an französischen Landarbeitern förderten alarmierende Ergebnisse zutage: Die Lebenserwartung der Bauern liegt deutlich unter dem Durchschnitt der übrigen Bevölkerung. Durch im Körper angereicherte Pestizide häufen sich bei ihnen Krebsgeschwulste an Magen, Lungen und Blase. Um den körperlichen Schutz der Landarbeiter zu verbessern, soll ein System aus Filtern und Sensoren die Traktorkabinen dicht machen.

Die Sprüheinrichtungen für die Pestizide hängen meist außen an den Traktoren. Während der Ausbringung auf das Feld schützt die Traktorkabine den Fahrer vor den Pestiziden. Doch die Filtersysteme der Kabinen sind meist nur dafür ausgelegt, Staub und feine Spreu zurückzuhalten. Tropfenförmige Aerosole oder toxische Pestiziddämpfe können den Filter ungehindert passieren. Wirksame Filtersysteme sind erheblich teurer. Aus Kostengründen werden sie zudem nur selten gewechselt. Gesättigte, also mit Schadstoffen zugesetzte Filter sind kaum mehr in der Lage, ihre Schutzfunktion zu erfüllen.

Im Rahmen des von der Europäischen Union (EU) geförderten Forschungsprojektes Agrasens gelang es einer deutsch-französischen Firmengruppe unter Leitung der Dortmunder ETR GmbH (Elektronik Technologie Rump), ein dichtes Schutzsystem für die Traktorkabine zu entwickeln. Die neuen Filter können die in der Landwirtschaft üblichen Pestizide zurückhalten und verringern somit das gesundheitliche Risiko des Fahrers erheblich. Eine speziell entwickelte Sensoreinheit warnt den Fahrer zudem vor eventuell in die Traktorkabine eindringenden toxischen Dämpfen. Im November 1997 stellte der französische Hersteller Buisard eine Musterkabine für Traktoren mit dieser integrierten Sensor- und Filtereinheit auf der Agrarmesse in Montpellier vor und erhielt die Goldmedaille. Das neue Schutzsystem ist inzwischen auf dem Markt erhältlich.

Als Vorbild dienten innovative Sensorsysteme aus deutschen Automodellen der Mittel- und Oberklasse, wie sie die ETR GmbH seit nunmehr 15 Jahren entwickelt. Dabei spielen Elektronik und Software derart ausgeklügelt zusammen, daß die eingesetzten Sensoren die Qualität der Außenluft intelligent überwachen. Sobald sie in der Frischluft zu hohe Schadstoffpegel messen, wie zum Beispiel im Stau, schaltet die Lüftung des Fahrzeuges automatisch auf Umluftbetrieb. Die Luft wird im Wageninneren so lange umgewälzt, bis sich die Werte außerhalb der Kabine verbessern. Auf diese Weise sind die Insassen vor unangenehmen und gefährlichen Abgasen geschützt.


Ein Traktor braucht mehr Schutz als ein Auto



Für die Anwendung im Traktor erwies sich dieses System als unzureichend, denn die Pestizide gelangen als Aerosole in die Kabine – als feiner Nebel von Tröpfchen mit einigen tausendstel Millimetern im Durchmesser. Kabinensensoren für Autos können solche Aerosole aber nicht direkt erfassen. Sie reagieren nur dann empfindlich auf die Chemikalien, wenn die Tröpfchen bereits verdunstet sind. Dies tritt bei Temperaturen von etwa 25 Grad Celsius ein, also erst, wenn sich die Aerosole in der Kabine und damit in der unmittelbaren Atemluft des Fahrers befinden. Demzufolge galt es, durch geeignete Filter auch die aerosolen Schadstoffe am Eindringen in die Traktorkabine zu hindern.

Um das erforderliche Know-how zu sammeln, schlossen sich zwei französische Firmen und eine Firma aus den neuen Bundesländern dem Agrasens-Projekt an. Buisard ist ein in der Normandie ansässiger Hersteller von Traktorkabinen. SP Defense gehört zum Schutzausrüstungskonzern BACOU und ist auf Filter spezialisiert. Die Firma Umweltsensortechnik (UST) aus dem thüringischen Geschwenda komplettierte das Projektteam.

Der von SP Defense entwickelte Filter basiert auf speziell behandelter Aktivkohle, ähnlich wie in Filtern für Atemschutzmasken. Dabei werden verschiedene Lagen von Aktivkohle unterschiedlicher Körnung übereinander geschichtet. Selbst die feinsten Aerosol-Tröpfchen können diesen dichten Filter nicht mehr passieren. Ihre toxischen Substanzen werden zu 99,9 Prozent an der Oberfläche der Aktivkohle gebunden und in einem Netz winziger Kapillaren eingeschlossen.

Je nach Belastung und Einsatzdauer setzen die Schadstoffe den Aktivkohlefilter zu. Ist er gesättigt, könnten toxische Substanzen in die Kabine eindringen. Da die Landwirte, wie bereits erwähnt, die Filter nicht oft genug wechseln, würde sich das Filtersystem allein als wirkungslos erweisen. Deshalb umfaßt die neue Kabineneinheit für Traktoren auch eine verschließbare Luftzufuhr, die ein externer Sensor steuert. Zusätzlich überprüft ein zweiter Sensor die Innenluft der Kabine auf die geringste Spur gefährlicher Dämpfe. Der neu entwickelte Fühler ist ein aufgeheizter Mischoxid-Sensor, der bei rund 350 Grad Celsius arbeitet. Mit einem speziell entwickelten Verfahren zum Temperaturwechsel erkennt er die Pestizide mit hoher Sicherheit. Die verschiedenen Temperaturen müssen dabei auf 0,1 Grad genau eingehalten werden. Der Innensensor gibt sofort Alarm, wenn der Filter gesättigt ist oder die Kabine undichte Stellen aufweist. Das von ETR entwickelte Sensorsystem kann rund eintausend Chemikalien erfassen. Ein eingebauter Mikroprozessor überwacht die Signale der Sensoren und berechnet ständig die Konzentration der Zielsubstanzen im Bereich von einhundert bis zweihundert Teilchen je Million Luftteilchen (parts per million). Gegenüber störenden Einflüssen ist das System außerordentlich resistent, selbst der Rauch aus der Zigarette des Fahrers löst keinen Alarm aus.

Buisard hat bereits damit begonnen, seine neuen Traktorkabinen mit der Schutzeinheit auszurüsten. Um ältere Fahrzeuge nachzurüsten, bietet der Hersteller einen einfach zu installierenden Bausatz an. Für die deutsche Landwirtschaftsgewerkschaft, die reges Interesse zeigte, laufen umfassende Feldversuche in den Weinbergen an der Mosel. Das internationale Vertriebsnetz von SP Defense vermarktet die neue Technik weltweit.

Als Weiterentwicklung von Agrasens arbeitet ETR zusammen mit SP Defence, der belgischen Firma Engicom und UST an einem miniaturisierten Sensorsystem für Atemschutzmasken. Masksens, so der Name des von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts, soll den Träger bei erschöpftem Maskenfilter oder undichten Stellen warnen. Aggressive, organische Dämpfe oder Kohlenmonoxid werden bei Konzentrationen von weniger als zehn Teilchen pro Million Luftteilchen sicher erkannt.

Neben der Analyse von gefährlichen Substanzen, wie in Agrasens oder Masksens, will die ETR GmbH auch die Luftqualität aktiv verbessern. Um die Reinigungsmechanismen der Natur in der Atmosphäre nachzubilden, wird die Luft ionisiert. Dabei zersetzen sich Keime und Geruchsstoffe, die Luftqualität beispielsweise in Innenräumen verbessert sich. Diese Technologie bietet eine unüberschaubare Vielfalt von Anwendungen, von der Gebäudeklimatisierung über Fahrzeugkabinen, Dunstabzugshauben, Krankenhäuser und Toiletten bis hin zu Wäschetrocknern. Denkbar sind auch Kühlgeräte, die auf diese Weise verhindern, daß der Geruch vom Fisch auf den Käse übergeht.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1999, Seite 955
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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