Schwarze Sonne, roter Mond. Die Jahrhundertfinsternis.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 231 Seiten. Gebunden mit CD-ROM DM 68,–, broschiert ohne CD-ROM DM 29,80.
Rudolf Kippenhahn, einer der großen alten Herren der deutschen Astronomie und langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching, hat schon mehrmals mit populärwissenschaftlichen Büchern große Auflagen erreicht. Dies ist auch dem vorliegenden Bändchen von Herzen zu wünschen, das er zusammen mit dem Wissenschaftsredakteur Wolfram Knapp von der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ geschrieben hat.
Es ist ein sehr schönes, liebevoll geschriebenes, angenehm lesbares und sachkundiges Werk. Es wendet sich in erster Linie an Naturfreunde, an Liebhaber der Astronomie und an alle, die es anläßlich der anstehenden Finsternis in Deutschland werden wollen. Aber auch für gewiefte Astro-Amateure und Berufsastronomen wie mich bietet es allerhand Neues, und vor allem Lesevergnügen.
Wie ist das möglich bei einem populären Sachbuch? Erstens durch die stilistisch und sprachlich lockere, dabei aber didaktisch und sachlich exzellente Darstellung im Detail. Zweitens aber durch den Aufbau des Buchs im Großen. Es beschränkt sich nicht auf die Erklärung astronomischer Sachverhalte und die Beschreibung des bevorstehenden Naturschauspiels, sondern beleuchtet die Kulturgeschichte des Themas Finsternisse mit wohlausgewählten Beispielen und erzählt nette historische und persönliche Anekdoten dazu. Das geht vom Peloponnesischen Krieg über die Tricks des Christoph Kolumbus gegenüber Indianern bis zum ersten Beweis der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Physik und Astronomie der an einer Finsternis beteiligten Himmelskörper Sonne und Mond werden leicht verdaulich, aber keineswegs oberflächlich behandelt. Entstehung und Systematik von Finsternissen werden in aller Ausführlichkeit dargestellt. Ein zentraler Teil des Buchs sind die Ratschläge zum Verhalten während einer Finsternis und die detaillierte, durch einen Kartenteil im Anhang ergänzte Vorausschau auf das, was am 11. August dieses Jahres geschehen wird. Ein ganzes Kapitel ist der Photographie von Finsternissen gewidmet, verbunden mit der Warnung, daß allzuviel technisches Hantieren das Beste einer totalen Sonnenfinsternis verderben kann: die staunende, fassungslose Ergriffenheit.
Ein weiteres Kapitel behandelt Mondfinsternisse. Ein ganzes Kaleidoskop von Randthemen, wie zum Beispiel das Verhalten von Tieren während einer Finsternis, die Abbremsung der Erdrotation durch den Mond (und deren Entdeckung durch eine Sonnenfinsternis!) und Finsternisse auf anderen Planeten runden das Werk ab.
Die beigelegte CD-ROM „Die Sonne – der Stern, von dem wir leben“ (aus der Serie „Bild der Wissenschaft auf CD-ROM“) hat dieselben Themen und Ziele wie das Buch, verwendet jedoch völlig andere Mittel. Bilderserien, Trickfilme, Musikeinspielungen, Texte zum Hören und zum Lesen, Graphiken aller Art – die gesamte Palette der technischen Möglichkeiten wird genutzt. Der sachliche Informationsgehalt geht über den des Buches hinaus. Die Texte sind im allgemeinen gut, aber meist recht knapp, fast im Stil von Lexikonartikeln. Das Ganze ist recht vielseitig und unterhaltsam. Bis man alles gesehen hat, ist etwa ein Tag vorbei, und man hat neben einem (teilweise etwas oberflächlichen) Grundkurs Astronomie einige klassische Musikstücke und Gedichte genossen. Mir persönlich gefällt diese Art der Wissensvermittlung nicht, aber innerhalb ihres Genres ist die CD als gut zu bewerten.
Zu tadeln gibt es an dem Buch nicht viel, an der CD-ROM schon mehr. Es fehlt ein Hinweis, daß die CD eigentlich nur mit Soundkarte verwendbar ist, weil sonst die vielen Trickfilme als unverständlicher Bildersalat vor dem Auge des Betrachters ablaufen. Teile der optischen Demonstrationen sind nicht gut gelungen; so sieht die Milchstraße in einem der Trickfilme aus wie ein Igel-Albino mit etwas Flachem außen herum. Für das Verständnis des Dargestellten ist schädlich, daß zwischen Bildern aus echten und aus hypothetischen Daten nicht unterschieden wird. Die optische Aufmachung der Verweise („Links“) auf Unterseiten und Fortsetzungsseiten ist völlig uneinheitlich. Man findet im allgemeinen nur durch Herumfahren mit der Maus, wo es weitergeht und wozu es noch Unterseiten gibt. Und wozu muß sich der Titelbegriff zu einem Untermenü um 90 Grad drehen, wenn man mit der Maus in seine Nähe kommt? Aber das alles sind Details, die den positiven Gesamteindruck nicht ernstlich trüben.
Ich fürchte ein wenig, daß dieses schöne Buch (mit oder ohne CD) durch sein kleines Format und seine bescheidene Aufmachung (nur 8 Farbseiten bei einem Umfang von 231 Seiten) in der zu erwartenden Flut von großformatig-bunten Hochglanzprodukten zur „Jahrhundertfinsternis“ untergehen könnte. Das hätte es wahrlich nicht verdient.
Es ist übrigens (vermutlich im Gegensatz zu vielem anderem, was auf dem Markt erscheinen wird) nach dem 11. August keineswegs erledigt. Nur 25 Seiten – gerade mal 10 Prozent – beschäftigen sich direkt mit der Finsternis dieses Jahres. Die restlichen 90 Prozent können auch und erst recht nach dem grandiosen Erlebnis viel Bildung vermitteln und Freude bereiten. Die Buchhändler sollten es auf jeden Fall noch länger in ihren Regalen behalten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1999, Seite 112
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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