Historische Psychologie: Von der Seele zur Psyche
Wenn das Gedächtnis selbst etwas verliert, wie es geschieht, wenn wir etwas vergessen und wenn wir dann uns dessen wieder zu erinnern suchen, wo anders als im Gedächtnisse suchen wir alsdann? Und wenn sich uns dort etwas anderes als das Gesuchte darbietet, so weisen wir es zurück, bis wir finden, was wir suchen. Und finden wir es, dann sagen wir: "Da ist es ja"; wir würden es nicht sagen, wenn wir es nicht erkennten, und wir würden es nicht erkennen, wenn wir uns nicht erinnerten. Aber wir hatten es doch vergessen! Oder war es uns etwa nicht ganz entfallen, sondern vielmehr ein Teil im Gedächtnisse zurückgeblieben […]? So geschieht es, wenn wir einen bekannten Menschen vor Augen sehen oder in Gedanken uns vorstellen, uns aber auf seinen Namen, der uns entfallen ist, nicht besinnen können.
Was Kirchenvater Augustinus von Hippo (354-430) in seinen »Bekenntnissen« beschreibt, dürfte jedem vertraut sein, der schon einmal einen Bekannten auf der Straße getroffen hat und sich nicht mehr erinnern konnte, wie er heißt: die Verwunderung darüber, dass uns der richtige Name nicht gleich einfällt – wir aber sicher sagen können, ob die Möglichkeiten, die uns in den Sinn kommen, richtig oder falsch sind. Wir wissen den Namen also noch, können ihn aber nicht aus dem Gedächtnis abrufen. Trotz seines stolzen Alters von rund 1600 Jahren wirkt der Text deshalb aus psychologischer Sicht ziemlich modern ...
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