Signale der Liebe. Die biologischen Gesetze der Partnerschaft
"Obwohl Männer und Frauen nun wirklich nicht zusammenpassen, können sie es einfach nicht lassen..." begann die "Süddeutsche Zeitung" eine ihrer täglichen Kolumnen "Streiflicht" zum Thema Beziehungen. Aber warum?
Das ist die zentrale Frage des vorliegenden Buches. Der Zoologe, Anthropologe und Physiker Karl Grammer, der seit 1992 das Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie in Wien leitet, betrachtet das Werbungs- und das Paarungsverhalten des Menschen aus der Sicht eines evolutionsorientierten Verhaltensforschers, ohne auf Einflüsse übergeordneter Werte wie Moral oder Liebe einzugehen. Außer den Ergebnissen seiner Arbeit von 1978 bis 1991 an der Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft in Andechs unter der Leitung des österreichischen Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat er eine beeindruckende Anzahl experimenteller Studien, Umfragen und statistischer Auswertungen aufgearbeitet sowie viele Theorien von menschlichem Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht aus verschiedenen Kulturen zusammengestellt.
Der Hauptgrund dafür, daß Männer und Frauen längerfristige Bindungen eingehen, ist seiner Theorie nach ihr Interesse, in Zeiten mit knappen wirtschaftlichen Ressourcen ihrem Nachwuchs und auch sich selbst die bestmöglichen Überlebenschancen zu sichern. Hier beginnt einer der grundlegenden Interessenkonflikte, weil Männer und Frauen auf unterschiedliche Weise zu einem für sie optimalen Fortpflanzungserfolg kommen. Am Anfang müssen Männer weitaus weniger in ihren Nachwuchs investieren als Frauen; sie könnten sich theoretisch direkt nach der Kopulation davonmachen und hoffen, daß die Frau das Kind allein aufzieht, weil für sie höhere Anfangsinvestitionen durch die Schwangerschaft, die Mühsal der Geburt und das Stillen auf dem Spiel stehen. Deshalb vertritt Grammer die Hypothese, Frauen erwarteten vor einer endgültigen Bindung an einen Mann von diesem verschiedene Vorleistungen, um sicher zu sein, daß der potentielle Kindsvater sich auch an der weiteren Versorgung und Pflege beteiligt.
Nach Grammers Ansicht kommt es für die Männer darauf an, attraktive und paarungswillige Frauen davon zu überzeugen, daß sie gute Versorger sind. Ihre Strategie besteht hauptsächlich aus Selbstdarstellung. Frauen hingegen, die das höhere Risiko bei der Fortpflanzung tragen, wählen aktiv zwischen den Bewerbern aus. Beider Auswahlkriterien hängen nach Grammer stark vom eigenen Partnermarktwert ab.
Die Männer haben das Problem, daß sie im Gegensatz zu den Frauen nicht sicher wissen können, ob es ihr eigenes Kind ist, um das sie sich kümmern. Deshalb postuliert Grammer für Männer ein ausgeprägtes Überwachungsverhalten und sexuelle Eifersucht; den Frauen spricht er bei der Partnersuche eine abwartende Haltung und längeres Überprüfen verschiedener Bewerber zu.
Wie aber wird die oder der Richtige ausgewählt? Auch hier zeigen sich geschlechstypische Kriterien. Frauen achten mehr auf sozialen Status, während sich Männer ihre Wunschpartnerin eher nach körperlicher Attraktivität aussuchen. Diese wiederum wird bei beiden Geschlechtern unterschiedlich beurteilt: Für einen entsprechenden Test wurden durch computertechnische Überblendungen von 16 weiblichen beziehungsweise männlichen Einzelbildern Prototypen erstellt; die weiblichen Normgesichter wirkten auf Männer attraktiver als die männlichen auf Frauen. Symmetrische weibliche Gesichtszüge werden nach den Erkenntnissen Grammers als schön empfunden, während bei Männern eher ausgeprägte Einzelmerkmale wie ein breites Kinn anziehend wirken (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1990, Seite 24; siehe jedoch Seite 20 dieser Ausgabe).
Anstatt – wie in zahlreichen vorhergehenden Untersuchungen – das menschliche Werbeverhalten, den Flirt, empirisch zu beobachten und zu interpretieren, führte Grammer standardisierte Experimente durch. Unter dem Vorwand, ihnen einen Film zeigen zu wollen, wurden jeweils ein Schüler und eine Schülerin, die einander nicht kannten, einige Zeit allein in einem Raum gelassen und durch eine Einwegscheibe gefilmt. Dann bat man sie, die Attraktivität des Gegenübers und ihr eigenes Interesse an ihm einzuschätzen. Unter anderem ergab sich, daß Frauen die Sprechzeit der Männer durch ihr – nicht-sprachlich mitgeteiltes – Interesse beeinflußten: Je häufiger sie in den ersten drei Minuten nickten, desto eifriger redeten die Männer in der restlichen Zeit. Je höher das Interesse der Männer an den Frauen war, desto häufiger sprachen sie über sich selbst. Dadurch sieht Grammer seine Theorie über aktive Wahl der Frauen und Selbstdarstellung der Männer bestätigt.
Hatten beide dieser zufällig ausgewählten Versuchspartner ein hohes Interesse aneinander, zeigten sie auffallend häufig synchronisierte Bewegungsabläufe. Ähnliche Aktivitätszyklen scheinen soziale Interaktionen einfacher und angenehmer zu machen.
Ein weiterer Hinweis auf die aktive Rolle der Frau ist, daß die Bewegungssynchronisation stärker mit dem Interesse der Frau als dem des Mannes korreliert: Der Mann wird anscheinend von der Frau auf seine Kompatibilität überprüft. Eine Analyse von Paaren, die sich über ein Video-Dating-Unternehmen kennengelernt hatten und längere Beziehungen eingingen, zeigte, wie wichtig diese gleichartige Struktur ist. Sowohl körperliche Attraktivität als auch Alter, Religionszugehörigkeit und sozialer Status sind bei diesen Hochzeitspaaren überdurchschnittlich oft ähnlich. So kommt Grammer zu dem Schluß, daß Männer und Frauen zwar aus unterschiedlichen Motiven heraus ihre Partner wählen, jedoch unter Berücksichtigung ihres eigenen Partnermarktwertes eher Beziehungen mit ähnlichen Partnern eingehen – wobei Menschen mit höherer Attraktivität und sozialem Status die größeren Wahlmöglichkeiten haben. Leben in Großstädten scheint diese Mechanismen der Partnerwahl eher zu unterstützen, weil Menschen ohne den Normierungsdruck von Kleingruppen größere Freiheit haben.
Die Beurteilung der Beziehungen zwischen Mann und Frau ausschließlich im Hinblick auf biologische Faktoren und Verhaltensweisen reduziert den Menschen auf einen einzelnen Bereich seiner Kommunikationsmöglichkeiten. Diesen jedoch stellt Grammer schlüssig, ausführlich und sehr anschaulich dar. Die Planung seiner Experimente ist nachvollziehbar, ebenso die Folgerungen, die er aus deren Ergebnissen zieht.
Inwieweit man sich mit diesem reduzierten Menschenbild anfreunden kann, ist sicherlich eine Frage der persönlichen Weltanschauung. Sprache und Argumentationsweise des Buches sind für Nicht-Verhaltensforscher gewöhnungsbedürftig; aber nachdem ich mich damit vertraut gemacht hatte, war das Buch eine spannende und oft auch amüsante Lektüre.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1994, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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