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Signalverstärkung durch Rauschen

In der Regel stört unvermeidliches Hintergrundrauschen die Informationsübertragung, doch in bestimmten Fällen kann es schwache Signale sogar verstärken. Das kürzlich entdeckte Phänomen der stochastischen Resonanz erhöht die Empfindlichkeit biologischer Sinnesorgane und verspricht bessere physikalische Sensoren.

Daß Geräusche im Hintergrund lästig sind, erlebt jeder, der aus einer öffentlichen Telephonzelle an einer verkehrsreichen Straße anruft oder sich über den schlechten Empfang einer Radiosendung ärgert. Seit jeher sucht man derlei Störungen möglichst zu unterdrücken.

Doch erstaunlicherweise kann Hintergrundrauschen manchmal nützlich sein: Wie man in den vergangenen zehn Jahren entdeckt hat, funktionieren viele Systeme – von elektronischen Schaltungen bis zu tierischen Nervenzellen – sogar besser, wenn ein gewisser Pegel von zufälligem Rauschen herrscht.


Murmeln im Karton

Dieses Phänomen, stochastische Resonanz genannt, läßt sich an einem einfachen Modell erklären: Man stelle sich eine Kugel vor, die in einer von zwei Mulden liegt – wie eine Murmel in einem Eierkarton. Eine rhythmische Kraft (sie entspricht in unserem Modell einem schwachen periodischen Signal) schaukelt nun das ganze System so behutsam hin und her, daß die Kugel normalerweise in ihrer Mulde ein wenig umherrollt, ohne sie zu verlassen. Wenn das Verhalten der Kugel von außen nur beobachtbar ist, sofern sie aus einer Mulde in die andere springt, wird die schwache periodische Kraft verborgen bleiben.

Man würde erwarten, daß das rhythmische Schaukeln erst recht überdeckt wird, wenn man das System durch Rauschen zusätzlich stört – indem man den Eierkarton zum Beispiel auch noch auf und ab schüttelt. Doch mitunter vermag die schwache, periodisch einwirkende Kraft zusammen mit dem Rauschen der Kugel so viel Energie zu verleihen, daß sie die Barriere zwischen den Mulden überwindet.

Auf den ersten Blick scheint die Kugel von nun an zufällig hin und her zu springen. Aber tatsächlich sind die Sprünge nicht völlig regellos. Die Wahrscheinlichkeit eines Muldenwechsels ist nämlich immer dann besonders groß, wenn die schwache Schaukelkraft ihr Maximum erreicht. Deshalb verbirgt sich in der zeitlichen Abfolge der Sprünge Information über die Periode der schwachen Kraft.

Die wesentliche Eigenart dieses Systems – und jedes anderen, in dem stochastische Resonanz auftritt – ist, daß zwischen dem Input (der schwachen, periodischen Kraft) und dem Output (den Sprüngen der Kugel) eine nichtlineare Beziehung herrscht: Wenn der Input unter einen bestimmten Schwellenwert sinkt, gibt es überhaupt keinen Output; hingegen ist die Ausgabe eines linearen Systems immer proportional zur Eingabe.

In nichtlinearen Systemen kann das Zufallsrauschen schwachen Signalen helfen, den Schwellenwert zu überwinden (Bild 1). Dabei kommt es darauf an, den richtigen Rauschpegel zu treffen. Die Verstärkung läßt sich als Anstieg des sogenannten Rauschabstands (des in Dezibel gemessenen Verhältnisses von Signalstärke zu Rauschpegel) angeben. Bei zuwenig Rauschen wird das Signal kaum stärker, aber zuviel Rauschen überdeckt es. Deshalb gibt es einen optimalen Rauschpegel, der den größten Informationsgewinn herbeiführt.

Die Entdeckung, daß Rauschen manchmal nicht stört, sondern nützt, hat neuerdings großes Interesse an der stochastischen Resonanz geweckt – nicht nur in Physik, Technik und Biologie, sondern in fast jedem Forschungsbereich, in dem Rauschen und Schwellenwerte eine Rolle spielen.


Klimaschwankungen und elektrische Schalter

Die Vorstellung, daß ein solches Phänomen überhaupt existiert, hatten 1981 die italienischen Wissenschaftler Roberto Benzi, Alfonso Sutera und Angelo Vulpiani entwickelt, um ein altes Paradoxon der Klimaforschung zu erklären: Obwohl Eiszeiten ziemlich regelmäßig etwa alle 100000 Jahre eintreten, scheinen als Ursache nur zufällige Ereignisse in Frage zu kommen. Zwar vermutete man einen Zusammenhang mit der Exzentrizität der Erdbahn um die Sonne, die mit einer Periode von 100000 Jahren schwankt, doch diese Erdbahnverschiebung allein vermag keine größere Eiszeit auszulösen; viel stärker wirkt sich die jährliche Schwankung der Differenz zwischen einfallender solarer Strahlung und in den Weltraum emittierter Wärme aus – eine Größe, die auch von einer Vielzahl anderer Faktoren abhängt.

Die italienischen Forscher nahmen nun an, die starken Fluktuationen würden als eine Art Rauschen die subtilen Auswirkungen der Bahnänderung verstärken. Wie sie meinten, könnte dieses Zusammenwirken die Regelmäßigkeit der Eiszeiten erklären.

Das Rätsel ist zwar ungelöst geblieben, aber das Konzept der stochastischen Resonanz begann viele Wissenschaftler zu faszinieren. Nur zwei Jahre später wies ein französisches Team um Stephan Fauve das Phänomen bei einem sogenannten Schmitt-Trigger nach; diese elektronische Schaltung hat zwei stabile Zustände, zwischen denen sie wechselt, wenn das Eingangssignal bestimmte Schwellenwerte über- oder unterschreitet. Fauves Team zeigte, daß schwache periodische Signale durch elektronisches Zufallsrauschen im Schaltkreis so verstärkt wurden, daß der Schalter auf sie ansprach.


Verrauschtes Licht

Trotz dieses eindrucksvollen Experiments ruhte das Thema danach fünf Jahre lang, bis Rajarshi Roy, Bruce McNamara, einer von uns (Wiesenfeld) und andere Physiker 1988 am Georgia Institute of Technology in Atlanta stochastische Resonanz in einem Ringlaser entdeckten. In einem solchen System führen Spiegel das Laserlicht längs einer geschlossenen Schleife, wobei es sich entweder im Uhrzeigersinn fortpflanzt oder entgegengesetzt.

Mathematisch gesehen gleicht das System dem Doppelmulden-Modell: Das Licht entspricht der Kugel, die beiden Fortpflanzungsrichtungen den Mulden. Beim Einschalten des Lasers stellt sich zunächst entweder die eine oder die andere Richtung ein, doch während des Betriebs kann sie durch eine zufällige Störung umgekehrt werden.

Bei unserem Experiment verursachten wir solche Störungen mit einem akusto-optischen Modulator, einem Gerät, das stehende Schallwellen in einem Kristall hervorruft. Je nach deren Frequenz, die wir elektronisch steuern konnten, bevorzugt das Licht die eine oder die andere Richtung (Bild 2 oben).

Um ein Signal zu erzeugen, modulierten wir nun die Frequenz der stehenden Wellen periodisch. Dabei sorgten wir dafür, daß dieser Einfluß gerade nicht stark genug war, die Lichtfortpflanzung umzukehren. Dann legten wir über das regelmäßige Signal ein Rauschen, indem wir die Frequenz der stehenden Wellen auch noch zufällig modulierten.

Daraufhin wechselte das Licht mehr oder weniger unvorhersagbar die Richtung, aber doch einigermaßen im Takt des periodischen Signals. Ein Detektor außerhalb des Ringlasers zeigte an, wann das Licht sich gegen den Uhrzeigersinn bewegte, und erzeugte so eine Zeitreihe, die sowohl die regelmäßigen als auch die zufälligen Anteile des Richtungswechsels enthielt.

Wir berechneten nun das sogenannte Leistungsspektrum dieser Zeitreihe (die Output-Leistung in Abhängigkeit von der Frequenz); es lieferte uns ein einfaches Maß für den Informationsgehalt des Richtungswechsels im Verhältnis zum Rauschen. Im Diagramm erschien der regelmäßige Anteil als scharfes Maximum bei der Frequenz des Signals, während das zufällige Rauschen sich als breites Band über alle Frequenzen erstreckte (Bild 2 unten rechts).

Der Rauschabstand ist dabei einfach die Höhe des scharfen Maximums relativ zu der des Hintergrunds; wie sich zeigte, war dieses Verhältnis dann am größten, wenn das hinzugefügte Rauschen eine bestimmte Intensität erreichte. Damit hatten wir stochastische Resonanz nachgewiesen: In einem gewissen Bereich wirkte mehr Rauschen tatsächlich nicht störend, sondern sorgte sogar für regelmäßigeren Richtungswechsel (Bild 2 unten links).

Diese Erkenntnis löste äußerst vielfältige Forschungsaktivitäten aus; innerhalb weniger Jahre wies man stochastische Resonanz nicht nur in elektronischen Schaltkreisen und Lasern nach, sondern auch in supraleitenden Quanteninterferenzdetektoren (SQUIDs; siehe Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1994, Seite 58) und vielen anderen physikalischen Systemen. Vor kurzer Zeit hat man sogar begonnen, das Phänomen in der Sinnesphysiologie und der Wahrnehmungsforschung aufzuspüren.


Nützliches Rauschen in Neuronen

Auch einer von uns (Moss) untersucht mit anderen Forschern an der Universität von Missouri in Saint Louis, wo stochastische Resonanz in lebenden Organismen mitspielt. Schließlich ist es die wichtigste Aufgabe der Sinnesorgane, in einer von starkem Rauschen geprägten Umwelt aus schwachen Signalen Information zu gewinnen.

Zunächst haben wir ein recht überschaubares System gewählt: die Mechanorezeptorzellen am Schwanz des Flußkrebses Procambarus clarkii. Diese Zellen enden jeweils in feinen, höchstens ein zehntel Millimeter langen Härchen und sind darauf spezialisiert, die schwachen (oft periodischen) Wasserbewegungen festzustellen, die etwa die Schwanzflosse eines nahenden Raubfisches erzeugt.

Die Haarzellen bilden offenbar ein wirksames Frühwarnsystem: Der Flußkrebs ist eines der evolutionsbiologisch ältesten und erfolgreichsten Tiere; außerdem sind ähnliche Wasserbewegungsdetektoren auch bei Krabben, Hummern und vielen anderen Krustentieren verbreitet.

Die Haarzelle funktioniert ganz einfach. Wird das Haar bewegt, so erzeugt es einen Nervenimpuls von etwa 0,1 Volt Stärke und 200 Millionstelsekunden Dauer, den eine Nervenfaser bis zu einem Nervenknoten in der Wurzel des Schwanzfächers übermittelt. Dieses Endganglion – es umfaßt etwa 200 Zellkörper von Neuronen sowie Zwischenneuronen zur Informationsverarbeitung – ist das letzte Glied einer Reihe, die sich bis zum Gehirn des Tieres erstreckt. Das Endganglion sammelt alle von den Haarzellen eingehenden Informationen und trifft grundsätzliche Entscheidungen; es kann zum Beispiel die Fluchtreaktion des Tieres auslösen.

Aus mehreren Gründen sahen wir in diesem einfachen System ein geeignetes Studienobjekt. Nach seiner Neuroanatomie zu schließen hat der Sinnesapparat offenbar nur die Aufgabe, die durch Haarbewegung erzeugten Nervenimpulse zum Endganglion weiterzuleiten; demnach sind andere und kompliziertere Nervensignale nicht zu erwarten. Außerdem sprechen bisher alle Indizien dafür, daß die Sinnesnervenzellen praktisch wie nichtlineare Detektoren arbeiten: Sehr schwache Bewegungen der Haare erzeugen unterhalb eines gewissen Schwellenwerts gar keine Impulse.

Für unsere Versuche präparierten wir einem Flußkrebs ein Schwanzstück mit zahlreichen Haarzellen, dem zugehörigen Nervenstrang und dem Endganglion heraus und befestigten es an einem Stab, der sich in einem mit Salzlösung gefüllten Tank bewegen ließ. Mit einer Elektrode im Nervenstrang kontaktierten wir dann die Faser eines einzelnen sensorischen Neurons. Vorsichtig reizten wir Haar um Haar, um herauszufinden, welches dieses spezielle Neuron aktivierte.

Ein elektromechanischer Energiewandler bewegte das Präparat in der Lösung hin und her. Bei regelmäßigem Wedeln maßen wir am Neuron ein scheinbar zufälliges Muster von Signalspikes. Aber als wir diese in reguläre Rechteckimpulse umwandelten, glich deren Leistungsspektrum dem beim Ringlaser-Experiment gemessenen: Auf einem breiten Rauschhintergrund erschien ein scharfes Maximum, welches das periodische Signal wiedergab. Aus dem Leistungsspektrum ermittelten wir den Rauschabstand und entdeckten, daß Flußkrebshaarzellen erstaunlich empfindlich sind; die meisten sprachen noch auf periodische Bewegungen des Stabs von nur zehn Nanometern (millionstel Millimetern) Amplitude an.

Im nächsten Versuchsabschnitt reduzierten wir den Ausschlag des Stabes, bis die Bewegung fast nicht mehr zu erkennen war; sie erzeugte nur noch ein schwaches periodisches Signal, von dem wir hofften, es gliche dem, was ein Flußkrebs beim Herannahen eines Räubers spürt. Dann legten wir völlig zufälliges Rauschen über das Steuersignal für die Stabbewegung, das heißt, wir fügten der regelmäßigen Bewegung eine unregelmäßige Fluktuation hinzu. Damit wollten wir die von Rauschen erfüllte Umwelt von Flußkrebsen nachahmen, die sich normalerweise unter Steinen in schnell fließendem Wasser aufhalten. Während wir die Amplitude des Rauschens in kleinen Schritten erhöhten, maßen wir jedesmal die Nervenimpulse und berechneten ihr Leistungsspektrum (Bild 3).

Die Ergebnisse dieses biologischen Experiments stimmten im großen und ganzen mit theoretischen Vorhersagen sowie mit elektronischen Simulationen eines Schwellenwertdetektors überein – bis auf ein paar Unterschiede. So war theoretisch eine schnellere Abnahme des Rauschabstands bei hohen Störpegeln zu erwarten als beobachtet. Erst jetzt verstehen wir den Grund: Bei wirklichen Neuronen tritt nach jedem Feuern eine sogenannte Refraktärzeit ein, während der sie sich nicht aktivieren lassen. Darum nimmt mit wachsendem Rauschpegel zwar die Häufigkeit des zufälligen Feuerns zu, aber zugleich auch die der Refraktärzeiten – und diese blockieren einige Aktivierungen, die das Zufallsrauschen sonst ausgelöst hätte. Insgesamt erhöht sich dadurch der Rauschabstand.

Außerdem lagen die Flußkrebs-Spektren bei kleinen Rauschpegeln sowohl über dem theoretisch vorhergesagten Niveau als auch über dem der elektronischen Simulationen. Dies schrieben wir dem unvermeidlichen Eigenrauschen der Sinnesneuronen zu, das durch die biochemische und elektrische Aktivität in der Zelle entsteht.

Tatsächlich überdeckt starkes internes Rauschen die Wirkung des zusätzlichen externen Rauschens und verhindert so stochastische Resonanz: Wir untersuchten zahlreiche Sinnesnervenzellen von vielen Flußkrebsen, und die meisten zeigten bei externem Rauschen Signalverstärkung; doch bei den Ausnahmen ließ sich in separaten Messungen starkes internes Rauschen nachweisen. Vorläufig bleibt die interessante Frage offen, ob das auf den ersten Blick unerwünschte, aber keineswegs seltene Eigenrauschen im Sinnessystem vielleicht seinerseits einen Zweck erfüllt.


Quantenrauschen

Obwohl die neuesten Fortschritte bei der Erforschung der stochastischen Resonanz an Lebewesen erzielt worden sind, beschäftigen sich Physiker weiterhin mit dem Thema – insbesondere damit, ob das Phänomen auch bei Quanteneffekten auftritt. Dafür sprechen neue theoretische Arbeiten von Susan N. Coppersmith und Ritva Löfstedt von den AT&T-Bell-Laboratorien in Murray Hill (New Jersey).

Als Modell eines einfachen Quantensystems eignen sich wieder zwei eng benachbarte Mulden. Jetzt entsprechen sie zum Beispiel zwei stabilen Positionen einer Verunreinigung oder eines Gitterdefekts in einem Metalldraht, der dünner als ein tausendstel Millimeter ist. Aus zufälligen Hintergrundschwingungen des atomaren Gitters gewinnt die Fehlstelle manchmal genug Energie, um die trennende Barriere zu überwinden und von einer Position zur anderen zu wandern. Soweit gleicht die Situation einer makroskopischen Doppelmulde. Das Neue ist, daß zusätzlich ein rein quantenmechanischer Effekt möglich ist: Die Fehlstelle kann die Barriere durchtunneln, statt sie zu übersteigen.

Der quantenmechanische Tunneleffekt läßt sich nur beobachten, wenn die Temperatur des Systems extrem niedrig ist, das heißt nahe dem absoluten Nullpunkt. In diesem Falle verursacht schon das Tunneln allein zufällige Positionswechsel. Man kann nun das quantenmechanische System von außen einem periodischen Signal aussetzen, das die für den Muldenwechsel erforderliche Energie vergrößert oder verringert – etwa indem man durch Anlegen eines elektromagnetischen Feldes die Potentialbarriere zwischen den beiden Mulden verändert.

Überraschenderweise sagt die Theorie voraus, daß unter diesen Umständen stochastische Resonanz nur dann auftritt, wenn das zugrundeliegende Potential asymmetrisch ist. Das heißt, eine Mulde muß tiefer sein als die andere und somit die eine Position der fiktiven Fehlstelle etwas stabiler. In klassischen Systemen gilt das Gegenteil: Asymmetrie verringert den Effekt.


Anwendungen in Technik und Medizin?

Abgesehen von diesen kleinen Unterschieden ist es erstaunlich, daß ein derart simpler stochastischer Prozeß in so unterschiedlichen Bereichen wie Lasertechnik, Sinnesphysiologie und Quantenmechanik auftaucht. Auf vielen Gebieten zeichnen sich schon praktische Anwendungen ab.

Einige Forscher versuchen beispielsweise, mittels stochastischer Resonanz SQUIDs so zu optimieren, daß sie schwache periodische Magnetfelder vor einem Rauschhintergrund besser entdecken. Leon O. Chua und Vadim S. Anischtschenko von der Universität von Kalifornien in Berkeley haben das Phänomen zudem im sogenannten Chua-Stromkreis – einem elektronischen Schaltkreis mit chaotischem Verhalten – nachgewiesen.

Stochastische Resonanz hat überdies Bedeutung für die Medizin, in der die meisten physiologischen Funktionen Schwellenwerte und zufällige Schwankungen aufweisen. Typisch für viele Erkrankungen des Nervensystems sind erhöhte sensorische Schwellenwerte, wodurch die zugehörigen Neuronen seltener feuern; zum Beispiel fällt es älteren Menschen oft schwer, beim Gehen das Gleichgewicht zu halten, weil sich die Schwellenwerte für das Feuern der sogenannten Propriorezeptoren – der Neuronen, die Winkel, Geschwindigkeit und Lage bewegter Gliedmaßen melden – erhöht haben.

Würde man den unterhalb des Schwellenwerts liegenden Nervensignalen ein wenig Zufallsrauschen hinzufügen, könnte dies die Signalamplitude und somit die Häufigkeit erhöhen, mit der die Propriorezeptoren feuern. Vielleicht ließe sich auf diese Weise durch neuronales Rauschen die Beweglichkeit und Balance eines Patienten verbessern.

Für mehrere medizinische Probleme solcher Art sind bald Lösungsansätze zu erwarten. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die Ergebnisse der Grundlagenforschung zur stochastischen Resonanz sich auch in der technischen Anwendung als nützlich erweisen dürften.

Literaturhinweise


– Brownsche Motoren. Von Roland Bartussek und Peter Hänggi in: Physikalische Blätter, Band 51, Heft 6, Seiten 506 bis 507, Juni 1995.

– Stochastic Resonance and the Benefits of Noise: From Ice Age to Crayfish and SQUIDs. Von Kurt Wiesenfeld und Frank Moss in: Nature, Band 373, Seiten 33 bis 36, 5. Januar 1995.

– Staggering through the Ice Ages: What Made the Planets Careen bet-ween Climate Extremes? Von Richard Monastersky in: Science News, Band 146, Heft 5, Seiten 74 bis 76, 30. Juli 1994.

– Bringing More Order out of Noisiness. Von John Maddox in: Nature, Band 369, Seite 271, 26. Mai 1994.

– Noise Enhancement of the Information Transfer in Crayfish Mechanoreceptors by Stochastic Resonance. Von J. Douglass, L. Wilkens, E. Pantazelou und F. Moss in: Nature, Band 365, Seiten 337 bis 340, 23. September 1993.

– Noisy Messages for Crayfish. Von Ivers Peterson in: Science News, Band 144, Heft 17, Seite 271, 23. Oktober 1993.

– Stochastische Resonanz. Von Peter Jung und Peter Hänggi in: Physikalische Blätter, Band 47, Heft 11, Seiten 1005 bis 1007, November 1991.

– The Signal Value of Noise: Adding the Right Kind Can Amplify a Weak Signal. Von Ivers Peterson in: Science News, Band 139, Heft 8, Seite 127, 23. Februar 1991.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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