Silicium-Germanium-Kristalle aus der schwebenden Schmelze
Das Floating-Zone-Verfahren zur Züchtung von Halbleiterkristallen, bei dem die Schmelze in einem Hochfrequenzfeld frei schwebend gehalten wird, bietet viele interessante Optionen. So ermöglicht es das reproduzierbare Wachstum homogener Silicium-Germanium-Kristalle von beachtlicher Größe, die insbesondere in der Leistungselektronik benötigt werden.
Die in der Elektronik verwendeten Silicium-Kristalle werden größtenteils nach einem Verfahren gezüchtet, das der polnische Wissenschaftler Jan Czochralski bereits 1918 entwickelt hat. Dabei taucht man in das in einem Tiegel aufgeschmolzene Metall einen Impfkristall und zieht ihn so langsam aus der Schmelze, daß kontinuierlich weiteres Silicium an den wachsenden Stab ankristallisiert.
Das alternative Floating-Zone-Verfahren hat mit einem Mengenanteil von ungefähr 15 Prozent an der Produktion von Silicium-Einkristallen dagegen stets eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Bedeutung erlangte es vor allem für die Züchtung sehr reiner, kompakter Kristalle mit großen Volumina. Solche Volumenkristalle werden in der Leistungselektronik gebraucht, wo Spannungen bis 1200 Volt und Stromstärken bis 1000 Ampère zu schalten sind – beispielsweise für Gleichrichter in Elektrolokomotiven oder für die Stromeinspeisung in Überlandleitungen. Ein anderes Anwendungsgebiet sind Hochspannungstransistoren, ohne die kein Fernsehgerät funktionieren würde.
Beim Floating-Zone-Verfahren werden in einer zylindrischen Kammer aus Edelstahl, die vertikal justiert und mit Argon gefüllt ist, oben ein polykristalliner Roh- oder Vorratsstab und unten ein Impfkristall in Halterungen eingespannt, so daß sie wie Stalaktit und Stalagmit einander gegenüberstehen. Ein Hochfrequenz-Induktor in Form eines geschlitzten Tellers mit einem Loch in der Mitte heizt den Vorratsstab an der Spitze elektrisch auf. Bei etwa 1420 Grad Celsius schmilzt das Silicium, und man kann dafür sorgen, daß sich eine Brücke aus geschmolzenem Material zwischen Vorratsstab und Keim bildet (Bild 1). Über diese Schmelzzone, die nur durch die große Oberflächenspannung des Siliciums und die elektrodynamischen Kräfte des Hochfrequenzfeldes gehalten und stabilisiert wird, läßt sich nach und nach Material vom Vorratsstab zum Keim transportieren, wo es sich an dessen Kristallgitter anlagert. Verunreinigungen im Ausgangsmaterial bleiben großenteils in der Schmelze, in der sie besser löslich sind als im Festkörper.
Das Floating-Zone- hat gegenüber dem Czochralski-Verfahren einige Vorteile. So entfällt der Tiegel als potentielle Verunreinigungsquelle. Zudem wird nur eine schmale Zone aufgeheizt, was den Energieverbrauch senkt. Es fallen auch weniger Nebenkosten an, eben weil kein Tiegel und keine in der Hitze verschleißenden Halterungen erforderlich sind.
In Homogenität, Reinheit und Strukturierung sind nach dem Floating-Zone-Verfahren gezüchtete Einkristalle unübertroffen. Man kann beispielsweise Reinstsilicium mit Werten des spezifischen Widerstands von mehreren tausend Ohm mal Zentimeter herstellen.
Für Bauelemente der Mikroelektronik ist dies jedoch wiederum zu perfekt. Das Silicium muß eine gewisse Konzentration an Sauerstoff enthalten, welcher die während der Produktionsprozesse unvermeidlichen Verunreinigungen bindet – vor allem Schwermetalle. In letzter Zeit gibt es erfolgversprechende Bemühungen, Floating-Zone-Kristalle während der Züchtung mit Sauerstoff zu dotieren. Das resultierende Material ist auch für mikroelektronische Bauelemente geeignet und könnte wegen seiner ansonsten hohen Reinheit und gewisser Preisvorteile durchaus mit Czochralski-Silicium konkurrieren. Sein entscheidender Mangel ist momentan noch, daß nur Kristalldurchmesser von rund 15 statt 20 Zentimetern erreichbar sind.
Bipolartransistoren
Interessante Möglichkeiten eröffnet dem Floating-Zone-Verfahren aber auch die intensive Suche der Industrie nach Halbleitersystemen aus zwei Komponenten für neuartige Solarzellen sowie für sehr schnelle und zuverlässige Bauelemente. Wie man seit Ende der fünfziger Jahre weiß, zeichnen sich entsprechende Transistoren durch hohe Beweglichkeit der Elektronen und damit kurze Schaltzeiten aus. Als besonders günstig erwies sich die Kombination Silicium-Germanium. Ab 1989 entwickelte die Firma IBM einen Bipolartransistor, dessen Basiszone etwa 4 Prozent Germanium enthielt. Dadurch ließ sich die Schaltgeschwindigkeit verdoppeln und schließlich noch weiter steigern, während die erforderliche Strommenge drastisch zurückging (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1993, Seite 21, und Mai 1994, Seite 80)
Ein Nachteil dabei ist jedoch, daß die benötigten Silicium-Germanium-Legierungen nur in sehr dünnen Schichten abgeschieden werden können. Volumenkristalle mit hohen Germanium-Anteilen zu züchten gelang bisher lediglich in Ausnahmefällen: Entweder ließen sich die Ergebnisse nicht reproduzieren, oder die Kristalle waren derart klein und mit so geringen Ziehgeschwindigkeiten hergestellt, daß kaum Chancen zur technischen Umsetzung bestanden.
Nachdem entsprechende Bemühungen schon fast aufgegeben worden waren, ist am Institut für Kristallzüchtung (IKZ) in Berlin-Adlershof kürzlich ein Durchbruch gelungen. Seit 1994 züchten dort die Kristallographen Jürgen Wollweber und Detlev Schulz auf Floating-Zone-Anlagen (Eigenentwicklungen aus der DDR, an denen das Institut wesentlich beteiligt war) homogene Silicium-Germanium-Kristalle mit einem Durchmesser von 36 Millimetern und einem Germanium-Anteil von etwa 26 Atomprozent. Die Ziehgeschwindigkeit beträgt je nach Germanium-Gehalt ungefähr einen halben Millimeter pro Minute.
Grundsätzlich erfüllen Silicium und Germanium zwar alle Bedingungen für die Herstellung von Binärkristallen: Sie sind sich chemisch ähnlich sowie im flüssigen und festen Zustand vollständig mischbar, kristallisieren im gleichen Gittertyp und haben genügend nahe beieinanderliegende Gitterkonstanten. Doch hat die Züchtung von Silicium-Germanium-Einkristallen nach dem Floating-Zone-Verfahren einige Tücken. So erwies es sich bereits als ausgesprochen schwierig, die benötigten Ausgangsstäbe anzufertigen, weil Silicium-Germanium-Schmelzen eine ausgeprägte Tendenz zur Segregation beim Erstarren haben. Ein wesentlicher Grund dafür sind die weit auseinanderliegenden Schmelzpunkte der beiden Elemente (Silicium 1420, Germanium 936 Grad Celsius). Deshalb entschieden sich die Wissenschaftler am IKZ dafür, das Germanium mechanisch mittels Bohrungen in den (polykristallinen) Siliciumstab einzubringen. Die beiden Komponenten vermischen sich so erst beim Aufschmelzen miteinander.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß am Erstarrungspunkt die Zusammensetzung der Schmelze im Zustandsdiagramm des Systems (Bild 2) der Liquiduslinie (nach lateinisch liquidus = flüssig), die der Kristalle dagegen der Soliduslinie (lateinisch solidus = fest) folgt: Kühlt die Schmelze zum Beispiel bis zu einem Punkt A ab, entstehen Kristalle einer Zusammensetzung, die dem Punkt B entspricht; bei weiterem Abkühlen auf C stellt sich das Germanium-Silicium-Verhältnis unter Punkt D ein. Dadurch entstehen sogenannte Zonen- oder Gradientenkristalle mit variierenden Gehalten an Germanium.
Die Versuche, von Silicium-Germanium-Legierungen Volumenkristalle zu züchten, waren früher auch deshalb nicht recht vorangekommen, weil sich bei diesem Material besonders leicht in der Schmelzschicht vor der eigentlichen Abscheidungszone unerwünschte Keime bilden; selbst die Vorstufen dieser konstitutionellen Unterkühlung beeinträchtigen die Perfektion des Kristalls. Vermeiden kann man das störende Phänomen durch eine langsamere Kristallisationsgeschwindigkeit, eine bessere Durchmischung der Schmelze und noch steile-re Temperaturgradienten an der Wachstumszone. Mit solchen Mitteln haben die Adlershofer Wissenschaftler das Problem inzwischen weitgehend gelöst.
Programmierte Induktoren
Der Temperaturgradient wird wesentlich von den Eigenschaften des Induktors beeinflußt. Seine Konstruktion sowie seine relative Stellung zum Ausgangsstab und zum Kristall bestimmen die Temperaturverhältnisse an der Wachstumsfront. Außerdem beeinflussen sie die Konvektionsströme in der Schmelze, über die bis heute wenig bekannt ist. Ebenso hängt es entscheidend von der Form des Induktors ab, wie homogen Legierungskomponenten und Dotanden eingebaut werden.
Die Betreiber von Floating-Zone-Anlagen entwerfen die Hochfrequenzspulen auch heute noch mehr oder weniger empirisch. Die Eignung eines Induktors, dessen Fertigung allein 2000 bis 3000 Mark kostet, am Erfolg oder Mißerfolg des Kristallwachstums zu überprüfen ist allerdings eine recht aufwendige Methode. Um die Zuverlässigkeit der Floating-Zone-Verfahren zu erhöhen und insbesondere bei Kristallen mit großem Durchmesser die Homogenität der Dotierung in radialer Richtung zu verbessern, hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Helge Riemann im IKZ gemeinsam mit der Firma Wacker Chemitronic ein mathematisches Modell der Induktorgeometrie entwickelt. Über die Berechnung der Ringströme in der Spule und in der Schmelzzone können so das Temperaturfeld und die Wärmeflüsse bestimmt werden.
Damit lassen sich jetzt erstmals Induktoren rechnerisch konzipieren. So konnten bereits Hochfrequenzspulen entwickelt werden, die das Floating-Zone-Verfahren stabiler gestalten. Ziel ist, den gesamten Züchtungsvorgang gemäß den jeweiligen Kundenwünschen im Computer durchzuspielen und geschlossene Technologien anzubieten.
Eine kritische Größe ist insbesondere der Induktorspalt, das heißt der Zwischenraum zwischen Stromzu- und -abführung. Die von ihm bedingte Asymmetrie im Strom- und Temperaturfeld bewirkt, daß mit jeder Umdrehung des Stabs Kristallbereiche neu aufgeschmolzen werden und wieder erstarren. Die Folge sind sogenannte Rotations-Striations (nach englisch: striation, Streifenbildung): spiralförmige Variationen von Fremdstoffkonzentrationen im Kristall, die den radialen Widerstandsverlauf wiedergeben. Striations bilden sich auch in Czochralski-Kristallen, dort jedoch nicht so ausgeprägt.
Um solche Inhomogenitäten zu unterdrücken, kann man versuchen, den Spalt möglichst schmal zu machen. Dem sind freilich Grenzen gesetzt, weil aus noch nicht ganz geklärten Gründen bei zu schmalem Spalt der Abschmelzvorgang ungleichmäßig wird. Eine weitere Gegenmaßnahme ist, die Konvektionsströmungen in der Schmelze so zu lenken, daß sich das Material an der Kristallisationsfront besser durchmischt. Entsprechende Berechnungen der Strömungsmuster wurden im Institut für Elektrowärme in Hannover durchgeführt.
Über die Lenkung der Konvektionsströmungen läßt sich auch erreichen, daß sich weniger Versetzungen bilden. Normale Silicium-Germanium-Kristalle enthalten zwischen 100 und einer Million solcher Fehlstellen, an denen das Kristallgitter gestört ist. Unlängst gelang es Wissenschaftlern am IPK jedoch, weltweit erstmals versetzungsfreie Exemplare zu züchten; der Germanium-Gehalt dieser Kristalle betrug 8 Atomprozent.
Einen wichtigen Einfluß auf das Temperaturfeld hat schließlich auch der Konuswinkel: das Maß, in dem sich die Induktorschleife von außen nach innen verjüngt. Er wurde ebenso wie die Größe des Induktorspalts bisher intuitiv gewählt und empirisch optimiert. Mit den mathematischen Modellen kann man beide Parameter jedoch auch vorab berechnen. Eine der neuesten Erkenntnisse dabei ist, daß sich eine besonders günstige Strom- und damit Temperaturverteilung ergibt, wenn sich der Induktor nicht glatt, sondern stufenförmig nach innen verjüngt.
Perspektiven
Die Möglichkeit, den Germanium-Gehalt der Kristalle nicht nur annähernd konstant zu halten (mit Schwankungen von etwa 0,2 Atomprozent), sondern ihn auch über einen kurzen Abschnitt hinweg steil ansteigen zu lassen, eröffnet weitere interessante Anwendungsperspektiven. Mit der Germanium-Konzentration ändert sich in den resultierenden Gradientenkristallen nämlich auch die Gitterkonstante kontinuierlich. An einem derart variablen Kristallgitter sollten sich Röntgenstrahlen wie an einem sphärischen Spiegel reflektieren lassen – etwas, wovon die Röntgenphysiker seit langem träumen. Handhabbare Systeme für eine Röntgenoptik, die scharfe Abbildungen liefern und im Alltag praktikabel sind, gibt es bisher nicht.
Vielversprechend sind auch die photovoltaischen Effekte, die man sich von dem neuen Material erhofft. Silicium absorbiert Lichtquanten ab einer Energie von 1,1 Elektronenvolt. Mit einem entsprechenden Germanium-Anteil läßt sich diese Grenze bis auf 0,6 Elektronenvolt senken. Dadurch wird auch die Wärmestrahlung des nahen Infrarot genutzt, was den Wirkungsgrad erhöht. Die Entwickler von Photodioden und Solarzellen bedienen sich bereits des Materials. Außerdem gibt es Überlegungen, den Photoeffekt für Sensoren zu verwenden, welche die Bahnen von Satelliten verfolgen.
Nicht zuletzt aber werden Volumenkristalle aus Silicium-Germanium auch für die Grundlagenforschung benötigt. Zum Beispiel ist es wichtig, das Dotierungsverhalten von Nebengruppen-Elementen zu kennen, die als minimale Verunreinigungen in Halbleitermaterialien praktisch immer vorhanden sind. An Schichtstrukturen lassen sich solche Untersuchungen aber nicht vernünftig durchführen, weil sich die Dotanden in diesem Falle an den Grenzflächen konzentrieren.
Das methodische Instrumentarium, das die Kristallographen im Institut für Kristallzüchtung erarbeitet haben, ist auf Floating-Zone-Züchtungen mit beliebigen Materialien anwendbar. Letztlich sind es nur die Randbedingungen wie das Fehlen chemisch abgeschiedener Vorratsstäbe oder die Notwendigkeit zu vieler labortechnischer Eigenleistungen, welche die Entwicklung derzeit noch bremsen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 17
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