Solargetriebene Luftschiffe als Meßplattformen
Weder Bodenmeßstationen noch Flugzeuge, Ballons oder Raketen sind sonderlich gut geeignet, die weiträumige Ausbreitung von Luftschadstoffen in geringen Höhen zu verfolgen oder Bodenbelastungen flächendeckend mit hoher Auflösung aufzuspüren. Solargetriebene Luftschiffe bieten sich für diese Zwecke als umweltfreundliche und preiswerte Alternative an.
Luftschiffe erzeugen ihren Auftrieb bekanntlich – anders als Flugzeuge oder Hubschrauber – nicht durch das Anströmen von Flügeln, sondern mit Hilfe eines Gases, das leichter ist als Luft. Dies macht sie zu idealen Trägern für Meßinstrumente, die Schadstoffe in der Atmosphäre und am Boden aufspüren. Denn
- ihre niedrigen Fluggeschwindigkeiten und -höhen erlauben eine gute räumliche und zeitliche Auflösung, sofern sich ausgewählte Koordinaten präzise ansteuern lassen;
- es muß keine zusätzliche Energie für den Auftrieb aufgewandt werden, so daß die Flugdauer sehr lang sein kann;
- bei solarelektrischem Antrieb läßt sich die sonst so störende Lärmbelästigung vermeiden;
- die sehr hohe Flugsicherheit erlaubt auch über dicht besiedeltem Gebiet geringe Flughöhen, und
- die Betriebskosten sind im Vergleich mit anderen Meßplattformen gering.
Angesichts all dieser Vorzüge begannen wir am Institut für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen der Universität Stuttgart 1992 mit der Entwicklung eines solargetriebenen, unbemannten Luftschiffs. Entwicklungsschwerpunkte waren Leichtbaukonstruktionen (insbesondere eine sehr leichte und gasdichte Hülle), die Einbettung von Solarzellen in flexible Strukturen sowie Aspekte der Aerodynamik und Flugmechanik. Schon 18 Monate später konnte "Lotte", wie wir unser Schiff tauften, zum Jungfernflug starten.
Ein wichtiger Prüfstein der Praxistauglichkeit – und zweifellos ein Höhepunkt für die an der Konstruktion Beteiligten – war 1993 die Teilnahme an der "World Solar Challenge" in Australien, einem Wettbewerb für Solarfahrzeuge über eine Distanz von 3000 Kilometern (Bild). Weil "Lotte" das einzige Solarfluggerät war, startete sie allerdings außer Konkurrenz.
Immerhin zeigte sie einige beachtliche Leistungen. So erzielte sie eine Höchstgeschwindigkeit von 46 Kilometern pro Stunde und eine maximale Steiggeschwindigkeit von 9,4 Metern pro Sekunde; für einen Vollkreis mit 14 Metern Radius brauchte sie nur 28 Sekunden.
Die bei dem Wettkampf gewonnenen Erfahrungen lieferten auch einige Anhaltspunkte zur Verbesserung des Luftschiffes. So wurden die elektronischen Systeme weiterentwickelt. Zudem hatte sich gezeigt, daß die Tauglichkeit zum Straßentransport sowie die einfache Aufrüstung und Inbetriebnahme wichtige Voraussetzungen für die flexible Nutzung sind. Entsprechend läßt sich "Lotte 3", die seit Mai 1994 einsatzfähige neueste Version, innerhalb von 90 Minuten startklar machen; als Start- und Landeplatz ist die Fläche eines Fußballfeldes mehr als ausreichend.
Technische Ausstattung
Das mit Helium gefüllte Solarluftschiff hat bei einer Länge von 16 und einem maximalen Durchmesser von vier Metern ein Gesamtvolumen von 100 Kubikmetern. Da sich das Traggas mit zunehmender Höhe oder bei Sonneneinstrahlung ausdehnt, befinden sich an der Unterseite zwei kleine Ballons, die überschüssiges Helium aufnehmen können; eine elektronische Regeleinheit hält den Innendruck auf dem konstanten Wert von etwa 200 Pascal über dem jeweiligen Außendruck. Dies genügt, die Hülle des Luftschiffes so weit vorzuspannen, daß sie die auftretenden Lasten fast überall tragen kann – man spricht von Prallbauweise. Nur im Heckbereich und an der Unterseite befinden sich kohlefaserverstärkte Stäbe als Stützelemente.
Auf der Oberseite sind acht Quadratmeter monokristalline Solarzellen, die einen maximalen Wirkungsgrad von 16 Prozent erreichen, flexibel in die Hül-le eingebettet. Sie erbringen bei voller Sonneneinstrahlung eine Gesamtleistung von mehr als 1100 Watt. Eine wiederaufladbare Batterie mit einer Kapazität von annähernd 900 Wattstunden im vorderen Bereich des Luftschiffes dient als Zwischenspeicher für Zeiten geringeren Lichteinfalls.
Für den Antrieb sorgt ein Propeller mit Elektromotor am Heck, der bei seiner Maximalleistung von ungefähr 1,5 Kilowatt das Schiff auf fast 50 Kilometer pro Stunde beschleunigen kann. Während der Meßflüge werden in der Regel aber nur Geschwindigkeiten bis 20 Kilometer pro Stunde benötigt.
Das Luftschiff fliegt ferngesteuert, wobei die Signale aus Sicherheitsgründen redundant – auf zwei unterschiedlichen Frequenzbändern – übermittelt werden. An Bord überwacht eine Elektronik alle wichtigen Betriebsdaten, aktiviert bei Fehlfunktion entsprechende Sicherheitssysteme und sendet sämtliche Informationen kontinuierlich zum Boden. Von dort aus lassen sich die Missionsparameter während des Flugs anhand der Datenlage und der Witterungsbedingungen flexibel anpassen.
Erste Anwendungen
Luftschiffe können als preiswerte Ergänzung von Bodenmeßstationen und Flugzeugen sonst nicht zugängliche Daten zur Luftverschmutzung liefern. So eignen sie sich insbesondere zur flächigen Sondierung der vertikalen und horizontalen Verteilung von Schadstoffen in der unteren Troposphäre. Anhand der gemessenen Konzentrationen und Luftbewegungen läßt sich der Schadstoff-Fluß durch die untersuchte Fläche ermitteln. Sind die Windrichtungen eindeutig und stabil, könnte man zum Beispiel die Emissionen über einer Stadt bestimmen; dazu müßte auf ihrer windzu- und -abgewandten Seite jeweils ein Luftschiff stationiert werden.
Weil ein solches Gefährt langsam in geringer Höhe dahingleiten kann, vermag es außerdem Schadstoffquellen zu lokalisieren oder die Ausbreitung der Abgasfahne großer Einzelemitter – etwa eines Kraftwerks oder Industriebetriebs – sehr genau zu erfassen. Man kann es jedoch auch mit dem Wind treiben lassen, um die zeitliche Veränderung der Luftzusammensetzung zu bestimmen. So setzt die Ozonproduktion über einem Stadtgebiet mit der Emission von Vorläufersubstanzen ein; das Reizgas selbst erreicht dagegen erst später in einiger Entfernung von der Emissionsquelle seine maximale Konzentration. Bewegt sich das Luftschiff in der umgebenden Luftmasse mit, kann man die Zunahme ortsabhängig aufzeichnen und Risikogebiete ausmachen.
Diese Möglichkeiten ließen sich im Rahmen einer Meßkampagne der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg im November 1994 bereits teilweise verifizieren. So konnte "Lotte" sehr gut mit vorhandenen Meßsystemen wie Fesselballon, Flugzeug und Sonden am Boden gekoppelt werden und interessante zusätzliche Daten beisteuern.
Eine weitere bereits erprobte Anwendung ist das flächendeckende Erfassen von Altlasten im Boden. Bislang konnte man nur von Gerüsten aus in Höhen bis 50 Meter oder aber von Hubschraubern, Flugzeugen und Satelliten aus in Höhen von mehr als 500 Metern messen. Erst das Luftschiff als niedrig und langsam fliegende Trägerplattform erschließt den Zwischenbereich. Die geringe Flughöhe und -geschwindigkeit reduziert zudem die kleinsten noch erkennbaren Flächenelemente am Boden gegenüber Flugzeugen und Hubschraubern auf ein Fünftel bis ein Zehntel; und auch der mit zunehmender Flughöhe wachsende Einfluß der Lichtabsorption der Atmosphäre macht sich weniger störend bemerkbar.
Mit neuartigen Scannersystemen läßt sich zum Beispiel die Reflexion des Sonnenlichts im sichtbaren und Infrarotbereich eines relativ kleinen Bodenelements in mehr als fünfzig Spektralzonen gleichzeitig aufzeichnen und daraus etwa der Zustand der örtlichen Vegetation ableiten, der unter anderem Rückschlüsse auf Schadstoffe im Boden erlaubt. So erkundeten wir im Sommer 1995 mit "Lotte" eine belastete Fläche in der Nähe von Potsdam. Weil das Luftschiff maximal zehn Kilogramm Nutzlast zu befördern vermag, setzten wir das am Institut für Angewandte Physik der Universität Dundee (England) entwickelte variable interference filter imaging spectrometer (bildgebendes Spektrometer mit variablem Interferenzfilter) ein, das Licht direkt auf dem Sensor einer normalen Schwarzweiß-Videokamera nach Spektralbereichen zerlegt. Damit konnten Objekte am Boden in einem Abstand von weniger als 20 Zentimetern unterschieden und ihre Reflexion in 72 Spektralkanälen aufgezeichnet werden; dies entspricht Wellenlängen-Intervallen von nur sechs Nanometern.
Weitere Entwicklung
So ermutigend die bisherigen Erfahrungen sind, haben sie jedoch auch einige Punkte aufgezeigt, die verbesserungswürdig sind. So gelingt es noch nicht, das Luftschiff mit der wünschenswerten Genauigkeit zu positionieren und in einer bestimmten Fluglage zu halten. Dies erschwert die anschließende Auswertung der Meßergebnisse. Deshalb planen wir eine aktive Regelung der Fluglage, wobei entweder nur die Instrumentenplattform oder das gesamte Luftschiff um eine oder mehrere Achsen mit Kreiseln stabilisiert wird. Sie erfordert allerdings hochempfindliche Beschleunigungssensoren, weil das Luftschiff sehr träge reagiert. Außerdem reicht das bisher verwendete Global Positioning System (GPS) mit seiner Genauigkeit von nur etwa 100 Metern für eine exakte Ortsbestimmung nicht aus. Einen Ausweg böte ein differentielles GPS, das über eine zusätzliche Bodenstation als Referenz eine Positionierung mit Zentimeter-Präzision erlauben würde (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 102).
Zudem erwägen wir neue Einsatzmöglichkeiten – beispielsweise im Rahmen feuerökologischer Untersuchungen (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1994, Seite 86). Das Luftschiff könnte aber auch als Kameraträger für Film- und Fernsehaufnahmen dienen sowie die hochgenaue photogrammetrische Vermessung von Geländeformen oder Gebäuden aus der Luft ermöglichen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1996, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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