Sonne, Sex und Schokolade. Chemie im Alltag II.
Wiley-VCH, Weinheim 1999. 288 Seiten, DM 44,–.
Entgegen dem deutschen Titel gehört das vorliegende Buch nicht zu einer Fernsehserie über das Strandleben auf Ibiza, sondern ist eine Sammlung von Kurzbeiträgen, die jeweils einer Molekülart oder Stoffklasse gewidmet sind. Die englische Originalausgabe "Molecules at an Exhibition" (der Titel spielt auf die Komposition "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski an) ist als eine Art gepflegter Museumsrundgang angelegt. Warum der deutsche Verlag dies alles über Bord geworfen hat, bleibt sein Geheimnis.
Was ist nun auf den Molekül-Portraits zu sehen? Vor allem wissenschaftlich fundierte Fakten über die Stoffe und Chemikalien, die unseren Alltag prägen. Das Ausstellungsprogramm reicht vom Elementaren (Sauerstoff, Stickstoff, Metalle) zum Komplexen (Penicillin, Folsäure), von Grundstoffen der chemischen Industrie (Maleinsäureanhydrid, Ethylen) bis hin zu Endprodukten einschließlich der unvermeidlichen Teflonpfanne. Der im deutschen Titel versprochene Sex wird mit britischer Zurückhaltung nur andeutungsweise erwähnt, wo von Kondomen oder Viagra die Rede ist.
Chemie des Alltags, mit Worten statt mit Formeln erklärt – erreicht das die Menschen, die sich von einer einzigen chemischen Formel bereits abschrecken lassen und deshalb niemals ein Chemielehrbuch in die Hand nehmen würden? Eine Probe aufs Exempel: "Die beiden erhitzten Ethylenglykol (bekannt als Frostschutzmittel) mit Dimethylterephthalat bei 200 Grad Celsius und erhielten eine klebrige Masse von Polyethylenterephthalat." Alles klar? Mir nicht. Chemie wird nicht allgemeinverständlich, wenn man nur die Formeln wegläßt.
Schmerzlicher als das Ausbleiben der versprochenen Lustgewinne (auch mit Sonne und Schokolade tut sich nicht viel) ist die Abwesenheit eines roten Fadens, eines Zusammenhangs, der das Einsortieren der zahllosen Fakten erleichtern würde. Die deutsche Ausgabe hat – außer gelegentlichen Randbemerkungen zu spezifischen Abweichungen von den britischen Gegebenheiten – nicht viel zur Verständlichkeit beigetragen. Sorgfältigere Lektorierung hätte einige Fehler des vorsichtshalber ungenannten Übersetzers beheben können. Altbekannte "falsche Freunde" wie diet – Diät statt Ernährung und drug – Droge statt Medikament haben hier noch ein Opfer gefunden.
Vielleicht ist die Wirkung dieser Skizzen auch von der Darreichungsform abhängig. Die Leser des "Independent" – der Tageszeitung, in der die meisten der Portraits ursprünglich erschienen sind – hatten zwischen den Fortsetzungen von Emsleys "Molecule of the Month" immerhin einen Monat Zeit, das Gelernte zu verdauen. Zu einer derart sporadischen Lektüre ist das Buch sicher zu empfehlen. Wer gerade ein Aspirin genommen, Cola getrunken oder Rhabarberkompott gegessen hat, kann dazu die Risiken, Nebenwirkungen und Hintergründe auf jeweils drei Seiten nachlesen. Und wer drauf und dran ist, in das als Aphrodisiakum gepriesene pulverisierte Horn des Nashorns zu investieren, kann viel Geld sparen, indem er, Emsley folgend, ersatzweise die chemisch identischen Fingernägel kaut.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2000, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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