Sonnenbrand und Hautkrebs
Die häufigsten Formen von Hautkrebs Basalzell- und Plattenepithelkarzinome gehen letztlich auf eine bestimmte Mutation in Hautzellen zurück, die vielfach Jahrzehnte zuvor durch starke Sonnenstrahlung ausgelöst wurde. Bei neuerlichen Lichtschäden sterben solche Zellen nicht wie gesunde ab, sondern erhalten sogar eine erhöhte Vermehrungschance.
Im Jahre 1775 berichtete der namhafte Londoner Chirurg Percivall Pott (1713 bis 1788), daß bei Schornsteinfegern auffallend oft schartige Entzündungen am Hodensack vorkämen. Obwohl es nahegelegen hätte, an eine Geschlechtskrankheit zu denken, wie sie damals in der britischen Hauptstadt weit verbreitet waren, deutete er die Symptome richtig als eine Form von Hautkrebs, die durch den langjährigen Kontakt mit Ruß und Teer verursacht worden sei; heute gilt dieser sogenannte Kaminfegerkrebs, wie Teerkrebs allgemein, als entschädigungspflichtige Berufskrankheit.
Potts Beobachtung war ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin. Zum ersten Mal hatte jemand aufgezeigt, daß Krebs durch äußere Einwirkung bedingt sein kann.
Vor ungefähr 100 Jahren wurde im Zusammenhang mit Hautkrebs auch eine natürliche Gefahr erkannt: das Sonnenlicht (Bild 1). Wieso diese oft wohltuende Strahlung in erschreckend hohem Maße bösartige Tumoren hervorbringen kann, versteht man dank der Arbeiten vieler Wissenschaftler inzwischen immer besser.
Allein in den Vereinigten Staaten werden jährlich rund eine Million neue Fälle von Hautkarzinomen diagnostiziert, was etwa der Zahl aller anderen Krebsarten zusammen entsprechen dürfte. Man unterscheidet drei Hauptformen, die sich nicht nur nach der Herkunft des entarteten Hautzelltyps (Bild 2), sondern auch in der Gefährlichkeit und Häufigkeit unterscheiden.
Die aggressivste Variante – und zugleich die rätselhafteste, was die auslösenden Faktoren betrifft – ist das vergleichsweise seltene maligne Melanom, bei dem Pigmentzellen (Melanocyten) entartet sind. Die Sterberate ist ziemlich hoch, vor allem wegen der starken Metastasierung, also Absiedlung von Zellen, die anderswo neue Tumoren bilden. In den USA erkranken daran im Jahr etwa 38000 Menschen, und 7000 sterben; in der Bundesrepublik gibt es jährlich rund 6500 Neuerkrankungen und 2000 Todesfälle. Günstig ist die Prognose, wenn die Wucherung erkannt und entfernt wird, bevor sie einen Millimeter dick ist.
Bei einem Karzinom der Basalzellen hingegen, dem häufigsten Hautkrebs (Bild 4) oder der ebenfalls verbreiteten Entartung der Plattenepithelzellen (Stachelzellen) sind die Aussichten in der Regel sehr gut – auch noch im fortgeschrittenen Stadium. Meist genügt es, die Geschwulst ambulant unter örtlicher Betäubung zu entfernen – etwa durch Ausschaben, Ausbrennen, Vereisen oder Ausschneiden. Unbehandelt aber können diese Hautkrebsformen, die unabhängig vom Alter auftreten, den Betroffenen nicht nur stark entstellen, sondern auch tödlich verlaufen. In den Vereinigten Staaten sterben daran immerhin jährlich einige Tausende, fast alle an Plattenepithelkarzinomen.
Historischer Großversuch
Makabre Dienste beim Aufspüren der Ursachen von Hautkrebs leistete ein unabsichtliches Menschenexperiment des Britischen Empire Ende des 18. Jahrhunderts. Seit man in Großbritannien und Irland für geringe Verbrechen wie Diebstahl oder Betrug nicht mehr die Todesstrafe verhängte, waren die Gefängnisse überfüllt. Deshalb beschloß das britische Unterhaus 1786, die zahlreichen überzähligen Gefangenen zur fernen neuen Besitzung Australien zu deportieren.
Die erste Flotte landete an der Ostküste im Gebiet des späteren Sydney im Jahre 1788 mit etwa 730 Sträflingen. In den folgenden 80 Jahren gelangten – außer freiwilligen britischen Kolonisten, die sich seit 1793 ansiedeln durften, um französischen Annexionsbestrebungen zuvorzukommen – mehr als 150000 Verurteilte auf den sonnigen Kontinent. Großenteils waren es sehr hellhäutige, blonde oder rothaarige Männer und Frauen oft keltischer Abstammung.
Die weiße australische Bevölkerung hat heute in allen Hautkrebsarten die höchste Erkrankungsrate der Welt. Sie ist nicht nur viel höher als auf den äquatorfernen und oft bewölkten Britischen Inseln; auch die dunkelhäutigen australischen Ureinwohner leiden weitaus seltener an Karzinomen. Schon dies läßt einen Zusammenhang mit der Sonneneinstrahlung und der Hautpigmentierung vermuten: zwei Risikofaktoren, die man bereits vor 50 Jahren erkannt hat. Obwohl man seit damals die zugrundeliegenden Mechanismen aufzuklären sucht, haben langjährige molekularbiologische Forschungen durch viele Wissenschaftlerteams weltweit erst jetzt ein tieferes Verständnis ermöglicht.
Als wir Ende der achtziger Jahre mit unseren Untersuchungen begannen, standen zwei Kategorien von Sonnenschäden gleichermaßen im Verdacht, Krebsauslöser zu sein – was den Einstieg recht schwierig machte. In die eine fielen durch die Strahlung bedingte Mutationen bestimmter Gene in den Hautzellen. Dabei könnte sich beispielsweise ein normales Gen in ein sogenanntes Onkogen umwandeln, das die Zelle zu übermäßigem Wachstum antreibt; möglich wäre aber auch, daß ein wachstumshemmendes Tumorsuppressor-Gen inaktiviert wird.
Die andere Kategorie von Ursachen, die wir anfänglich in Betracht ziehen mußten, beinhaltete allgemeinere Wirkungen des Sonnenlichts auf jede ihm ausgesetzte Zelle. Beispielsweise war denkbar, daß die Strahlung die Immunantwort der Haut unterdrückt und so deren natürliches Vermögen schwächt, Tumorzellen zu vernichten. Vielleicht wurde aber auch unmittelbar die Zellteilung angeregt.
Nach genetischen Veränderungen zu fahnden, erschien uns allerdings vielversprechender. Untersuchungen hatten gezeigt, daß ein Hautkrebs erst Jahre nach einer starken, schädlichen Sonnenexposition auftreten kann. Am überzeugendsten belegte dies eine statistische Erhebung von Anne Kricker, die damals an der Universität von Westaustralien in Nedlands arbeitete, und Robin Marks vom Krebsrat des australischen Staates Victoria sowie ihren Kollegen. Danach erkrankten aus England stammende Australier nur dann gleich oft wie ihre weißen Landsleute, wenn sie vor dem achtzehnten Geburtstag ausgewandert waren, aber nur etwa so häufig wie der Durchschnittsbrite, wenn sie England erst als Erwachsene verlassen hatten. Die Tumoren erscheinen jedoch selten vor dem mittleren Lebensalter. Demnach müßten die australischen Patienten, die meist ältere Menschen sind, lange vor Eintritt des Krebses einer gefährlichen Sonnenlichtdosis ausgesetzt gewesen sein. Nun halten allgemeinere Schadwirkungen des Sonnenlichts – etwa eine Immunschwächung – aber nur wenige Tage an, genetische Veränderungen, die bei Zellteilungen weitergegeben werden, hingegen lebenslang.
Punktmutation im p53-Gen
Die Suche nach einem verdächtigen sonnenbedingten Schaden am Erbgut schien freilich ebenso schwierig wie die nach der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Die DNA, die Erbsubstanz einer menschlichen Zelle, enthält schätzungsweise 100000 Gene, von denen jedes in der Regel aus Tausenden von Nucleotiden besteht. Nur einige wenige dieser elementaren DNA-Bausteine sollten geschädigt sein. Und selbst wenn sich in Hautkrebsproben mutative Veränderungen fanden, mußten sie nicht zwangsläufig durch die Sonne hervorgerufen worden sein.
Immerhin gab es bereits Erkenntnisse, die uns bei der Suche leiten konnten. So vermutete man schon länger, daß nur der ultraviolette Anteil des Sonnenlichtspektrums im Wellenlängenbereich zwischen 315 und 280 Nanometer krebsauslösend wirkt. Diese sogenannte UV-B-Strahlung erzeugt Sonnenbrand und induziert die Bildung von Vitamin D. (UV-A, von 400 bis 315 Nanometer Wellenlänge, gilt dagegen als Bräunungsstrahlung.)
Wissenschaftlerteams aus Frankreich, Kanada, der Schweiz und den Vereinigten Staaten hatten nach Studien an verschiedensten Organismen – von Viren bis zu menschlichen Zellen – zudem herausgefunden, daß UV-B-Strahlung nur an solchen Stellen im Genom Schäden verursacht, an denen eine bestimmte Abfolge von DNA-Bausteinen auftritt. Die Erbsubstanz enthält vier Sorten von Nucleotiden, die jeweils durch eine Base charakterisiert sind: Es handelt sich um die beiden Purin-Basen Adenin (A) und Guanin (G) sowie die Pyrimidin-Basen Cytosin (C) und Thymin (T). Wie sich herausstellte, bewirkt die UV-Strahlung Mutationen an Stellen mit zwei benachbarten Pyrimidin-Basen, die dabei durch eine zusätzliche Bindung zu einem Dimer verknüpft werden. In etwa zwei Drittel der Fälle hat dies zur Folge, daß bei der Verdopplung der DNA im Verlaufe nachfolgender Zellteilungen ein Cytosin gegen ein Thymin ausgetauscht wird; bei 10 Prozent dieser Substitutionen werden zwei benachbarte Cytosin-Basen durch zwei Thymin-Basen ersetzt (Kasten auf gegenüberliegender Seite oben). Eine solche Tandem-Substitution kann als spezifisches Merkmal einer UV-Schädigung dienen, da sie durch kein anderes Agens erzeugt wird.
Um die Suche weiter einzugrenzen, überlegten wir, in welchem der unzähligen Gene die krebsauslösende Mutation auftreten könnte. In Frage kam zum Beispiel eines aus der Handvoll schon erwähnter Onkogene und Tumorsuppressor-Gene, von denen man bereits wußte, daß sie im Zusammenhang mit Krebs eine Rolle spielen. Wir versuchten es mit dem Tumorsuppressor-Gen p53, das, wie sich inzwischen herausgestellt hat, bei mehr als der Hälfte aller menschlichen Tumoren mutiert ist.
Der damalige Grund für unsere Wahl war jedoch ein Zusammenhang zwischen nichtmelanomartigem Hautkrebs und einer seltenen Hautveränderung mit Verhornung und verschmelzenden warzenartigen Papeln: Aus dieser Epidermodysplasia verruciformis kann sich an Körperstellen, die der Sonne ausgesetzt sind, ein Basalzell- oder ein Plattenepithelzellkrebs entwickeln. In den Knötchen war DNA von menschenpathogenen Papillom-Viren nachgewiesen worden, und Peter M. Howley und seine Kollegen am amerikanischen Nationalen Krebsinstitut in Bethesda (Maryland) hatten gezeigt, daß eines der viralen Proteine das p53-Protein inaktiviert.
In Zusammenarbeit mit Jan Pontén von der Universität Uppsala (Schweden) fanden wir in Proben von Plattenepithelkarzinomen amerikanischer Patienten bei mehr als 90 Prozent Mutationen im p53-Tumorsuppressor-Gen. Solche Karzinome treten im Gesicht und an den Händen auf – insbesondere bei hellhäutigen Menschen, die in tropischen Breiten leben – und gehen mit Sicherheit auf Sonnenstrahlung zurück. Die Genabwandlungen betrafen, wie erwartet, Paare benachbarter Pyrimidinnucleotide und bestanden in der für UV-Bestrahlung typischen Substitution von Cytosin durch Thymin.
Später wiesen wir sowie andere Wissenschaftler solche Mutationen auch bei Basalzellkarzinomen nach. (Bei Melanomen scheint dieser Zusammenhang allerdings nicht zu bestehen. Man sucht in entarteten Pigmentzellen noch nach Genen, die durch UV-Strahlung bedingte Veränderungen aufweisen.) Unsere Mitarbeiterin Annemarie Ziegler fand diese Genveränderungen auch in präkanzerösen Hautproben. Somit könnten die Mutationen durchaus schon stattgefunden haben, lange bevor ein Krebs auftritt. Hatten sie aber nun den nichtmelanomartigen Hautkrebs bewirkt? Oder waren sie lediglich ein Zeichen für lange, intensive Sonnenexposition und für das Karzinom im Grunde ohne Belang?
Letzteres konnten wir durch eine präzise Analyse unseres Befundes ausschließen. Jede Aminosäure eines Proteins ist nämlich durch eine Sequenz von drei Nucleotiden codiert; doch entscheidend sind dabei vielfach nur die ersten beiden Positionen eines solchen Codons – oft kann der dritte Baustein variieren, ohne daß dies bei der Proteinsynthese den Einbau einer verkehrten Aminosäure bewirkt. Demnach sollte ein Mutationsmuster, bei dem die dritte Position solcher Codons etwa gleich häufig abgewandelt ist wie die ersten beiden, darauf hindeuten, daß die Genveränderung nicht in Zusammenhang mit Krebs steht.
Anders wäre es, wenn Krebszellen vor allem Mutationen an erster oder zweiter Position des Codons aufwiesen, die sich stärker auf die Funktion des Proteins auswirken. Eben das ergab die Untersuchung nichtmelanomartiger Hautkrebsproben von Patienten aus aller Welt: In Karzinomzellen mit mutiertem p53-Gen fanden sich durchweg Mutationen, durch die wenigstens eine Aminosäure im Protein falsch codiert wurde. Sie waren also nicht bloße Nebeneffekte der UV-Einstrahlung, sondern die Ursache der Entartung.
Wenn man Zellen Kanzerogenen aussetzt, treten die meisten Mutationen in bestimmten Codons auf, die als Hotspots ("heiße Flecken") bezeichnet werden. Wir fragten uns deshalb, ob es auch im p53-Gen Bereiche gibt, die besonders anfällig gegen Schädigung durch Sonnenlicht sind.
Tatsächlich zeigte die Analyse vieler Tumoren, daß dieses Gen bei nichtmelanomartigem Hautkrebs an die neun Hotspots enthält. Bei anderen Tumorarten mit verändertem p53-Gen, die – wie Dickdarm- oder Blasenkrebs – nichts mit Sonnenschäden zu tun haben, treten dagegen in fünf Codons bevorzugt Mutationen auf. Drei davon decken sich mit den Hotspots bei Hautkrebs; die zwei anderen enthalten zu beiden Seiten des mutierenden Cytosins eine Purin-Base. Weil also kein Pyrimidin-Paar vorliegt, sind diese Stellen gegen Sonnenlicht offenbar immun.
Insgesamt gibt es im p53-Gen allerdings Hunderte von Pyrimidin-Paaren. Warum sind nur wenige davon anfällig für UV-bedingte Mutationen? Schon vor mehr als 30 Jahren hatten Richard B. Setlow und William L. Carrier vom Nationallaboratorium Oak Ridge (Tennessee) entdeckt, daß Zellen UV-Schäden in ihrer DNA ausbessern können: Sie schneiden das schadhafte Stück heraus und ersetzen es durch ein intaktes. Subrahmanyam Kunala zeigte 1992 in unserem Labor, daß die Reparatur bei manchen Pyrimidinpaaren besonders langsam abläuft. Dies aber sind, wie Gerd P. Pfeifer und seine Kollegen vom City of Hope Beckman-Forschungsinstitut in Duarte (Kalifornien) herausfanden, genau die Stellen, an denen bei Hautkrebs die meisten Mutationen auftreten. Die Hotspots für UV-Strahlung liegen also offenbar schlicht dort, wo das Reparatursystem der Hautzellen nicht gut greift.
Kontrolle außer Kraft gesetzt
Auch nachdem wir Mutationen im p53-Gen als Ursache von UV-bedingtem nichtmelanomartigen Hautkrebs identifiziert hatten, blieb der Zusammenhang zwischen Genschädigung und Tumorbildung jedoch unklar. Anscheinend schützte das p53-Protein normale Zellen vor Krebs. Aber wie? Einen Hinweis hatte Michael B. Kastan von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (Maryland) mit der Entdeckung gegeben, daß Zellen bei Einwirkung von Röntgenstrahlen vermehrt p53 bilden und dadurch an der Teilung gehindert werden. Den gleichen Effekt fanden Peter A. Hall und David P. Lane von der Universität Dundee und Jonathan L. Rees von der Universität Newcastle (beides Großbritannien) bei Hautzellen, die sie UV-Strahlung ausgesetzt hatten. Deswegen vermutet man, daß das Protein eine Zelle mit geschädigter DNA normalerweise solange an der Vermehrung hindert, bis sie die DNA repariert hat.
Hinweise auf eine weitere Funktion von p53 haben Moshe Oren und seine Kollegen vom Weizmann-Institut in Rehovot (Israel) gefunden. Zellen mit größeren, irreparablen DNA-Schäden begehen, wie man heute weiß, normalerweise Selbstmord (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1997, Seite 26). Wie die Gruppe um Oren herausfand, löst vermehrt gebildetes p53 eine solche Apoptose aus, die fast unauffällig mit Hilfe bestimmter zellulärer Mechanismen geschieht. Bei einer sonnengeschädigten Zelle würde so verhindert, daß sich genetische Fehler akkumulieren können, bis es irgendwann vielleicht zur unkontrollierten, krebsartigen Wucherung kommt. Zellen mit Mutationen mustern sich also gewissermaßen vorsorglich selber aus. Da die Haut sich fortwährend erneuert, vermuteten wir, daß p53 darin routinemäßig als Wächter fungiert, der geschädigte Komponenten eliminiert.
Daß manche Zellen von sonnenverbrannter Haut mitunter apoptoseartig absterben, hatten Dermatologen schon länger bemerkt. Wir selbst konnten 1994 zeigen, daß solche Zellen tatsächlich Brüche in der DNA aufweisen, wie sie für bestimmte Apoptose-Stadien typisch sind. Wie aber würden sich Zellen verhalten, die mutationsbedingt kein funktionierendes p53-Protein mehr produzieren können? Würden sie noch Selbstmord begehen, wenn UV-Strahlung ihr Erbgut stark lädierte?
Bei der Suche nach der Antwort kam uns zustatten, daß Tyler Jacks und seine Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge zufällig gerade Mäuse entwickelt hatten, die kein p53-Protein herstellten. (Das Gen wurde mit einem Trick komplett ausgeschaltet – man spricht deswegen auch von Knock-out-Mäusen.) Als Alan S. Jonason und Jeffrey A. Simon solche Mäuse in unserem Labor UV-Strahlung aussetzten, stellten sie fest, daß die Haut der Tiere anschließend viel weniger apoptotische verbrannte Zellen enthielt als die von normalen Mäusen des Kontrollversuchs. Und auch bei nur teilweise inaktiviertem p53-Gen war die Neigung bestrahlter Hautzellen zum Selbstmord eingeschränkt, im ganzen aber größer als bei den Knock-out-Mäusen. Dies paßte zu unserer Vermutung, daß die p53-Funktion bei nichtmelanomartigem Hautkrebs gestört zu sein scheint. Offenbar vermag dieses Gen also Entartungen zu verhindern, indem es potentiell gefährliche Zellen eliminiert.
Zwei Schritte – ein Auslöser
All diese Befunde fügen sich nun zu einem plausiblen Bild der Entstehung von Hautkrebs. In Haut, die direktem Sonnenlicht ausgesetzt wird, erzeugt die solare UV-B-Strahlung DNA-Schäden. Sind diese zu umfangreich und können nicht schnell genug repariert werden, sterben die betreffenden Zellen normalerweise durch Apoptose ab. Ist in einer Zelle jedoch bei einem früheren Sonnenbrand das p53-Gen mutiert, bleibt sie am Leben, auch wenn ihr Erbgut bei der neuerlichen Sonneneinwirkung stark verändert wird.
Tragischerweise ist sie sogar im Vorteil gegenüber ihren normalen Nachbarn. Indem diese auf die übermäßige Strahlendosis mit Selbstmord reagieren, lassen sie Lücken zurück, welche die zur Apoptose unfähige Zelle mit ihrer Nachkommenschaft füllen kann (Bild 3). Dadurch begünstigt starke Sonnenbestrahlung zugleich die Vermehrung von Hautzellen mit defektem Genom. Sie wirkt also doppelt schädlich, indem sie zunächst die krebsfördernde Mutation hervorruft und später zu deren Verbreitung beiträgt.
Mit Sicherheit sind allerdings weitere Gene an der Entstehung von Hautkrebs beteiligt; auch die Sonnenstrahlung wirkt vermutlich noch auf andere Weise, die man aber erst ansatzweise versteht. So geht ein bestimmter erblicher Basalzellkrebs, das Gorlin-Syndrom, auf ein anderes mutiertes Tumorsuppressor-Gen zurück.
Die Aufklärung dieser Zusammenhänge könnte Wege aufzeigen, den Entartungsprozeß in den diversen Stadien aufzuhalten. Zudem besteht begründete Hoffnung, daß die Forschungsergebnisse auch neue Therapien bei nichtmelanomartigem Hautkrebs ermöglichen werden. Medikamente, die dem p53-Protein wieder zu seiner normalen Funktion verhelfen, könnten den chirurgischen Eingriff ersparen. In 10 oder 20 Jahren gibt es vielleicht schon eine Hautcreme mit entsprechenden Wirkstoffen, die dann von mutierte Zellen aufgenommen wird. Für die vielen Sonnenhungrigen unserer Zeit wäre sie ein Segen.
Literaturhinweise
- Spektrum der Wissenschaft – Spezial 5: Krebsmedizin. Heidelberg 1996.
– A Role for Sunlight in Skin Cancer: UV-Induced p53 Mutations in Squamous Cell Carcinoma. Von D. E. Brash, J. A. Rudolph, J. A. Simon, A. Lin, G. J. McKenna, H. P. Baden, A. J. Halper und J. Pontén in: Proceedings of the National Academy of Sciences U.S.A., Band 88, Heft 22, Seiten 10124 bis 10128, 15. November 1991.
– Sunburn and p53 in the Onset of Skin Cancer. Von A. Ziegler und anderen in: Nature, Band 372, Seiten 773 bis 776, 22. bis 29. Dezember 1994.
– Cancer Free: The Comprehensive Cancer Prevention Program. Von S. J. Winawer und M. Shike. Simon & Schuster, 1996.
– Sunlight, Ultraviolet Radiation and the Skin. NIH Consensus Statement. Band 7, Heft 8, Seiten 1 bis 29, Mai 1989. Im Internet abrufbar unter http://text.nlm.nih.gov/nih/cdc/www/74txt.html
Kasten: Wie Sonnenstrahlung mutagen wirkt
Ultraviolett-Strahlung vermag chemische Bindungen benachbarter Pyrimidin-Basen in einem der beiden (hier grün und blau gezeichneten) DNA-Stränge aufzubrechen. Oft geschieht das an Stellen mit zwei Cytosin-Ringen (C). Als Folge davon entsteht zwischen den beiden Basen eine andere Bindung (rot), die sie zu einem Pyrimidin-Dimer verknüpft.
Wenn sich das Erbmaterial vor einer Zellteilung verdoppelt, trennen sich die beiden Stränge der DNA und dienen jeweils als Matrizen für einen neuen Strang (lila). Dabei paart sich Guanin (G) normalerweise mit Cytosin und Adenin (A) mit Thymin (T). Der Strang ohne Mutation hält sich auch an diese Regel (links), doch im defekten Gegenstück werden als Paarungspartner des Dimers statt Guanin- nunmehr Adenin-Basen eingebaut (rechts).
Bei neuerlicher Replikation paaren sich diese Adenin-Basen ihrerseits mit Thymin (links). Das Resultat ist ein regulär erscheinendes DNA-Molekül mit einer stabilen Mutation, die in allen folgenden Zellgenerationen erhalten bleibt und eine Zelle für maligne Entartung anfällig macht, falls es sich um ein Gen für die Regulation von Wachstumsprozessen handelt. Das fehlerhafte Dimer kann zwar durch zelleigene Reparaturmechanismen entfernt und durch die korrekten Basen ersetzt werden, doch kommt es darauf an, das dies rechtzeitig geschieht, bevor Zellen mit stabiler Mutation entstanden sind.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1997, Seite 74
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben