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Soziale Kognition: Die Dunkle Materie der Hirnforschung

Viele Personen mit einer neurologischen oder psychischen Störung haben Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion. In der Therapie spielt das jedoch bisher nur selten eine Rolle.
Außenseiter in Menschengruppe

Leonhard Schilbach ist Psychiater am LVR-Klinikum Düsseldorf. Hennric Jokeit arbeitet am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum der Klinik Lengg. Zwei unterschiedliche Welten ohne große Überschneidungen – möchte man meinen. Doch die beiden verbindet die Suche nach der »Dunklen Materie der sozialen Neurowissenschaften«: Sie wollen herausfinden, was in unseren Köpfen passiert, wenn wir miteinander sprechen, spielen oder streiten. Einige Forscherinnen und Forscher reden dabei metaphorisch von Dunkler Materie, weil man bisher noch wenig über die Hirnmechanismen von sozialer Interaktion weiß – obwohl diese in unserem Leben omnipräsent ist. Durch ihre genauere Kenntnis könnte sich aber sogar das Bild verändern, das wir von psychischen Störungen haben.

Warum interessiert sich ein Experte für Epilepsie überhaupt für das zwischenmenschliche Verhalten seiner Patienten? Bei dieser Erkrankung sind oft Signalübertragungswege im Schläfenlappen gestört. Dort sitzen wichtige Gedächtnis- und Emotionszentren, etwa der Hippocampus und die Amygdala. Bei einem epileptischen Anfall entladen sich die Neurone in diesem Bereich unkontrolliert; auf Hirnscans ist hier dann häufig vernarbtes Gewebe zu erkennen. Daher sind Gedächtnisstörungen eine bekannte Begleiterscheinung der Temporallappenepilepsie. Vor allem Einschränkungen im episodischen Gedächtnis, zu dem die autobiografischen Erinnerungen gehören, machen den Patienten zu schaffen. »Wir haben aber auch festgestellt, dass ein großer Prozentsatz Defizite im Erkennen von Emotionen und bei der Theory of Mind hat«, erklärt Jokeit. »Besonders überrascht waren wir davon, dass die Effektstärken ähnlich groß waren wie beim episodischen Gedächtnis.«

  • Quellen

Chalah, M., Ayache, S.: A scope of the social brain in multiple sclerosis: Insights from neuroimaging studies. Cognitive and Behavioral Neurology 2020

Cotter, J. et al.: Social cognitive dysfunction as a clinical marker: A systematic review of meta-analyses across 30 clinical conditions. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 84, 2018

Ives-Deliperi, V. L., Jokeit, H.: Impaired social cognition in epilepsy: A review of what we have learnt from neuroimaging studies. Frontiers in Neurology 10, 2019

Schilbach, L.: Towards a second-person neuropsychiatry. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences 371, 2016

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