Direkt zum Inhalt

Spuren einer Dinosaurierjagd

Vor 50 Jahren in Texas entdeckte Trittsiegel dokumentieren allen Indizien zufolge, wie ein räuberisches Reptil einen der großen Pflanzenfresser der Kreidezeit verfolgte. Wahrscheinlich hat sich den Fährten sogar der erste Sprung der Attacke eingeprägt.

Ende der dreißiger Jahre wurde in den Vereinigten Staaten wieder einmal eifrig nach Überresten von Dinosauriern gegraben. Eine der ergiebigsten Fundstätten, am Ufer des Paluxy mitten in Texas, enthielt zwar keinen einzigen fossilen Knochen, aber einen langen Trampelpfad.

Dort waren vor rund 100 Millionen Jahren etliche der gigantischen Reptilien des Erdmittelalters über feuchten Grund getrottet. Die Trittsiegel müssen dann schnell von Sedimenten überdeckt worden sein, sind darunter ausgehärtet und allmählich versteinert, doch durch Erosion schließlich wieder zutage gekommen.

Für die Wissenschaft sind solche Spuren, wie man sie auch anderwärts in der Welt gefunden hat, von besonderem Wert. Allein an ihnen läßt sich direkt ablesen, wie die Riesentiere sich auf ihren Beinen gehalten und bewegt haben mögen. Das räumt mit vielen Spekulationen auf und ergänzt sonstige Hinweise auf ihr Verhalten. Paläontologen konnten so auch die Fortbewegungsgeschwindigkeit einzelner Arten berechnen und feststellen, welche in Herden umherzogen.

Außergewöhnlich ist selbst im Vergleich dazu, was dem Fossiliensucher Roland T. Bird, der im Auftrag von Barnum Brown vom Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York arbeitete, am Paluxy auffiel. Er hatte den Dinosaurierweg 1938 entdeckt und legte ihn 1940 teilweise frei. Bevor das Gestein dann in große Platten geschnitten und in Museen gebracht wurde (Bild 3), kartierte und photographierte er die Abdrücke sorgfältig. Dabei bemerkte er zwei Fährten, die eine dramatische Begebenheit nachvollziehen ließen: Ein Raubsaurier war anscheinend, sich etwas links davon haltend, einem mächtigen Pflanzenfresser gefolgt, der offenbar im Verband mit Artgenossen dort entlangmarschiert war. Der harmlose Koloß, der auf allen vieren dahinstapfte, dürfte wohl ein Sauropode gewesen sein und gehörte damit zu den größten Landtieren aller Zeiten, den Elefantenfuß-Dinosauriern, die bis zu 30 Meter lang wurden und dann schätzungsweise um die 80 Tonnen wogen; mutmaßlich war es ein Vertreter der Gattung Pleurocoelus. Der nur auf den Hinterbeinen rennende Raubsaurier war vermutlich ein Acrocanthosaurus, ein Theropode von immerhin zwei oder drei Tonnen Gewicht (fast so viel wie eine Elefantenkuh).

Bird vermerkte später auch, daß der Fleischfresser zwischendurch einmal gehüpft sein muß: An einer Stelle folgen zwei Abdrücke des rechten Hinterfußes aufeinander. Das könnte der Moment gewesen sein, folgerte der Forscher, in dem der Räuber seine anvisierte Beute anzuspringen versuchte.

Mit dieser Deutung erntete Bird damals bei den meisten seiner Fachkollegen nur Spott. Inzwischen meinen aber manche Experten, daß er vielleicht doch recht hatte. Einige unerwartet aufgetauchte Indizien gaben nämlich Anlaß, den Fund neuerlich zu sichten. Daran waren wir beteiligt.


Akten ausgraben

Es begann damit, daß sich die Texas Christian University in Fort Worth 1984 – sechs Jahre nach Birds Tod – entschloß, seine Autobiographie zu veröffentlichen, die dann unter dem Titel "Bones for Barnum Brown" erschien. Deswegen bat man mich (Farlow), das Manuskript durchzusehen und als Herausgeber mitzuwirken. Zu meinem Erstaunen verwies Bird in dem Text auf verschiedene Zeichnungen und Photos von der Ausgrabung am Paluxy, von deren Existenz die Fachwelt bis dahin nichts geahnt hatte.

Angehörige Birds, die wir davon unterrichteten, fanden tatsächlich noch etliches Material über diesen Fundort, darunter die Aufnahmen und einige große Skizzen der fraglichen Abdrücke. Das sind aufschlußreiche Zeugnisse, denn heute kann niemand mehr die Fährten unversehrt betrachten – größere Abschnitte liegen in naturkundlichen Sammlungen, außer der in New York im Texas Memorial Museum in Austin; und die an Ort und Stelle belassenen Reste sind von Hochwasser überspült worden, das Feinheiten der Abdrücke erodierte und das ganze Ufer unter angeschwemmtem Material begrub.

Die Skizzen und Photos sind so detailgenau, daß ich den Verlauf der beiden Fährten daran Schritt für Schritt studieren konnte. In einer umfangreichen Monographie folgerte ich 1987, daß der Räuber dem gigantischen Sauropoden tatsächlich auf den Fersen gewesen sein dürfte. Was aber den eigenartigen Hüpfschritt betraf, mußte ich eine Deutung einstweilen offenlassen, bis sich ein Künstler der Sache annahm – hier nun mein Koautor.


Skulpturen für die Wissenschaft

Die Stadtverwaltung von Albuquerque beauftragte mich (Thomas) 1983, für das dortige Museum für Naturgeschichte und Naturkunde des Bundesstaates New Mexico ein lebensgroßes Dinosauriermodell zu schaffen. Nachdem die Skulptur aufgestellt war, kamen mehr solcher Nachfragen von verschiedenen Museen in aller Welt.

Damit die Haltung der Bronze- oder Fiberglasfiguren einigermaßen lebensecht wirkte, mußte ich auch wissen, wie die urmächtigen Echsen sich bewegt haben. Langsam abgespielte Filme von großen Säugetieren wie Elefanten lassen erkennen, daß sie oft mit dem Hinterfuß in den Stapfen des Vorderfußes derselben Seite treten, also beide gleichzeitig anzuheben vermögen. Heutige Reptilien hingegen schwingen jeweils die diagonal einander gegenüberliegenden Beine zugleich vor und setzen deswegen den Hinterfuß schon auf, wenn der gleichseitige Vorderfuß noch am Boden ist.

Die gigantischen pflanzenfressenden Dinosaurier haben Fährtenmuster hinterlassen, die an die heutiger Säuger erinnern. Wie aus Birds Dokumenten deutlich zu ersehen ist, überlappten auch im Sediment am Paluxy viele Abdrücke einer Seite einander zumindest teilweise.

Noch in anderer Hinsicht war das Verhalten von Säugern hilfreich bei der Fährten-Analyse. Wenn Raubkatzen wie etwa Löwinnen beim Verfolgen eines großen Beutetiers zu ihm aufschließen, pflegt die erste im Rudel vor dem Ansprung ihre Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit auf die des Opfers abzustimmen – und gewöhnlich fällt sie sogar in den gleichen Galopprhythmus (Bild 2). Aus der vollkommen angepaßten Bewegung heraus vermag sie dann das oft viel größere, eigentlich stärkere und mitunter wild ausschlagende Opfer mit einem kraftvolle Satz zu überwältigen.

Als wir uns Zeitlupenfilme von jagenden Löwen, Leoparden, Geparden und Hyänen ansahen, entdeckten wir nur wenige Szenen, in denen sie eindeutig nicht in den Rhythmus des flüchtenden Beutetiers – ob Büffel, Zebra oder Antilope – verfielen. Das waren aber auch meist Situationen, in denen der Angreifer plötzlich aus einem Hinterhalt zuschlug. Offenbar ist es dann günstiger, die Überraschung auszunutzen, als sich erst in die normale Ansprungposition zu bringen. Des weiteren unterblieb die Koordination bei sehr kleinen Beutetieren, sicherlich weil der Aufwand in dem Falle überflüssig oder gar hinderlich wäre.

Gewiß kann und darf man diese Beobachtungen nicht einfach auf Dinosaurier übertragen. So haben die gigantischen Reptilien sich im Vergleich zu modernen Säugetieren recht behäbig bewegt. Die auf den Hinterbeinen laufenden Raubsaurier konnten nicht galoppieren – was die Raubkatzen in allen von uns studierten Filmen taten; vermutlich vermochten sie allenfalls leicht zu traben. Die schnellstmögliche Gangart des ungeschlachten Sauropoden dürfte ein mehr oder weniger flotter Marsch gewesen sein. Dennoch sieht es so aus, als hätte sich am Paluxy in der frühen Kreidezeit eine Verfolgung mit dem vorteilhaften synchronen Schrittrhythmus abgespielt.


Die mutmaßliche Attacke

Nun könnte man einwenden, der Raubsaurier sei wohl einfach in derselben Richtung direkt am damaligen Flußufer entlanggelaufen wie einige Zeit vorher – Stunden oder gar Tage – der Sauropode. Dem ist entgegenzuhalten, daß dafür beide Fährten in bestimmten Details eigentlich zu gut zusammenstimmen. Keineswegs verlaufen sie nur ungefähr parallel. Vielmehr folgen sie beide einem großen Linksbogen mit mehreren leichten seitlichen Abweichungen. So etwas kann kaum Zufall sein, sondern nur zustande kommen, wenn das zweite Tier dem ersten dicht auf den Fersen ist und dessen Bewegungen mitmacht (Bild 4).

Zu dieser Vermutung paßt, was in dem kreidezeitlichen Sediment gar nicht mehr zu sehen, wohl aber daraus zu erschließen ist: Kurz vor der Stelle, wo die von Bird freigelegten und kartierten Fährten aufhören, haben sich beide Tiere noch etwas schärfer nach links gewendet – doch diese Richtung dann offenbar nicht weiter verfolgt; denn links dicht daneben verlaufen noch andere Fährten, die sie sonst gekreuzt haben müßten. Man kann also annehmen, daß Sauro- und Theropode sich plötzlich nach rechts gewendet haben. So viele Übereinstimmungen in den Abweichungen von der Hauptbewegungsrichtung dürften wohl bedeuten, daß die beiden Tiere interagiert haben.

Die unseres Erachtens plausibelste Erklärung der fossilen Spuren ist somit, daß der Raubsaurier den großen Pflanzenfresser verfolgte. Wahrscheinlich hat er sich dessen linker Flanke von hinten genähert, hielt aber zunächst noch einigen Abstand, vielleicht um die Beute zuerst einmal einzuschätzen. Als nächstes könnte er seinen Lauf dem Rhythmus und der Schrittlänge des Vierbeiners angeglichen haben, denn über eine längere Strecke sind die Trittsiegel beider Tiere bemerkenswert symmetrisch: Etwa ein gutes halbes Dutzend Male setzte der Räuber seinen rechten Fuß in oder neben den Stapfen, den der Sauropode mit seinem linken Hinterfuß machte – genau wie man es erwarten würde, wenn er ihm so dicht wie irgend möglich nachgehetzt wäre, ohne allerdings gleich aufzulaufen.

Spekulativer ist allerdings Birds These, daß der Räuber sein Opfer auf halber Strecke der freigelegten Fährten angesprungen habe. Doch außer dem Umstand, daß hier ein Abdruck seines linken Fußes fehlt, gibt es noch ein weiteres Indiz dafür, auf das uns erst Birds Aufzeichnungen gebracht haben: Wenige Schritte danach schleifte der Pflanzenfresser einmal mit dem rechten Hinterfuß über den Boden, als sei er – wie bei einer Attacke leicht vorstellbar – eingeknickt oder gestrauchelt; diesen Abdruck hat jetzt das Texas Memorial Museum (Bild 3 unten rechts). Außerdem kann man aus dem Verlauf der Spuren herauslesen, daß der verfolgte Koloß sich womöglich schon kurz vor dem Ansprung zur Wehr setzte und den Widersacher mit seinem massigen Körper etwas nach links abzudrängen suchte.

Vieles an dieser Szenerie läßt sich nicht zweifelsfrei beweisen. Gänzlich offen bleibt, ob der Raubsaurier allein auf Beute aus war und warum gerade dieser Pflanzenfresser aus der Herde dazu ausersehen wurde. Die Fährten deuten nur einen kleinen Ausschnitt einer Episode im Erdmittelalter vor gut 100 Millionen Jahren an; doch ihr Entdecker wandte wohl nicht zuviel Phantasie auf, als er sich anhand der Spuren vorstellte, wie es zwischen einem behenden Theropoden und einem schwerfälligen Sauropoden um Leben und Tod ging.


Literaturhinweise

Lower Cretaceous Dinosaur Tracks, Paluxy River Valley, Texas. Von James O. Farlow. South Central G. S. A., Baylor University, 1987.

The Dinosaurs of Dinosaur Valley State Park. Von James O. Farlow. Texas Parks und Wildlife Press, 1993.

The Complete Dinosaur. Herausgegeben von James O. Farlow und M. K. Brett-Surman. Indiana University Press, 1997.

Auf den Spuren der Dinosaurier. Dinosaurierfährten – Eine Expedition in die Vergangenheit. Von Martin Lockley. Birkhäuser, Basel, Boston, Berlin 1993.

Saurier und Urvögel. Spektrum der Wissenschaft. Digest 5. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg 1997.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1998, Seite 86
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.