Universitäten: Stärken stärken, Schwächen abbauen
Die Universitäten in Deutschland sind reformbedürftig. Der Autor, Quantenphysiker und seit September Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, hat zehn Forderungen für die weitere Entwicklung der Hochschulen formuliert.
Verschiedene, von international besetzten Expertengruppen durchgeführte Evaluationen haben Schwächen des deutschen Universitätssystems aufgezeigt. In unabhängigen Gutachten ist übereinstimmend die Rede davon, dass die Leistungsfähigkeit und Effektivität der deutschen Wissenschaft in der Produktion, Vermittlung und Verbreitung des Wissens durch Universitätsverfassung und Strukturen der Universitäten erheblich eingeschränkt ist. Verlangt werden mehr Eigenverantwortung und ein Qualitätsmonitoring. Gefordert wird ferner, Forschungsarbeiten mehr an zukunftsträchtigen Wissensgebieten zu orientieren, starre Abgrenzungen der Fächer aufzubrechen und interdisziplinäres Arbeiten stärker zu unterstützen. In der Lehre wird unter anderem angemahnt, mehr gegliederte Studiengänge anzubieten und das Studium unter Gesichtspunkten der Internationalität und Interdisziplinarität neu zu ordnen.
Für die Universitäten gibt es somit Herausforderungen für die Zukunft, die sie annehmen müssen, um im nationalen und internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können.
Die folgenden Thesen umreißen Leitlinien für die zukünftige Entwicklung der Universitäten als Institution im Ausbildungs- und Wissenschaftssystem.
1. Die Universität ist ein Gemeinwesen
Die Hochschule muss sich wieder als Universität im eigentlichen Sinne verstehen: Sie dient der Pflege der Gesamtheit der Wissenschaften. Es muss ein Gemeinschaftsgefühl entstehen. Teamgeist ist gefordert gemäß dem Motto: "Nur gemeinsam sind wir stark." Die Identifikation der Studierenden und aller Universitätsangehörigen mit der Universität muss gefördert werden.
Die Universität muss sich als Ort der Wissenschaft, nicht nur der Forschung verstehen. Wissenschaft und die Vermittlung von Wissen (die Lehre) leben vom Gespräch, das heißt, persönliche Kontakte der Lehrenden mit den Lernenden sowie der Lehrenden untereinander sind wichtig und müssen gepflegt werden.
2. Inhalte sind wichtiger als Strukturen: Die beste Idee muss sich durchsetzen können
Gemeinsame Ziele müssen inhaltlich begründet werden, und zwar über Studiengänge und Forschungsrichtungen. Die Strukturen müssen so beschaffen sein, dass sie den Zielen der Universität optimal nutzen. Alle Mitglieder der Universität müssen zur Partizipation bereit sein und auch partizipieren können. Dies gilt für alle Bereiche der Uni: Lernende, Lehrende, Forschende und das nichtwissenschaftliche Personal. Im Vordergrund muss stehen: "Bottom up" (Organisation von unten nach oben) in Lehre und Forschung, gepaart mit gezielten Initiativen der Gremien und der Amtsträger.
3. In der Lehre muss die Universität stärker zum Dienstleister werden: Kunden sind die Studierenden
Die Studierenden müssen durch ein gegliedertes Studium besser auf das Berufsleben vorbereitet werden und können sich offen halten, später weiter zu studieren. Dabei muss der Grundsatz "Lehre aus Forschung" gelten. Wir brauchen Studiengänge mit international kompatiblen Abschlüssen: Die internationale Vergleichbarkeit ist wichtig für ein Studium im Ausland und, um mehr Ausländer für ein Studium in Deutschland zu gewinnen. Damit wird in einigen Fächern Englisch als Unterrichtssprache an Bedeutung gewinnen. Die Gründung internationaler "Graduate Schools" ist anzustreben.
4. In Forschung und Lehre Schwer-punkte setzen: durch Profilbildung attraktiv sein
Die Universität muss in Forschung und Lehre Profil zeigen. Sie muss sowohl für die Studierenden als auch für die Wissenschaftler attraktiv sein. Eine Universität kann im Allgemeinen nicht alle Gebiete in Forschung und Lehre in voller Breite abdecken. Daher kommt thematischen Schwerpunktbildungen in den Bereichen der Stärken eine große Bedeutung zu (Stärken stärken, Schwächen abbauen).
5. Universitätspolitik ist in erster Linie Personalpolitik
Ein vorrangiges Ziel jeder Universität muss sein, die besten Wissenschaftler und Studierenden für sich zu gewinnen. Wichtig für das Gedeihen von Wissenschaft ist die Auseinandersetzung zwischen Lehrern und Lernenden auf hohem Niveau. Dafür braucht man die richtigen Leute: Universitätspolitik ist daher überwiegend Personalpolitik.
Der Frauenförderung ist dabei besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
6. Der wissenschaftliche Nachwuchs muss früher selbstständig werden
Der wissenschaftliche Nachwuchs benötigt klare Zeithorizonte im Sinne einer besseren Planungssicherheit für die berufliche Zukunft. Die frühe Selbst- und Eigenständigkeit der Nachwuchswissenschaftler in Lehre und Forschung muss erklärtes Ziel sein. Im Vordergrund sollte stehen:
- Promotionen sollten in drei Jahren abgeschlossen sein.
- Nachwuchsgruppen sollten vermehrt eingerichtet werden. Dies gilt insbesondere für thematische Neuorientierungen, für die im Moment keine freien Professuren zur Verfügung stehen.
- Die Habilitation sollte bis zum 35. Lebensjahr abgeschlossen sein. Auf die Habilitation als Einstellungsvoraussetzung zum Hochschullehrer sollte ganz verzichtet werden.
7. Mehr Interdisziplinarität
International wettbewerbsfähige Forschung erfordert, die starke disziplinäre Orientierung aufzugeben. Gerade Forschungsarbeiten auf zukunftsträchtigen Wissensgebieten setzen interdisziplinäres Arbeiten voraus.
Dazu bedarf es beweglicher Organisationsformen für die zeitweise Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und Gruppen. Interdisziplinarität muss sich an konkreten Themen und Projekten beweisen.
8. Mehr Autonomie für die Hochschulen
Die Universitäten müssen in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben eigenverantwortlich und mit größeren Entscheidungsspielräumen zu gestalten. Dies gilt in besonderem Maße für die Verwendung der Mittel, den Einsatz von Personal sowie für die Auswahl und Zulassung von Studierenden.
Die Leitungsstrukturen der Hochschulen sollten so gestaltet sein, dass Amt und Verantwortung zusammenfallen. Inneruniversitäre Entscheidungsprozesse müssen beschleunigt, die Kompetenzen der Hochschulleitung sollten gestärkt werden. Dabei muss gelten: Wer mehr entscheiden will, muss sich auch kontrollieren lassen (Prinzip der checks and balances).
9. Die Qualität muss stimmen
Wer mehr Autonomie anstrebt, muss auch seine Leistungsfähigkeit nachweisen können. Dazu bedarf es unter Zuhilfenahme externer Experten und unter Beteiligung der Universitätsmitglieder einer ständigen Evaluation – also einer Überprüfung und Gewährleistung der Qualität der Arbeit der Universität in Lehre und Forschung.
Für besondere Leistungen sind positive Anreizsysteme zu entwickeln.
10. Die Öffentlichkeitsarbeit muss verstärkt, das "Public Understanding of Science and Humanities" muss gefördert werden
Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig: Die Öffentlichkeit muss besser informiert werden, was an unseren Hochschulen gelehrt und geforscht wird. Die Universitäten müssen sich positiv ins Gespräch bringen – regional, national und international. Wissenschaft muss als spannend und unterhaltsam empfunden werden.
Die Wissenschaftler können nicht mehr die Rolle als "Hohepriester der Wissenschaft" spielen. Die offene Diskussion mit der Öffentlichkeit gerade bei kontroversen Themen muss aufgenommen werden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2000, Seite 93
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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