Stärken und Schwächen der deutschen Umweltforschung
Kein großes wissenschaftliches Fachgebiet ist bisher in Deutschland so umfassend und kritisch bewertet worden wie die Umweltforschung. Schon zu Beginn der Evaluation der außeruniversitären Einrichtungen in Ostdeutschland 1991 hatte sich der Wissenschaftsrat auf diese Überprüfung festgelegt. Auf rund 1200 Schreibmaschinenseiten legt er jetzt Stärken und Schwächen aller öffentlich geförderten Institutionen der Umweltforschung in den alten Bundesländern und erste Erkenntnisse aus dem Vollzug seiner Empfehlungen für die neuen Bundesländer dar.
Deutsche Wissenschaftler betreiben zwar seit langem und erfolgreich ökologische Forschung, spielen aber im internationalen Vergleich zur Zeit keine führende Rolle. In den USA beispielsweise wird die ökologische Theorie hingegen stärker vorangetrieben.
Schwächen zeigen sich insbesondere, weil Umweltforschung nicht in den traditionellen Fächerkanon paßt. Sie betrifft sozusagen die Außenwelt des Menschen und deren Wechselwirkungen mit ihm. Nicht nur Naturwissenschaftler und Techniker, sondern auch Psychologen, Soziologen, Kulturwissenschaftler, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler erforschen, wie menschliche Individuen und Gesellschaften ihre Umwelt beeinflussen und von ihr beeinflußt werden.
Diese prinzipielle Interdisziplinarität und die Beteiligung von Gesellschafts- und Geisteswissenschaften bereiten der deutschen Umweltforschung große Probleme, meint Professor Gotthilf Hempel. Er ist Vorsitzender einer Arbeitsgruppe von vier Mitgliedern des Wissenschaftsrats und acht externen Experten, die in den letzten drei Jahren in zahlreichen Reisen quer durch Deutschland sowie in zwei ostdeutschen Regionalkonferenzen und fachbezogenen Klausuren Universitäten, Institute der Blauen Liste und Großforschungseinrichtungen, aber auch Max-Planck- und Fraunhofer-Institute sowie staatliche Forschungsanstalten besucht und geprüft hat. Besonderes Augenmerk galt den Hochschulen. Viele Universitäten haben in dem komplexen Feld der Umweltforschung interne Informationsprobleme, so daß ihnen die Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen und Institute sowie der Verbund mit anderen Einrichtungen schwerfallen.
Inhaltliche und strukturelle Empfehlungen
Die nun vorliegende Stellungnahme zur Umweltforschung in Deutschland ist in drei Teile gegliedert. Die inhaltlichen Aspekte betreffen zwölf Aufgabenfelder: Boden, Wald, Ökosysteme, Ökotoxikologie, Wasser, Luft und Atmosphäre, Meere und Polargebiete, Naturschutz und Landschaftspflege, Umweltbewußtsein und -verhalten, Umwelt und Gesundheit, Umwelt und Technik sowie Beiträge für außereuropäische Regionen. Die strukturellen Aspekte betreffen den Umfang von Förderung und Finanzierung, die verschiedenen Gruppen von Forschungseinrichtungen, institutionelle Struktur und Drittmittel, internationale Programme sowie umweltbezogene Lehre. Schließlich werden die Umweltforschung betreibenden Einrichtungen in den einzelnen Regionen und Ländern vorgestellt und beurteilt.
Insgesamt haben Bund und Länder laut Bundesbericht Forschung 1992 rund 1,18 Milliarden Mark für Umweltforschung ausgegeben. Mehr als die Hälfte davon, 646 Millionen Mark, entfiel auf das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT). Sein derzeitiges Programm "Umweltforschung und Umwelttechnologie" läuft Ende dieses Jahres aus. Das für 1995 bis 1999 ge-plante Anschlußprogramm wird sich an dem Votum des Wissenschaftsrats orientieren, wie eine im März veröffentlich- te "Umwelt-FuE-Strategie" des BMFT zeigt. Auch Hempel bestätigt die dort festgelegte neue Tendenz, "daß nicht mehr die Wissenschaft durch Vorlage ihrer Anträge bestimmen sollte, was geforscht wird, sondern daß der Forschungsbedarf im Dialog mit Wissenschaft und Technik und insbesondere auch mit den potentiellen Nutzern der Ergebnisse sowie orientiert an zu lösenden Problemen definiert" wird.
Das macht freilich die umweltbezogene Grundlagenforschung nicht überflüssig. Auf ihr besteht vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie gibt freilich zu, daß die Bedeutung derartiger Projekte für die Umwelt vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern vielfach nicht unmittelbar zu erkennen ist. Für die DFG ist es zudem nicht einfach, sich von den fachspezifischen Strukturen der Universitäten zu trennen, denn ihre Gutachter sind in der Regel jeweils ihrer eigenen Disziplin verbunden. Die DFG will aber künftig in der Umweltforschung zunehmend – ganz im Sinne des Wissenschaftsrates – fachübergreifende Schwerpunktprogramme, Forschergruppen, Sonderforschungsbereiche sowie Innovations- und Graduiertenkollegs fördern.
Es gibt allerdings auch heute schon vorbildliche Beispiele für interdisziplinäre und gleichzeitig praxisorientierte Umweltforschung, etwa in der Universität Trier mit Geographie/Geowissenschaften, Umweltrecht und Umweltökonomie oder in der Universität Stuttgart mit Bioverfahrenstechnik, Luftreinhaltung, Technischer Akustik und Lärmminderung sowie umweltgerechtem Bauen, außerdem in Umweltforschungszentren von Hochschulen wie Bayreuth oder Darmstadt sowie in Spezialeinrichtungen wie dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie (Spektrum der Wissenschaft, März 1993, Seite 104). Es soll als Mittler zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zur Pluralität der interdiziplinären sozioökonomischen Umweltforschung beitragen.
Vor allem die Universitäten, die mehr als bisher Träger der Umweltforschung sein sollten, haben die Chance, eine weitere allgemeine Lücke in der Umweltforschung zu decken: die Einbeziehung der Humanwissenschaften. Der Mensch werde bisher zu wenig als Verursacher und Opfer der Umweltpolitik gesehen, meint Hempel. Schon in seiner Stellungnahme zur Umweltforschung in den neuen Bundesländern hatte der Wissenschaftsrat diesen Punkt angemahnt. Selbst in der Meeresforschung sollen Natur- und Gesellschaftswissenschaften verknüpft werden. Die hervorragenden sozialwissenschaftlichen Ansätze in der Universität Bielefeld könnten ausgeweitet werden. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat einen hervorragenden Ruf in der Umweltforschung, worauf ebenfalls aufgebaut werden soll. Trotzdem: Das Umweltbewußtsein in Deutschland ist noch zu wenig ausgeprägt. Der Wissenschaftsrat führt dies unter anderem auf die Defizite der Geistes- und Sozialwissenschaften in der Umweltforschung zurück.
Bewertung regionaler Strukturen
Für Ostdeutschland hatte der Wissenschaftsrat eine Aufgliederung der Umweltforschung in drei Regionen empfohlen: Ostseeküste, nordostdeutsches Tiefland und hochbelastete Landschaften Mitteldeutschlands. Es lag nahe, ähnliche Strukturen auch für Westdeutschland zu finden oder die ostdeutschen zum Teil nach Westen hin auszudehnen. Doch scheinen die Landesgrenzen ziemlich unüberwindliche Hürden aufzurichten. Zwar gibt es das vorbildliche Regionale Klimaforschungsprogramm REKLIP, in dem Einrichtungen in Baden-Württemberg, der Schweiz und Frankreich kooperieren, sowie Landesprogramme für Umweltforschung in Baden-Württemberg und Bayern. Ansätze regionaler Zusammenarbeit zeigen zum Beispiel die Universitäten Trier, Kaiserslautern und Saarbrücken. Große Defizite in der Zusammenarbeit bestehen aber etwa zwischen den fränkischen Universitäten, zwischen dem hervorragenden Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und der dortigen Universität oder zwischen den benachbarten Universitäten Heidelberg und Mannheim.
Voraussetzung für die regionalen Verbünde in Ostdeutschland war, daß die einzelnen Institute klein gehalten werden. Dieses Prinzip soll auch im Westen verwirklicht werden – mit Ausnahmen. Im Gegensatz zur KFA Jülich nutzt jedoch das Kernforschungszentrum Karlsruhe die Vorteile der Großforschungseinrichtung zu wenig, und im GSF-Forschungszentrum Neuherberg stehen unterschiedliche Forschungsrichtungen unverbunden nebeneinander. Generell gilt für die Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen, daß ihr Forschungsverbund Umweltvorsorge schärfer auf die Probleme konzentriert werden sollte. Ein Forschungsbeirat wäre hilfreich bei der Definition dessen, was solche großen Einrichtungen in der Umweltforschung tun könnten.
Für die Institute der Blauen Liste stellt sich diese Frage nicht in der gleichen Schärfe. Immerhin sind neun der 13 mit Umweltforschung befaßten derartigen Institute erst vor kurzem in Ostdeutschland gegründet worden. Sie gelten in vieler Hinsicht als die idealen Stätten der Umweltforschung, weshalb auch überlegt wird, ob nicht manche Fraunhofer-Institute, die mit ihrer Umweltforschung angesichts der satzungsgemäß stark von Projektaufträgen abhängigen Finanz- politik der Fraunhofer-Gesellschaft in Schwierigkeit kommen, in Institute der Blauen Liste umgewandelt werden sollen, die von Bund und Land gefördert werden. Als vorzügliches Instrument haben sich die derzeit vom BMFT geförderten vier Ökosystem-Zentren erwiesen. Als Institute auf Zeit könnten sie ein Vorbild auch für andere Einrichtungen sein. Die Einrichtungen der Ressortforschung, also etwa das andere Forschungen nur koordinierende Umweltbundesamt, das Bundesgesundheitsamt und das Bundesamt für Naturschutz, sind für ihre Aufgaben gut ausgestattet. Abgesehen von ihrer für die Wissenschaft nachteiligen bürokratischen Struktur wird ihren Forschern geraten, sich mehr um Forschung zu kümmern, indem sie etwa für ein oder zwei Semester an eine Universität gehen.
Umweltforschung zum Thema Boden soll die Großforschungseinrichtungen stärker nutzen. In der Medizin sind Ökotoxikologie, Epidemiologie und Strahlenforschung in hohem Maße verbesserungswürdig. Im Bereich Wasser ist die Grundlagenforschung zu wenig entwickelt, die Limnologie in Konstanz droht verlorenzugehen. In der Meeresforschung sind die Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 1989 nur teilweise umgesetzt worden.
Im internationalen Bereich hat in Deutschland die Tropenforschung sehr nachgelassen. Für sie sollen mehrere Zentren eingerichtet werden. In der Umweltforschung in Europa und im globalen Maßstab spielt Deutschland zwar eine wichtige Rolle, vor allem als Geldgeber. Aber es scheint zur Zeit nicht imstande zu sein, prägenden Einfluß auf die Forschungsrichtungen auszuüben – eine Erscheinung, die weit über den Bereich der Umweltforschung hinaus zu beobachten ist. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die mittel- und osteuropäischen Länder. Dort könnte Deutschland beim Aufbau der Umweltwissenschaften in Forschung und Lehre wirksam helfen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1994, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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