Angemerkt!: Statistische Ausreißer
Warum viele psychologische Studien eigentlich nur "WEIRDs" betreffen
Wenn Psychologen ihre Forschungsergebnisse publizieren, sprechen sie zumeist vom Verhalten, den Reaktionsmustern oder Eigenschaften des Menschen schlechthin. Dabei stammen 99 Prozent der Erstautoren psychologischer Studien und 96 Prozent ihrer Probanden aus westlichen Industrienationen – rund zwei Drittel von Letzteren allein aus den USA. Und wiederum acht von zehn Versuchspersonen sind Psychologiestudenten!
Diese Zahlen präsentierten die Psychologen Joseph Henrich, Steven Heine und Ara Norenzayan von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) jüngst in einem Fachartikel, der für einige Unruhe in Fachkreisen sorgte. Ist die Variabilität innerhalb der menschlichen Gattung tatsächlich so gering, dass man getrost von US-Collegestudenten auf den Rest der Welt schließen kann? Henrich und seine Kollegen bezweifeln das.
Ihnen zufolge gibt es sogar kaum eine Gruppe, die untypischer für unsere Spezies sei als die "WEIRDs" (von Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic). Verglichen mit Vertretern traditioneller Gesellschaften aus nichtwestlichen Kulturen, aber auch mit weniger gebildeten Amerikanern weise die von Psychologen besonders bevorzugte Stichprobe so manche extreme Verhaltenstendenz auf.
Beim so genannten Ultimatumspiel etwa bekommt eine von zwei Versuchspersonen einen Geldbetrag und soll der anderen eine beliebige Summe davon abgeben. Akzeptiert der andere, kann jeder seinen Anteil behalten, sonst gehen beide leer aus. Streng rational wäre es nun, auch ganz kleine Beträge zu akzeptieren und selbst anzubieten, denn wenig ist immerhin besser als gar nichts. Der typische Psychologiestudent jedoch macht fast immer halbe-halbe; Angebote von weniger als einem Drittel weist er meist empört zurück. Die Standarderklärung von Forschern lautet: Der Mensch hat sich in Gesellschaften entwickelt, die auf Kooperation angewiesen sind. So lernte er, selbst fair zu sein und Unfairness zu bestrafen.
Vergleichsstudien mit Probanden aus 23 verschiedenen Gesellschaften, darunter kleine Jäger- und Hirtenvölker, zeichnen ein anderes Ergebnis: Menschen aus solchen Kulturen bieten meist wenig und akzeptieren immer. Das Verhalten von US-Studenten könnte also einer spezifischen sozialen Norm entspringen, die sich nur dort herausgebildet hat, wo die Geldwirtschaft und der Umgang mit Fremden ein besondere Rolle spielt.
Zudem definieren "WEIRDs" sich selbst eher über persönliche Eigenschaften, weniger durch ihre sozialen Rollen und Beziehungen. Bei Ostasiaten ist das häufig umgekehrt. Bekanntlich demonstrieren gerade Amerikaner oft ein extrem positives Selbstbild – fast alle halten sich für besser als der Durchschnitt –, und sie legen Wert auf Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit. Im asiatischen Kulturraum ist dies wiederum anders: Inder entscheiden zum Beispiel oft entgegen ihren eigentlichen Vorlieben und betrachten ihr Tun weniger als Ausdruck des persönlichen Willens, sondern eher als Dienst an der Gemeinschaft.
Aus alldem folgern Henrich und seine Kollegen nicht, dass Studien an US-Psychologiestudenten wertlos seien. Doch genüge es eben nicht, nur WEIRDs zu untersuchen und dann so zu tun, als sei diese Stichprobe repräsentativ. Ob Wahrnehmung, Denken oder Sozialverhalten: Die Variationsbreite menschlichen Erlebens ist sicherlich größer, als psychologische Studien suggerieren. So könnten auch Ergebnisse der Verhaltensgenetik wie etwa zur Erblichkeit von Intelligenz verzerrt sein, weil man statistische Ausreißer zur Norm für alle Menschen erhebt.
Sollte der Kreis der Probanden aus finanziellen oder anderen Gründen nicht erweitert werden können, bleibt wohl nur, manches Fachjournal umzutaufen. Kennen Sie schon das "Journal of American Undergraduate Psychology Students' Psychology"?
Diese Zahlen präsentierten die Psychologen Joseph Henrich, Steven Heine und Ara Norenzayan von der University of British Columbia in Vancouver (Kanada) jüngst in einem Fachartikel, der für einige Unruhe in Fachkreisen sorgte. Ist die Variabilität innerhalb der menschlichen Gattung tatsächlich so gering, dass man getrost von US-Collegestudenten auf den Rest der Welt schließen kann? Henrich und seine Kollegen bezweifeln das.
Ihnen zufolge gibt es sogar kaum eine Gruppe, die untypischer für unsere Spezies sei als die "WEIRDs" (von Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic). Verglichen mit Vertretern traditioneller Gesellschaften aus nichtwestlichen Kulturen, aber auch mit weniger gebildeten Amerikanern weise die von Psychologen besonders bevorzugte Stichprobe so manche extreme Verhaltenstendenz auf.
Beim so genannten Ultimatumspiel etwa bekommt eine von zwei Versuchspersonen einen Geldbetrag und soll der anderen eine beliebige Summe davon abgeben. Akzeptiert der andere, kann jeder seinen Anteil behalten, sonst gehen beide leer aus. Streng rational wäre es nun, auch ganz kleine Beträge zu akzeptieren und selbst anzubieten, denn wenig ist immerhin besser als gar nichts. Der typische Psychologiestudent jedoch macht fast immer halbe-halbe; Angebote von weniger als einem Drittel weist er meist empört zurück. Die Standarderklärung von Forschern lautet: Der Mensch hat sich in Gesellschaften entwickelt, die auf Kooperation angewiesen sind. So lernte er, selbst fair zu sein und Unfairness zu bestrafen.
Vergleichsstudien mit Probanden aus 23 verschiedenen Gesellschaften, darunter kleine Jäger- und Hirtenvölker, zeichnen ein anderes Ergebnis: Menschen aus solchen Kulturen bieten meist wenig und akzeptieren immer. Das Verhalten von US-Studenten könnte also einer spezifischen sozialen Norm entspringen, die sich nur dort herausgebildet hat, wo die Geldwirtschaft und der Umgang mit Fremden ein besondere Rolle spielt.
Zudem definieren "WEIRDs" sich selbst eher über persönliche Eigenschaften, weniger durch ihre sozialen Rollen und Beziehungen. Bei Ostasiaten ist das häufig umgekehrt. Bekanntlich demonstrieren gerade Amerikaner oft ein extrem positives Selbstbild – fast alle halten sich für besser als der Durchschnitt –, und sie legen Wert auf Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit. Im asiatischen Kulturraum ist dies wiederum anders: Inder entscheiden zum Beispiel oft entgegen ihren eigentlichen Vorlieben und betrachten ihr Tun weniger als Ausdruck des persönlichen Willens, sondern eher als Dienst an der Gemeinschaft.
Aus alldem folgern Henrich und seine Kollegen nicht, dass Studien an US-Psychologiestudenten wertlos seien. Doch genüge es eben nicht, nur WEIRDs zu untersuchen und dann so zu tun, als sei diese Stichprobe repräsentativ. Ob Wahrnehmung, Denken oder Sozialverhalten: Die Variationsbreite menschlichen Erlebens ist sicherlich größer, als psychologische Studien suggerieren. So könnten auch Ergebnisse der Verhaltensgenetik wie etwa zur Erblichkeit von Intelligenz verzerrt sein, weil man statistische Ausreißer zur Norm für alle Menschen erhebt.
Sollte der Kreis der Probanden aus finanziellen oder anderen Gründen nicht erweitert werden können, bleibt wohl nur, manches Fachjournal umzutaufen. Kennen Sie schon das "Journal of American Undergraduate Psychology Students' Psychology"?
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