Statistische Erhebung zum Fahrrad als Nutzfahrzeug
Über das Fahrrad als Verkehrs- und Transportmittel in Industrie und Institutionen des öffentlichen Lebens gibt es bislang keine Statistiken, dementsprechend wird es als Nutzfahrzeug von den Medien, Verkehrsplanern und -forschern kaum zur Kenntnis genommen. In der Arbeitseinheit Umweltpsychologie der Ruhr-Universität Bochum suchen wir mit dem Projekt "Wirtschaftsverkehr mit nichtmotorisierten Fahrzeugen – das Fahrrad als Nutzfahrzeug" entsprechende Daten systematisch zu erheben und wissenschaftlich etwa im Hinblick auf die Motivation zum Radeinsatz in Unternehmen zu verwerten.
Insgesamt 305 Kurzfragebögen haben wir dazu an die größten Unternehmen der deutschen Wirtschaft und an einzelne Werke dieser Firmen versandt. Weitere 1300 erhielten Institutionen des öffentlichen Lebens wie Bundes- und Landesministerien, die Bundeswehr, die Polizei sowie Verwaltungen aller deutschen Großstädte und Hochschulen.
Uns interessierte zunächst die jeweilige Anzahl der bereitgestellten Räder, des weiteren, wo sie eingesetzt werden, etwa in Werkshallen, auf einem bestimmten Gelände oder auch im öffentlichen Straßenverkehr. Zudem war gefragt, welche Personengruppen zu welchem Zweck sich des Fahrrades bedienen, beispielsweise um Kleingüter zu transportieren oder selbst zum Arbeitsplatz zu gelangen. Auch waren Angaben zur Motivation der jeweiligen Organisation oder Firma erbeten, aber auch dazu, was sie an einer stärkeren Nutzung von Fahrrädern oder ihrem Einsatz überhaupt hindert.
Die Erhebung bei der Industrie ist mittlerweile abgeschlossen – eine Rücklaufquote von 60 Prozent spricht für reges Interesse an diesem Thema und große Kooperationsbereitschaft. Bei der noch laufenden Auswertung zeichnen sich einige Trends und Kenngrößen bereits ab.
Etwa 70 Prozent der antwortenden Unternehmen setzen Räder ein – manche zwar nur eines, andere aber beträchtliche Zahlen (Bild links). Je großflächiger die Produktionsanlagen sind, desto mehr Räder sind in Betrieb, denn sie werden meist zum Transport von Kleingütern wie Ersatzteilen oder Werkzeugen, für Kontrollfahrten oder der Fahrt zum Arbeitsplatz auf dem Gelände genutzt. In neun der Werke, die unsere Liste anführen, kommen nicht nur normale Damen- und Herrenräder, sondern – mitunter sogar in beträchtlicher Anzahl – auch Spezialkonstruktionen wie Lastenräder zum Einsatz.
Über die Verfügbarkeit orientiert das Verhältnis der Zahlen von Beschäftigten und Rädern. Lediglich drei der absolut führenden Werke gehören auch nach diesem Kriterium zu den ersten zehn: Henkel, BASF und Wacker Chemie (Bild rechts). Wir meinen, daß die Verfügbarkeit anzeigt, welche Bedeutung ein Unternehmen dem Fahrrad in Produktion und Organisation beimißt. Es ist beispielsweise nicht verwunderlich, daß vier Raffinerien auf den ersten fünf Rängen zu finden sind, weil auf deren Werksgeländen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren die Explosionsgefahr erhöhen würden. Aus den Daten läßt sich mithin nicht schließen, daß den Unternehmen mit absolut oder relativ vielen Fahrrädern primär am ökologisch verträglichen Verkehrsverhalten gelegen wäre; doch sie tragen sicherlich sowohl zum Umwelt- wie zum Arbeitnehmerschutz bei und geben so ein Vorbild.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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