Sterne mit superweicher Röntgenstrahlung
Vor wenigen Jahren entdeckten die Astronomen einen neuen Sterntyp, der Röntgenstrahlung ungewöhnlich niedriger Energie aussendet. Diese sogenannten superweichen Quellen sind offensichtlich Weiße Zwergsterne, die ihre Begleiter allmählich aufsaugen und danach zumeist als Supernova des Typs Ia explodieren.
eit den dreißiger Jahren wissen die Astronomen, daß gewöhnliche Sterne ihre Strahlungsenergie aus der Fusion von Atomkernen in ihrem Inneren beziehen. Im Zentrum der Sonne beispielsweise verschmelzen jede Sekunde 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu Helium, wobei Röntgen- und Gammastrahlung freigesetzt wird. Die Energie bahnt sich nach und nach einen Weg durch die dicken Gasschichten nach außen; von einer dünnen Schicht an der Sternoberfläche wird sie schließlich als sichtbares Licht abgestrahlt.
Vor kurzem entdeckten die Wissenschaftler jedoch einen neuen Sterntyp, bei dem die Kernfusion nicht tief im Inneren stattfindet, sondern in den äußersten Schichten, dicht unterhalb der Oberfläche. Offenbar handelt es sich dabei um Weiße Zwerge – ausgebrannte Sterne hoher Dichte, die ihren Kernbrennstoff bereits aufgebraucht haben –, die zusammen mit einem normalen Stern ein enges Doppelsystem bilden. Der kompakte Zwergstern zieht mit seiner Schwerkraft von dem Begleiter Wasserstoffgas ab und sammelt es auf seiner eigenen Oberfläche an. Dort können nun erneut Fusionsreaktionen ablaufen, und die freigesetzte Energie wird in Form von weicher Röntgenstrahlung emittiert – also solcher mit relativ großer Wellenlänge, die dem ultravioletten Bereich des elektromagnetischen Spektrums direkt benachbart ist. Diese ungewöhnliche Klasse von Sternen bezeichnet man deshalb als leuchtkräftige superweiche Röntgenquellen. Da die Masse der Zwergsterne durch den Materieübergang beständig zunimmt, werden sie irgendwann instabil. Sie kollabieren dann entweder zu einem noch dichteren Neutronenstern, oder sie explodieren.
Das Bersten eines Weißen Zwerges in einem Doppelsternsystem vermuten die Astronomen zwar schon seit langem als Ursache für eine bestimmte Form von Supernova-Explosionen. Doch erst mit der Entdeckung der superweichen Röntgenquellen gelang nun die Identifikation eines Sterntyps, der tatsächlich auf diese Weise explodieren kann. Die Bedeutung dieser Entdeckung geht indes weit über die Stellar-Astronomie hinaus: Supernovae vom Typ Ia sind nämlich wichtige "Standardkerzen", mit denen sich die Entfernung von Galaxien und damit auch die Geschwindigkeit der kosmischen Expansion ermitteln läßt (siehe "Die Vermessung der Raumzeit mit Supernovae", Spektrum der Wissenschaft, März 1999, Seite 40). Die Werte dieser kosmologischen Größen sind jedoch noch mit gewissen Ungenauigkeiten behaftet, vor allem weil die physikalischen Mechanismen, die zu Supernova-Explosionen führen, nicht bekannt sind. Superweiche Quellen könnten nun diese Wissenslücke schließen.
Ein neuer Sterntypus
Die Entdeckungsgeschichte der superweichen Quellen begann 1990 mit dem Start des deutschen Röntgensatelliten ROSAT. Dieses erdumkreisende Observatorium führte die erste vollständige Himmelsdurchmusterung im Bereich der weichen Röntgenstrahlung durch. Die Wellenlängen dieser Strahlung sind 50- bis 1000mal kürzer als diejenigen des sichtbaren Lichts. Dies bedeutet, daß die Energie ihrer Photonen zwischen 0,09 und 2,5 Kiloelektronenvolt (keV) liegt. Mit Ausnahme des Einstein-Observatoriums der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, das einen Energiebereich von 0,2 bis 4 keV abdeckte, konzentrierten sich frühere Röntgensatelliten auf harte Röntgenstrahlung, deren Energie einige hundert keV beträgt.
Den Mitgliedern des ROSAT-Teams – geleitet von Joachim Trümper vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München – fielen bereits bei der ersten Beobachtung der Großen Magellanschen Wolke, einer kleinen Begleitgalaxie des Milchstraßensystems, einige besondere Objekte auf. Diese emittieren eine enorme Menge an Röntgenstrahlung, etwa das 5000- bis 20000fache der gesamten Strahlungsenergie der Sonne, aber das Spektrum ist unerwartet weich. Helle Röntgenquellen weisen im allgemeinen harte Spektren auf, mit einem Energiemaximum zwischen 1 und 20 keV, die von 10 Millionen bis 100 Millionen Grad heißem Gas erzeugt werden; es handelt sich dabei um Neutronensterne oder Schwarze Löcher in Doppelsternsystemen, die Materie von ihren Begleitern aufsaugen (siehe Röntgen-Doppelsterne, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1994, Seite 62). Die weichen Spektren des neuentdeckten Sterntyps weisen jedoch auf Gastemperaturen von nur einigen hunderttausend Grad hin. In einem farbigen Röntgenbild erschienen diese Quellen mit ihrer niedrigeren Photonenenergie rot, die harten Röntgenquellen hingegen blau (siehe Bild unten links).
Der Grund, warum man die superweichen Röntgenquellen nicht schon früher als eigenständige Sterngruppe erkannt hatte, ist die geringe Empfindlichkeit der früheren Röntgendetektoren bei niedrigen Energien. Nach der Entdeckung von ROSAT durchforsteten die Astronomen ihre Archive und stellten dabei fest, daß Knox S. Long und seine Kollegen am Columbia University Astrophysical Laboratory (CAL) zwei dieser Quellen schon vor zehn Jahren mit dem Einstein-Observatorium registriert hatten. Die als CAL 83 und CAL 87 bezeichneten Quellen wurden damals jedoch nicht anders klassifiziert als die anderen leuchtkräftigen Objekte in der Großen Magellanschen Wolke, obwohl das Team an der Columbia-Universität auf ihre ungewöhnlich weichen Spektren hingewiesen hatte.
Damals mutmaßten Anne P. Cowley und ihre Mitarbeiter an der Arizona State University, daß CAL 83 und 87 Schwarze Löcher sein müßten, in die Materie einströmt. Solche Objekte haben oft ein weicheres Spektrum als Neutronensterne. Gestützt wurde diese Erklärung in den achtziger Jahren durch die Entdeckung lichtschwacher Sterne an den Positionen beider Objekte. Ihre variierende Helligkeit war ein deutlicher Hinweis auf ein Doppelsternsystem, dessen Komponenten sich von der Erde aus gesehen periodisch bedecken. Die Periode der Helligkeitsschwankungen von CAL 83 beträgt nur einen Tag, diejenige von CAL 87 sogar nur 11 Stunden, wie zwei internationale Beobachtungskampagnen ergaben, die Alan P. Smale vom University College in London beziehungsweise Tim Naylor von der Keele University in England organisierten. Die verschiedenen Messungen zeigten, daß die sichtbaren Sterne, die den Brennstoff für die hypothetischen Schwarzen Löcher lieferten, die 1,2- bis 2,5fache Masse der Sonne haben sollten.
Die ROSAT-Beobachtungen erzwangen jedoch eine andere Erklärung, denn für Systeme mit Schwarzen Löchern waren die beiden Quellen viel zu kühl. Aus der beobachteten Helligkeit und der gemessenen Temperatur konnten die Astronomen die abstrahlende Oberfläche und – unter Annahme einer Kugelform – auch den Durchmesser der Objekte ermitteln. Für CAL 83, CAL 87 und die anderen Quellen in den Magellanschen Wolken ergaben sich Werte von 10000 bis 20000 Kilometern, was eher der Größe eines Weißen Zwergsterns entspricht. Dies ist der 500- bis 1000fache Durchmesser eines Neutronensterns beziehungsweise eines Schwarzen Loches von der Masse eines normalen Sterns. Als Trümper während einer Konferenz am Santa Barbara Institute for Theoretical Physics im Januar 1991 erstmals die ROSAT-Messungen der superweichen Quellen vorstellte, führten einige Zuhörer diese Überschlagsrechnung auf der sprichwörtlichen Rückseite eines Briefumschlags durch.
Einige Konferenzteilnehmer – darunter Jonathan E. Grindlay von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) – schlugen denn auch vor, daß es sich bei diesen Quellen um Weiße Zwerge handeln könnte, deren Röntgenstrahlung vom Aufprall von Gas auf ihrer Oberfläche hervorgerufen würde. Auf diese Weise entsteht die harte Röntgenstrahlung bei der Akkretion von Materie auf Neutronensternen und Schwarzen Löchern. Andere, zu denen Trümper und seine Kollegen Jochen Greiner und Günther Hasinger sowie Nikolaos D. Kylafis und Kiriaki M. Xilouris von der Universiät von Kreta gehörten, propagierten Neutronensterne, die irgendwie eine Gashülle mit einer Dicke von etwa 10000 Kilometern aufgebaut hätten. In beiden Fällen wäre die eigentliche Energiequelle die Gravitation: Die Schwerkraft würde die Materie zum Weißen Zwerg oder zum Neutronenstern ziehen, wo sich die kinetische Energie beim Aufprall auf die Oberfläche beziehungsweise innerhalb der Gashülle in Wärme und Strahlung umwandelte.
Suche nach Modellen
Beide Modelle waren attraktiv genug, um sie einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, und zwei von uns (van den Heuvel und Rappaport), die mit Dipankar Bhattacharya vom Raman-Forschungsinstitut in Bangalore (Indien) zusammenarbeiteten, konnten sofort damit anfangen. Die Konferenz war nämlich Teil eines halbjährigen Workshops in Santa Barbara, bei dem einige Dutzend Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern die Gelegenheit hatten, über Neutronensterne zu forschen.
Es wurde rasch deutlich, daß keines der beiden Modelle befriedigte. Die superweichen Quellen emittieren etwa dieselbe Leistung wie die hellsten Neutronensterne mit Massenzufluß in Doppelsternsystemen. Solche akkretierenden Neutronensterne sollten aber 500- bis 1000mal mehr Energie umsetzen als Weiße Zwerge, da die Schwerkraft auf ihrer Oberfläche entsprechend größer ist. (Bei Körpern mit gleicher Masse hängt die verfügbare Gravitationsenergie umgekehrt proportional vom Radius des Objekts ab.) Ein Zwergstern, der die Energieausstrahlung eines Neutronensterns erreichen wollte, müßte deshalb die Materie auch 500- bis 1000mal schneller aufsammeln. In einem dermaßen heftigen Gaszufluß – der einigen Erdmassen pro Jahr entspräche – wäre die zuströmende Materie so dicht, daß sie die gesamte Röntgenstrahlung absorbieren würde.
Die Annahme von Neutronensternen mit Gashüllen bereitete ebenfalls Schwierigkeiten. Die Hüllen wären nämlich um ein Vielfaches größer als der Neutronenstern – dessen Durchmesser etwa 20 Kilometer beträgt – und damit instabil: Sie würden entweder kollabieren oder innerhalb weniger Sekunden oder Minuten weggeblasen werden. CAL 83 und CAL 87 leuchten aber seit mindestens zehn Jahren. Der ionisierte interstellare Gasnebel um CAL 83, dessen Entstehung einige tausend Jahre dauerte, zeigt zudem, daß die Quelle sehr viel älter ist.
Kernenergie
Nach Wochen der Diskussion und Überprüfen der Modelle, von denen sich schließlich keines als tragfähig erwies, erkannten wir den entscheidenden Unterschied zwischen dem Materiezustrom auf Neutronensterne und Schwarze Löcher einerseits und demjenigen auf Weiße Zwerge andererseits. Im ersten Fall wird durch den Massetransfer viel mehr Energie umgesetzt als durch die Fusion der gleichen Menge Wasserstoff, im zweiten viel weniger. Die Kernfusion wandelt nämlich nur 0,7 Prozent der Masse in Energie um (nach Albert Einsteins berühmter Gleichung E = mc2 ist die Masse m der Energie E proportional; c ist die Lichtgeschwindigkeit). Die Akkretion von Masse auf einen Neutronenstern liefert bereits 10 Prozent dieses Energieäquivalents und bei einem Schwarzen Loch können es sogar 46 Prozent sein, bevor die Materie darin verschwindet. Der Materie-Einfall auf einen Weißen Zwerg, mit seinem vergleichsweise geringen Schwerefeld, setzt hingegen lediglich 0,01 Prozent der Masse in Energie um.
Deswegen wäre im Falle eines Zwergsterns die Kernfusion der effektivere Prozeß. Sofern sich der einströmende Wasserstoff auf der Oberfläche des Weißen Zwergs ansammelte und die Zündbedingungen erreicht würden, genügten bereits 0,03 Erdmassen pro Jahr, um die beobachtete Leuchtkraft im weichen Röntgenbereich hervorzurufen. Und wegen der relativ geringen Dichte der einströmenden Materie könnte die Röntgenstrahlung ungehindert entweichen.
Ist aber auf der Oberfläche eines Weißen Zwergs ein stationäres "Brennen" des Wasserstoffs überhaupt möglich? Gerade als wir diesen Aspekt diskutierten, traf Ken'ichi Nomoto von der Universität Tokio in Santa Barbara ein. Er war dieser Frage bereits in einem anderen Zusammenhang nachgegangen und wollte verstehen, was bei Nova-Explosionen geschieht. Bei einem solchen Ereignis steigert ein Stern seine Helligkeit unvermittelt auf das Zehntausendfache; die Eruption ist aber – im Gegensatz zu Supernova-Explosionen – nicht stark genug, um den Stern zu zerstören. Novae treten immer in engen Doppelsternsystemen auf, die aus einem Weißen Zwerg und einem sonnenähnlichen Stern bestehen. Bis zur Entdeckung der superweichen Quellen waren sie die einzigen bekannten derart engen Doppelsysteme (siehe "Die Nova V1974 Cygni", Spektrum der Wissenschaft, März 1995, Seite 56).
Mehr als zehn Jahre lang bauten Nomoto und andere Astronomen auf den Pionierarbeiten von Bohdan Paczy´nski und Anna Zytkow auf, die damals am Nicolaus-Copernicus-Zentrum für Astronomie in Warschau tätig waren. Ihnen zufolge ist tatsächlich auf der Oberfläche eines Zwergsterns Wasserstoffbrennen möglich. Die Art des Abbrands hängt dabei von der Akkretionsrate ab, also von der pro Zeiteinheit zugeführten Gasmenge. Ist sie kleiner als 0,003 Erdmassen pro Jahr, passiert lange Zeit zunächst nichts: Mehrere tausend Jahre kann die einströmende Materie passiv bleiben; übersteigt ihre Menge aber schließlich einen kritischen Wert, setzt an der Basis der Gasschicht schlagartig die Fusion ein. In einer thermonuklearen Explosion verbrennt der Stern seine Wasserstoffhülle und leuchtet als helle Nova auf.
Steigt die Akkretionsrate nur geringfügig an, wiederholt sich der Fusionsprozeß periodisch, verläuft aber nicht mehr explosionsartig. Je weiter die Rate ansteigt, desto kürzer werden die Intervalle zwischen den Fusionszyklen, bis schließlich oberhalb eines Schwellenwertes die Wasserstoffschicht an der Oberfläche dauerhaft brennt. Bei Weißen Zwergen mit der Masse der Sonne beträgt dieser Grenzwert etwa 0,03 Erdmassen pro Jahr. In den Simulationsrechnungen dieser Situation erzeugte die Fusion genau die weiche Röntgenstrahlung, die in den superweichen Quellen beobachtet wird.
Ist die Akkretionsrate höher als 0,12 Erdmassen pro Jahr, lagert sich die einströmende Materie nicht direkt auf der Oberfläche ab, sondern bildet eine ausgedehnte Hülle um den Zwergstern. Auf der Oberfläche laufen die Fusionsreaktionen weiter ab, doch die dichte Hülle absorbiert die Röntgenstrahlung und emittiert die Energie bei größeren Wellenlängen als ultraviolettes und sichtbares Licht. Neuere Rechnungen haben gezeigt, daß die so entstehende intensive Strahlung einen auswärts gerichteten Druck auf das Gas in der Hülle ausübt, so daß ein Teil davon als Sternwind in das All hinaus geblasen wird.
Schwankt die Akkretionsrate um einen Wert von 0,12 Erdmassen pro Jahr, kann das System zwischen zwei Phasen wechseln, in denen einmal die Röntgen-, ein andermal die optische Emission dominiert. Exakt dieses Verhalten weist die als RXJ0513.9-6951 bezeichnete superweiche Quelle auf, die Stefan G. Schaeidt vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik entdeckt hat. Sie kann wochenlang Röntgenstrahlung aussenden und dann mehrere Monate eine Ruhepause einlegen. Dieses alternierende Verhalten verwirrte die Astronomen bis 1996, als Karen A. Southwell und ihren Kollegen von der Universität Oxford (England) auffiel, daß auch das im Optischen sichtbare Gegenstück zu dieser Quelle einen Helligkeitswechsel aufweist. Dabei ist die sichtbare Komponente immer dann lichtschwach, wenn die Röntgenstrahlung intensiv in ihrer Helligkeit schwankt und umgekehrt (Bild Seite 74 unten). Das System läßt auch zwei Materiestrahlen erkennen, die in entgegengesetzte Richtungen mit einer Geschwindigkeit von 4000 bis 6000 Kilometern pro Sekunde abströmen. Solche Jets treten häufig dann auf, wenn eine Akkretionsscheibe um den Stern mehr Materie auf diesen ablädt, als er aufnehmen kann. Der Überschuß wird senkrecht zur Scheibenebene herausgeschleudert, weil dort keine einströmende Materie im Weg ist. Die Geschwindigkeit der Jets sollte ungefähr so groß sein wie die Entweichgeschwindigkeit an der Oberfläche des Sterns, die wiederum von dessen Masse abhängt. Die bei RXJ0513.9-6951 beobachteten Geschwindigkeitswerte weisen auf einen Weißen Zwerg als Objekt hin – ein weiteres Indiz für die Natur dieser Quellen.
Nicht jedes Doppelsternsystem kann so viel Materie bereitstellen, wie eine superweiche Quelle benötigt. Hat der Begleiter eine kleinere Masse als der Weiße Zwerg, was bei Nova-Systemen üblicherweise der Fall ist, beträgt der maximale Materiefluß 0,0003 Erdmassen pro Jahr. Dieser Grenzwert ist eine Folge der Drehimpulserhaltung: Während der Begleiter Masse verliert, weitet sich allmählich seine Bahn und der Gastransfer stabilisiert sich.
Vorläufer von Supernovae
Größere Gasmengen strömen nur von Partnersternen über, die massereicher als ein Weißer Zwerg sind. Dann bewirkt die Drehimpulserhaltung während des Massenaustausches ein Schrumpfen des Orbits. Die Sterne können dadurch einander so nahe kommen, daß sie sich gewissermaßen um die äußere Hülle des Begleiters streiten. Die gesamte Materie, die sich innerhalb eines als Roche-Volumen bezeichneten Bereichs befindet, bleibt im Anziehungsbereich des Begleiters. Materie außerhalb davon wird hingegen von der Schwerkraft des Zwergsterns angezogen. Der Masse verlierende Stern unterstützt praktisch noch seine eigene Zerstörung, denn die Energieerzeugung in seinem Inneren bleibt weitgehend unverändert. Dadurch wird in radialer Richtung ein Druck auf die äußeren Schichten des Sterns ausgeübt, der dessen ursprüngliche Form und Größe beizubehalten sucht. Die von seiner Oberfläche abströmende Materie wird deshalb fortwährend von unten ersetzt – ähnlich wie bei einem überkochenden Topf, der unablässig Wasser auf die heiße Herdplatte spuckt. Dieser Prozeß stabilisiert sich erst, wenn auch der Kern des Begleiters den Materieverlust zu spüren bekommt. Bei einem Stern von anfänglich zwei Sonnenmassen erfolgt die Rückkehr zum Gleichgewicht – und damit das Ende der Emission superweicher Röntgenstrahlung – sieben Millionen Jahre nach dem Einsetzen des Massenverlustes. Er ist dann auf ein Fünftel seiner ursprünglichen Masse geschrumpft und nun die kleinere Komponente des Doppelsystems. Während des Massentransfers betrug die mittlere Akkretionsrate auf den Zwergstern 0,04 Erdmassen pro Jahr.
Aufgrund dieser Erkenntnisse sagten wir 1991 voraus, daß viele superweiche Quellen Weiße Zwerge in einer engen Umlaufbahn (mit Perioden bis zu einem Tag) um einen Begleitstern seien, dessen ursprüngliche Masse 1,2 bis 2,5 Sonnenmassen betragen sollte. Tatsächlich entsprechen CAL 83 und 87 genau dieser Beschreibung. Seit 1992 wurden die Umlaufperioden von vier weiteren superweichen Quellen gemessen; sie sind alle kürzer als ein paar Tage. Die Erklärung läßt sich auch auf einen anderen Sterntyp mit nova-ähnlichem Verhalten, die sogenannten V-Sagittae-Sterne, übertragen. Ihre fluktuierenden Helligkeiten stellen schon seit Beginn des Jahrhunderts ein Rätsel dar. Erst im vergangenen Jahr konnte eine Arbeitsgruppe um Joseph Patterson von der Columbia-Universität in New York und unabhängig davon auch Joao E. Steiner und Marcos P. Diaz vom Astrophysikalischen Laboratorium in Itajubá (Brasilien) zeigen, daß der Prototyp dieser Sternklasse, V Sagittae, die notwendige Masse und Bahnperiode aufweist.
Noch eine weitere Gruppe von Sternen könnte sich zu superweichen Quellen entwickeln: sogenannte symbiotische Sterne, in denen sich ein Weißer Zwerg in einer weiten Umlaufbahn um einen Roten Riesen befindet, von dem der Massentransfer ausgeht. Rote Riesen sind weit entwickelte Sterne, die sich stark aufgebläht haben, und deren Schwerkraft an der Oberfläche nur sehr gering ist. Sie verlieren bereits unter normalen Umständen Materie in Form eines starken beständigen Sternwinds, und wenn sie sich in Nachbarschaft zu einem kompakten Weißen Zwerg befinden, ist es für diesen ein leichtes, größere Gasmengen abzuziehen. Im Jahre 1994 entdeckten einer von uns (Kahabka), Hasinger und Wolfgang Pietsch vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik einen superweichen symbiotischen Stern in der Kleinen Magellanschen Wolke, einer weiteren Begleitgalaxie des Milchstraßensystems. Seitdem wurden über ein halbes Dutzend weitere dieser Quellen entdeckt.
Einige der superweichen Quellen sind schwer aufzuspüren, weil ihre Akkretionsrate nicht konstant ist. Von einer in unserem Milchstraßensystem hat man herausgefunden, daß sie in einem vierzigjährigen Rhythmus zwischen Phasen der Röntgenemission und der Ausstrahlung sichtbaren Lichts variiert. Einige Objekte wie die Nova Muscae 1983 und die Nova Cygni 1992 verbinden ihr Ausbruchsverhalten mit der Emission superweicher Röntgenstrahlung, was sich durch eine jahrelange Nachglühphase zwischen den Eruptionen erklären läßt.
Sterne in dem Massenbereich, wie sie in superweichen Röntgenquellen vorkommen, werden zumeist nur wenige Milliarden Jahre alt. Verglichen mit unserer Galaxis sind sie somit relativ jung; sie befinden sich deshalb auch immer in der Nähe der von jungen Sternen bevölkerten Äquatorebene des Milchstraßensystems. Leider ist dies auch gerade die Region, in der sich interstellare Gas- und Staubwolken zusammenballen, welche die weiche Röntgenstrahlung absorbieren. Deshalb entspricht ihre beobachtete Population nur der sprichwörtlichen Spitze eines Eisbergs. Aus der bekannten Zahl der superweichen Röntgensterne haben wir abgeschätzt, daß es stets einige tausend von ihnen in unserer Galaxis geben muß. Pro Jahrtausend entstehen einige neue, und einige alte erlöschen.
Was geschieht, wenn die Quellen verschwinden? Der Zustrom an Materie, der die Kernfusion auf der Oberfläche der Weißen Zwerge in Gang hält, läßt deren Masse anwachsen. Sie könnten darum die sogenannte Chandrasekhar-Grenze von etwa 1,4 Sonnenmassen erreichen, die größte Masse, die ein Weißer Zwerg haben kann. Oberhalb dieser Grenze wird er nämlich instabil. Je nach seiner anfänglichen Zusammensetzung und Masse wird er entweder zu einem Neutronenstern zusammenstürzen oder sich in einem nuklearen Feuerball zerstören.
Weiße Zwerge, denen entweder Kohlenstoff fehlt, oder die anfangs 1,1 Sonnenmassen überschreiten, werden theoretischen Untersuchungen zufolge kollabieren. Alle anderen sammeln allmählich Helium (als Verbrennungsprodukt des Wasserstoffs) an und explodieren spätestens beim Erreichen der Chandrasekhar-Grenze. Möglicherweise setzt bereits zuvor in der Heliumschicht eine explosive Kernreaktion ein. In diesem Falle erschüttern Stoßwellen den Stern und zünden den Kohlenstoff in seinem Inneren. In der dichtgepackten Materie des Zwergsterns verselbständigt sich dieser Prozeß sofort: Innerhalb von Sekunden wandelt sich der größte Teil des Himmelskörpers in Nickel sowie in andere schwere Elemente zwischen Silicium und Eisen um. Der ins All hinausgestoßene Nickel zerfällt radioaktiv innerhalb einiger hundert Tage zu Kobalt und danach zu Eisen.
Die Astronomen wissen bereits, daß kohlenstoffreiche Zwergsterne als Supernovae eines speziellen Typs explodieren, den sie als Ia bezeichnen. Von den anderen Typen Ib, Ic und II unterscheiden sie sich unter anderem dadurch, daß ihre Spektren keine Anzeichen von Wasserstoff oder Helium enthalten. Supernovae vom Typ Ia gelten als Hauptquelle von Eisen und anderen schweren Elementen im Weltall und damit auch in der Erde. Im Mittel ereignen sich innerhalb von tausend Jahren in einer Galaxie wie der unsrigen etwa vier solcher Ereignisse.
Vor der Entdeckung der superweichen Quellen wußten die Astronomen nicht, welche Art von Objekten zu einer Supernova vom Typ Ia führt. Als Ursache vermutete man beispielsweise bestimmte symbiotische Sterne – insbesondere die seltenen rekurrierenden Novae – oder das Verschmelzen zweier kohlenstoffreicher Weißer Zwerge. Zumindest letzteres gilt heute als wenig wahrscheinlich, da noch kein Doppelsternsystem beobachtet wurde, das aus Weißen Zwergen der erforderlichen Masse und Bahnperiode besteht. Berechnungen von Nomoto und seinem Kollegen Hadeyuki Saio zeigten zudem, daß ein Verschmelzen viel zu sanft ablaufen würde, als daß daraus eine thermonukleare Reaktion entstehen könnte. Deshalb werden heute superweiche Quellen und andere Zwerge, an deren Oberfläche Kernfusion stattfindet, favorisiert. Die beobachtete Häufigkeit von Supernovae ist ein weiteres Indiz für diese Erklärung. Somit sind die superweichen Röntgenquellen die ersten zuverlässig identifizierten Objekte, die ihr Dasein mit ziemlicher Sicherheit als Supernovae des Typs Ia beenden.
Als man die ersten superweichen Quellen entdeckte, konnte niemand erwarten, so viele unterschiedliche Phänomene durch eine einzige kohärente Theorie zu beschreiben. Nun ist deutlich, daß das ehemals unübersichtliche Sammelsurium aus eruptiven Veränderlichen, Novae und Supernovae aus Varianten desselben Typs von Sternsystem besteht: ein normaler Stern, der sich in einer Umlaufbahn um einen sozusagen wiederbelebten Weißen Zwerg befindet. Das Universum wird dadurch wesentlich besser verständlich
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 68
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