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Astrophysik: Sternentstehung in Spiralgalaxien

Warum viele Sternsysteme Spiralarme ausbilden und inwieweit diese etwas mit der Rotation der Galaxien zu tun haben, war lange Zeit rätselhaft. Offenbar spielen die Eigenschaften des interstellaren Mediums und die Prozesse der Sternentstehung eine Schlüsselrolle.


Ein aufmerksamer Betrachter des nächtlichen Firmaments bemerkt, dass unter der Vielzahl funkelnder Sterne auch diffuse Strukturen zu sehen sind. Zwei der markantesten nebligen Lichtflecke, die bereits mit bloßem Auge zu erkennen sind, befinden sich in den Sternbildern Orion und Andromeda.

Mit Erfindung des Fernrohrs im 17. Jahrhundert wurden nach und nach immer mehr solcher "Nebel" am Himmel entdeckt. Der französische Astronom Charles Messier forschte systematisch nach ihnen und stellte 1781 einen Katalog von mehr als 100 diffuser Himmelsobjekte zusammen. Zwanzig Jahre später zählte sein in England arbeitender Kollege Wilhelm Herschel mehr als 2500.

Die Natur dieser Nebel gab Rätsel auf. Der Philosoph Immanuel Kant vermutete Mitte des 18. Jahrhunderts, sie seien Sternsysteme gleich unserem eigenen, der Milchstraße oder der Galaxis. Seine Zeitgenossen lehnten diese Idee jedoch ab. Damals konnten die Astronomen Entfernung und Größe dieser Objekte noch nicht bestimmen, und ein Universum mit den Ausmaßen, wie wir sie heute kennen, erschien undenkbar. Heute wissen wir, dass die Hypothese von Kant richtig ist – aber nur zum Teil. Denn nicht alle Nebel sind Galaxien wie die unsrige. Der Andromeda-Nebel zum Beispiel ist sehr wohl eine Galaxie, der Orion-Nebel hingegen eine Gaswolke, die zu unserem Milchstraßensystem gehört.

Fortschritte in der astronomischen Entfernungsbestimmung wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts erzielt. Henrietta Leavitt, die am Harvard-College-Observatorium fotografische Aufnahmen von Sternfeldern auswertete, entdeckte mehrere hundert veränderliche Sterne vom Typ der Cepheiden, deren Helligkeit periodisch schwankt. Sie erkannte zudem eine eindeutige Beziehung zwischen der Helligkeit und der Periode der Helligkeitsänderung, die sich als Schlüssel zur Entfernungsbestimmung entpuppte. Harlow Shapley am selben Institut gelang es, Cepheiden in verschiedenen Bereichen der Galaxis ausfindig zu machen. Mit Hilfe der Perioden-Helligkeits-Beziehung konnte er sodann die Ausmaße unseres Sternsystems abschätzen.

Shapley zeigte, dass das Milchstraßensystem eine dünne Scheibe ist, die aus rund hundert Milliarden Sternen besteht und einen Durchmesser von etwa hunderttausend Lichtjahren hat. Seine Entdeckungen warfen aufs Neue die Frage nach der Natur der so genannten "Spiralnebel" auf, die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit den aufkommenden Großteleskopen entdeckt worden waren und die sich wesentlich von Wolken leuchtenden Gases unterschieden. Die unter den Wissenschaftlern zum Teil heftig geführte Debatte konnte schließlich Edwin Hubble 1923 entscheiden: Der amerikanische Astronom fand nämlich im Andromeda-Nebel einige der Cepheiden-Veränderlichen. Damit konnte er zeigen, dass es sich um ein eigenständiges Sternsystem von ähnlicher Größe wie unsere Galaxis handelt. Seinen Berechnungen zufolge musste es etwa eine Million Lichtjahre von der Erde entfernt sein, also weit außerhalb des Milchstraßensystems liegen.

Das Erscheinungsbild von Galaxien ist äußerst vielfältig (Grafik Seite 48 oben). Die Sterne in ihnen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihrer Masse und ihres Alters. Der Raum zwischen ihnen ist mit Wolken aus Staub und Gas erfüllt, vor allem mit Wasserstoff. Menge und Zusammensetzung dieser Staub- und Gaskonzentrationen sind je nach Galaxientyp sehr verschieden:

- Elliptische Galaxien zeigen kaum eine innere Struktur und enthalten nur wenig Gas.

- Die irregulären Galaxien, die am meisten Gas besitzen, erscheinen ohne klar definierte geometrische Form.

- In Spiralgalaxien wiederum dominieren Gas und Sterne. Sie bestehen aus einem verdickten Zentralgebiet, dessen Eigenschaften denjenigen elliptischer Galaxien ähneln, und aus einer umgebenden Scheibe, in der sich der Hauptanteil der Sterne befindet und sich Gas- und Staubwolken konzentrieren. Die Scheibe ist in Form von Spiralarmen strukturiert, die am Zentralgebiet – oder an einer balkenartigen Verbreiterung desselben – ansetzen und sich bis zum Rand der Scheibe ausdehnen.

- Linsenförmige Galaxien stellen quasi ein Mittelding zwischen elliptischen und spiralförmigen Sternsystemen dar. Sie besitzen einen Zentralbereich und eine Scheibe, die allerdings wenig Gas enthält und keine Spiralarme aufweist. Dieser Typus enthält auch insgesamt weniger Masse als die Spiralgalaxien.

In den spiral- und linsenförmigen Galaxien rotiert die Scheibenmaterie nicht wie ein starrer Körper um das Zentrum, sondern bewegt sich umso schneller, je näher sie sich am Zentralbereich befindet. Diese so genannte differenzielle Rotation entdeckte der amerikanische Astronom Vesto Slipher im Jahre 1917.

Das Gas im interstellaren Raum der Galaxien bildet den Rohstoff für neue Sterne. Weil der Gasgehalt von Galaxie zu Galaxie sehr verschieden ist, und auch die physikalisch-chemischen Bedingungen über einen weiten Bereich variieren können, verwundert es nicht, dass auch die Mechanismen der Sternentstehung je nach Galaxientyp unterschiedlich sind.

Bevor wir uns diesen Mechanismen näher zuwenden, sollten wir uns mit dem allgemeinen Vorgang der Sternentstehung vertraut machen. Von einigen Phasen können wir zwar keine quantitative, aber immerhin eine qualitative Beschreibung liefern.

Das Gas, aus dem sich Sterne bilden, besteht zum Großteil aus molekularem Wasserstoff, der in Wolken mit einer hierarchischen Struktur verteilt ist. Die kleinsten Untereinheiten dieser Wolken, die nur einige Lichtjahre Durchmesser haben und in denen wenige Sonnenmassen an Gas vereinigt sind, können sich zu übergeordneten Strukturen mit bis zu tausend Lichtjahren Durchmesser und bis zu einer Million Sonnenmassen gruppieren. Das Gas hat eine Temperatur von etwa zehn Kelvin – zehn Grad über dem absoluten Nullpunkt – und eine Dichte zwischen hundert und tausend Molekülen pro Kubikzentimeter. In den Zentralbereichen der Wolken sind die Temperaturen und Dichten allerdings bis zu tausendmal höher.

Diese Molekülwolken sind nicht auf Dauer stabil. Verschiedene Einflüsse können dazu führen, dass eine Wolke in kleinere Fragmente unterschiedlicher Größe zerfällt, von denen sich einige unter der Wirkung ihrer eigenen Schwerkraft zusammenziehen – "kollabieren" im Sprachgebrauch der Astronomen – und schließlich Sterne formen. Die neu entstandenen Sterne fegen durch ihre intensive Strahlung das restliche Gas weg und unterdrücken so die Bildung weiterer Sterne in ihrer Umgebung. Gleichwohl können sie mit den letzten Gasresten wechselwirken und die Entstehung weiterer Sterne begünstigen.

Die Astronomen beschreiben diesen Prozess durch drei verschiedene, voneinander unabhängige Parameter:

- Die Sternentstehungsrate gibt an, welche Sternmasse pro Zeiteinheit hervorgebracht wird;

- die Sternentstehungseffizienz ist der Bruchteil der Masse einer Molekülwolke, der sich zusammengezogen und Sterne gebildet hat;

- die Anfangsmassenverteilung beschreibt, wie viele Sterne sich in jedem Massen- oder Spektraltyp-Intervall gebildet haben (Bild Seite 48 unten).

Betrachten wir als Beispiel zwei Molekülwolken, die eine mit der zehntausendfachen, die andere mit der millionenfachen Masse der Sonne. Wenn das gesamte Gas der ersten Wolke kollabierte und sich zu Sternen umwandelte, in der zweiten hingegen nur ein Hundertstel des vorhandenen Gases, so wäre die Sternentstehungsrate in beiden Gebieten gleich groß. Die Effizienz hingegen betrüge in der ersten Wolke hundert Prozent, in der zweiten nur ein Prozent. Ebenso könnte die Anfangsmassenverteilung sehr verschieden sein – dann etwa, wenn die eine Region hauptsächlich massereiche, die andere hingegen überwiegend massearme Sterne hervorbrächte.

Gewöhnlich bilden sich beim Kollaps der Gaswolke hauptsächlich Sterne niedriger Masse; Riesensterne mit großer Masse entstehen relativ selten. Die letzteren strahlen jedoch im sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums weit intensiver. Deshalb stammt das Licht, das in einer Sternentstehungsregion beobachtet werden kann, hauptsächlich von den massereichen Sternen, obwohl diese nur einen kleinen Teil der Gesamtmasse ausmachen.

Das Rätsel der Spiralarme


Für das Erscheinungsbild von Spiralgalaxien spielen Sternentstehungsgebiete eine bedeutende Rolle. Denn gerade in den Spiralarmen ist die Bildungsrate besonders hoch. Die beobachtete Spiralstruktur ist also darauf zurückzuführen, dass die Helligkeit in diesen "Armen" höher ist als im restlichen Teil der Scheibe. Die Anzahl von Spiralarmen ist sehr unterschiedlich: Manche Sternsysteme weisen nur einen einzigen sehr großer Länge auf, andere hingegen viele kurze ("vielarmige" Strukturen). Manche Spiralgalaxien sind jedoch schön symmetrisch aufgebaut mit zwei etwa gleich langen und gleich hellen Armen.

Offenbar entwickeln alle Sternsysteme Spiralarme, in deren Scheibe Gaswolken vorhanden sind. Weil linsenförmige Galaxien kaum Gas enthalten, kann sich in ihnen keine Spiralstruktur ausbilden. Daraus lässt sich folgern, dass Spiralarme von selbst entstehen und stabil sind, denn andernfalls sollte nur ein Teil der Galaxien, deren Scheiben viel Gas enthalten, solche Strukturen aufweisen.

Die Spiralform weckte die Neugier der Astronomen, schon lange bevor die extragalaktische Natur dieser "Nebel" bekannt war. Die verschiedensten Theorien wurden entwickelt, um sie zu erklären. Jedes dieser Modelle muss die vier kennzeichnenden Eigenschaften der Spiralstruktur wiedergeben können: Sie muss stabil sein, von selbst entstehen, mit Sternbildungsprozessen zusammenhängen und länger bestehen bleiben, als es der Umdrehungsdauer der differenziellen Rotation entspricht.

Die ersten Theorien beschrieben die Spiralarme als mit der Scheibe verbundene Strukturen, etwa als Materieauswürfe aus dem Zentralgebiet. Dieser Ansatz führte jedoch zu einem Dilemma: Wenn nämlich die Arme fest mit der Scheibe verbunden wären, müssten sie sich – nach astronomischen Maßstäben – innerhalb kürzester Zeit aufwickeln, da sich die inneren Bereiche der Scheibe wegen der differenziellen Rotation schneller drehen als die äußeren (Grafik rechts). Bei einer typischen Geschwindigkeitsverteilung hätten die inneren Teile der Scheibe bereits nach etwa zehn Prozent des Alters des Universums ungefähr fünf Umdrehungen mehr als die äußeren Teile durchgeführt.

Um dieses "Aufwickel-Dilemma" zu vermeiden, verfolgten die Astronomen zwei unterschiedliche Ansätze. Der eine bestand darin, das Auftreten von Spiralarmen von der Dynamik der Scheibe zu entkoppeln, während sich der andere gerade auf diese Bewegung der differenziellen Rotation stützte, um das Entstehen von Spiralarmen zu erklären. Der erste Ansatz führte zur so genannten Dichtewellentheorie, der zweite zur Theorie der zufälligen Selbstausbreitung der Sternentstehung.

Wellen in der Materiedichte


Eine erste Version der Dichtewellentheorie veröffentlichte 1941 der schwedische Astronom Bertil Lindblad, nachdem er mehr als zwanzig Jahre daran gearbeitet hatte. Sein Modell wurde allerdings in den Fachkreisen nicht weiter beachtet, bis sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Astrophysiker Chia Chiao Lin, Frank Shu und Chi Yuan dem Problem zuwandten. Sie untersuchten das dynamische Verhalten einer als unendlich dünn angenommenen, aus Sternen und Gas zusammengesetzten Galaxienscheibe. Ihre verschiedenen Annahmen führten zu einem komplexen Gleichungssystem, als dessen Lösung sich spiralförmige Wellen erhöhter Dichte ergaben. Diese Dichtewellen pflanzten sich in der Scheibe mit konstanter Winkelgeschwindigkeit fort, wie es der Rotation eines starren Körpers entsprechen würde. Ferner fanden die Theoretiker, dass der Bereich der Scheibe, in dem sich die Wellen ausbreiten können, durch zwei Resonanzbedingungen begrenzt war, die man die innere und äußere Lindblad-Resonanz nennt. Das heißt, die Dichtewellen können sich weder zu kleineren Radien als die innere Resonanzstelle noch zu größeren als die äußere Resonanzstelle ausbreiten. In der Realität entsprechen diese Begrenzungen sehr gut der tatsächlichen Größe von Galaxienscheiben, sodass diese von den Spiralarmen fast in ihrer ganzen Ausdehnung ausgefüllt werden.

In gewisser Weise verhalten sich die Dichtewellen wie Schallwellen in einem Medium. In einer sehr dünnen rotierenden Scheibe endlicher Ausdehnung würden auch Schallwellen sich spiralförmig ausbreiten. Nun wissen wir schon, dass sich die Materie in einer Galaxienscheibe in differenzieller Rotation befindet, wobei die Winkelgeschwindigkeit im inneren Bereich größer und im äußeren geringer ist. Die Welle ihrerseits bewegt sich mit gleichförmiger Winkelgeschwindigkeit in dieselbe Richtung wie die Scheibenmaterie. Im zentralen Bereich der Scheibe gibt es deshalb einen bestimmten Radius, den so genannten Korotationsradius, bei dem sich die Materie mit derselben Geschwindigkeit wie die Welle bewegt.

In dem Bereich, der zwischen der inneren Lindblad-Resonanz und diesem Korotationsradius liegt, holt die Materie in der Scheibe – also das Gas und die Sterne – die Welle ein, verändert ihre Geschwindigkeit, verdichtet sich und verlässt die Welle wieder mit der ursprünglichen Geschwindigkeit und Dichte. Außerhalb des Korotationsradius passiert dasselbe, nur holt hier die Dichtewelle die Materie ein (Grafik unten).

Wenngleich sich die Dichtewelle in dieselbe Richtung wie die Spiralarme bewegt, können – je nach Orientierung der Spirale – zwei verschiedene Situationen auftreten: Der Spiralarm der Galaxie kann in Richtung dieser Bewegung oder ihr entgegengesetzt zeigen. Im ersten Fall sagt man, die Galaxie habe "vorlaufende" Spiralarme und im zweiten Fall "nachschleppende". Von der Theorie her sind beide Möglichkeiten gleichwertig.

Im Jahre 1966 zeigte M. Fujimoto, dass die Scheibenmaterie in einem Spiralarm und die Dichtewelle mit einer Geschwindigkeit aufeinander treffen, die größer ist als die Schallgeschwindigkeit im interstellaren Medium. (Dies gilt natürlich nicht in unmittelbarer Umgebung des Korotationsradius.) Dadurch entsteht eine Stoßfront, die instabile Gaswolken kollabieren lassen kann. Auf diese Weise wird die Sternentstehungsrate und folglich auch die Helligkeit in diesen Bereichen erhöht. Drei Jahre später zeigte Alar Toomre, dass eine Welle mit vorlaufenden Armen nicht stabil ist, sondern radial nach innen zum Zentrum läuft.

Ihm zufolge gibt es außerdem weitere Wellen, die sich auf den Korotationsradius zu oder von ihm weg bewegen, je nach ihrer Wellenlänge und je nachdem, ob sie vorlaufend oder nachschleppend waren. Auch diese Wellen erleiden an den Resonanzen starke Veränderungen.

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Toomre zeigten nachfolgende Arbeiten von Lin, Y. Lau, James Mark und anderen, dass die Resonanzen und der Korotationsradius nicht nur eine passive Rolle spielen. Wellen, die radial in Richtung Zentrum laufen, werden an der inneren Resonanz zurückreflektiert und vergrößern dabei ihre Wellenlänge. Eine reflektierte Welle, die sich nun radial nach außen bewegt, läuft am Korotationsradius zum Teil weiter und wird zum anderen Teil erneut reflektiert. Sowohl die weiterlaufende als auch die reflektierte Welle verringern dabei ihre Wellenlänge. Die weiterlaufende Welle wird absorbiert, sobald sie die äußere Resonanz erreicht, während die reflektierte, die wegen der Drehimpulserhaltung verstärkt wurde, zurück Richtung Zentrum läuft. Als Folge dieser komplizierten Prozesse entsteht eine Überlagerung von verschiedenen Spiralmoden in der Scheibe, die ein quasistationäres Wellenmuster ergeben.

Diese Erweiterung der Dichtewellentheorie wird Modaltheorie genannt. Sie kann erklären, weshalb der Großteil der Galaxien nachlaufende Spiralarmen aufweisen, wie die Untersuchungen von I. Pasha und Mitarbeitern seit 1979 gezeigt haben. Außerdem kann sie das Auftreten von Balkengalaxien als eine Überlagerung von vorlaufenden und nachschleppenden Wellen im Zentralbereich der Scheibe erklären.

In der Natur können Dichtewellen in Galaxien durch Wechselwirkungen mit anderen Sternsystemen, durch nicht kugelsymmetrische Verzerrungen des Zentralgebiets oder durch die scheibeneigene Dynamik hervorgerufen werden. Obwohl sie schon 1976 beobachtet wurden, dauerte es noch weitere acht Jahre, bis bestätigt wurde, dass sie ein allgegenwärtiger Bestandteil von Galaxienscheiben sind: 1984 wiesen Debra und Bruce Elmegreen die Anwesenheit von Dichtewellen in Galaxienscheiben nach und schlossen, dass Galaxien mit intensiveren und besser definierten Spiralarmen Wellen mit größeren Amplituden besäßen.

Der Zufall spielt mit


Die Theorie der zufälligen oder stochastischen, sich selbst ausbreitenden Sternentstehung wurde erst nach Formulierung der Dichtewellentheorie weiter ausgearbeitet. Die ersten Ideen dazu gehen aber schon auf Ernst Öpik zurück, der 1953 vorschlug, dass der den Prozess der Sternbildung auslösende Kollaps von Gaswolken durch Supernovaexplosionen in benachbarten Sternentstehungsgebieten hervorgerufen werden könnte. Zehn Jahre später mutmaßte sein Kollege Walter Baade, dass die Sternentstehung in der irregulären Galaxie IC1613, die etwa zweieinhalb Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist, durch Ausbreitung von einem Gebiet zum nächsten verursacht werde. Adriaan Blaauw zeigte 1964, dass in bestimmten Sterngruppierungen in unserer Galaxis eine Altersabfolge von einem Ende zum anderen existiert. Und 1966 konnten Bengt Westerlund und Donald Mathewson die Hypothese von Öpik unterstützen, als sie in den Rändern von Wasserstoffblasen, die durch Supernovaexplosionen erzeugt worden waren, junge Sterne entdeckten.

Es war also gute Vorarbeit geleistet, als Mark Mueller und David Arnett 1976 eine Computersimulation zur Selbstausbreitung der Sternentstehung durchführten und damit Spiralstrukturen erzeugen konnten. Doch nach einigen Umdrehungen der Modellgalaxie im Rechner lösten sich die Spiralarme wieder auf. Offenbar waren die Eingangsparameter noch nicht genügend der Realität angepasst. Zwei Jahre später fügten Humberto Gerola und Philip Seiden dieser Theorie eine Zufallskomponente hinzu. In diesem modifizierten Modell breitet sich die Sternentstehung in einige Nachbargebiete aus und in andere wiederum nicht, je nachdem, welcher Wert einer Wahrscheinlichkeitsvariablen zugeordnet wurde. Die Bildung der Spiralarme kann im Rahmen dieser Theorie mit Hilfe von Computersimulationen, in denen bestimmte Variablen zufällige Werte erhalten, nachvollzogen werden.

In der Simulation von Gerola und Seiden wird eine unendlich dünne Galaxienscheibe in Zellen von etwa 650 Lichtjahren Kantenlänge aufgeteilt (Grafik oben). Diese Zellen befinden sich in differenzieller Rotation, wobei sich die inneren mit höherer Winkelgeschwindigkeit drehen als die äußeren.

Dem Modell zufolge besteht eine zwar geringe, aber eben nicht verschwindende Wahrscheinlichkeit, dass in einigen Zellen spontan Sterne entstehen. Dieser Bildungsprozess breitet sich dann zufällig und entsprechend dem Wert einer weiteren Wahrscheinlichkeitsvariable in Nachbarzellen aus. Durch die differenzielle Rotation werden die Zellen, in welche die Sternentstehung gewandert ist, von neuen Zellen umgeben, in die sich die Sternentstehung nun ebenfalls in zufälliger Weise ausbreiten kann. Um die realen physikalischen Bedingungen des interstellaren Mediums so gut wie möglich zu reproduzieren, wird in der Simulation ein Erholungszeitraum eingeführt. Darunter versteht man die Zeit, die eine Zelle, in der sich gerade Sterne gebildet haben, braucht, bis sie wieder zur Sternentstehung bereit ist.

Realitätsnahe Modellierung


Dass die Bildung von Sternen als zufälliger Vorgang beschrieben wird, beruht einfach darauf, dass sich nicht jede Molekülwolke in einem Zustand befindet, in dem Sternentstehung möglich ist. Eine benachbarte Wolke könnte aber so instabil sein, dass das Durchlaufen einer Dichtewelle ausreicht, sie unter dem Einfluss ihrer Schwerkraft kollabieren zu lassen. Diese Unbestimmtheit muss in die Simulation einbezogen werden.

Freilich blieb Kritik an dem eben beschriebenen Modell nicht aus. Zunächst einmal fehlten den Variablen – Zellgröße, Wahrscheinlichkeit der spontanen beziehungsweise induzierten Sternbildung, Erholungszeitraum und andere – eine physikalische Interpretation. Einzig durch die Ergebnisse der Simulationen, ob nämlich dauerhafte oder nur instabile Spiralarmstrukturen entstanden, konnten die Theoretiker die Wertebereiche dieser Variablen ermitteln – ein unbefriedigender Zustand.

Im Jahre 1983 versuchten Thomas Statler, Neil Comins und Bruce Smith ein räumliches Modell zu entwickeln, das die tatsächliche Dicke der Scheibe berücksichtigte. Sie schafften es nicht. Ihre Simulationen erzeugten nur undeutliche Spiralstrukturen, die sich bald wieder auflösten. In der Fachwelt wurde diese Arbeit kaum beachtet. Danach beschäftigte sich niemand mehr mit der Frage, ob die zufällige Selbstausbreitung wirklich Spiralstrukturen erklären kann.

Dies war die Situation, als ich mich 1998 zusammen mit José Miguel González den räumlichen Modellen zuwandte. Ähnlich wie in den zweidimensionalen Simulationen von Gerola und Seiden betrachteten wir die Selbstausbreitung in einer Galaxienscheibe mit differenzieller Rotation, nur fügten wir die Dicke der Scheibe hinzu. Unsere Rechnungen zeigten, dass die zufällige Selbstausbreitung in drei Dimensionen möglich ist.

Die Spiralarme, die das Modell der Selbstausbreitung generiert, sind kurz, zahlreich und relativ schwach ausgeprägt, so wie man das bei einigen Galaxien am Himmel beobachtet. Die beiden Elmegreens hatten 1982 ein Klassifikationsschema eingeführt, das die Galaxien nach der Ausprägung ihrer Spiralarme einteilt. Zwei Jahre später fanden sie he-raus, dass Galaxien mit deutlich definierten Armen Dichtewellen mit einer größeren Amplitude aufweisen. Sie vermuteten nun, dass der Mechanismus der Sternentstehung davon abhinge: In Galaxien mit kontinuierlichen und gut ausgebildeten Armen sollten Dichtewellen die Sternentstehung dominieren, in den übrigen hingegen die Selbstausbreitung.

Doch auch dieser "Kompromissvorschlag" stimmte offensichtlich noch nicht mit der Realität überein. Im Jahre 1986 entdeckten Stephen Lubow, Steven Balbus und Lennox Cowie, dass man das interstellare Gas und die Sterne nicht als unabhängig voneinander annehmen darf, wie es noch Lin und Shu getan hatten. Die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Komponenten der Scheibenmaterie und die Zähigkeit des Gases verhindern das Auftreten von Stoßwellen. Damit war auch das Modell von Fujimoto widerlegt – die Dichtewellentheorie vermochte offenbar nicht den Mechanismus der Sternentstehung zu erklären. Weitere Arbeiten bestätigten diese Schlussfolgerung.

Ende der achtziger Jahre setzte sich der immer besser fundierte Gedanke durch, allein die Selbstausbreitung trage zum Prozess der Sternentstehung bei. Dichtewellen – die in manchen Galaxien eindeutig vorhanden sind – beeinflussen demnach lediglich die Richtung, in der sich der Sternbildungsprozess fortsetzt, da Regionen mit höherer Dichte diesbezüglich bevorzugt sind.

Doch auch die Theorie der Selbstausbreitung wies noch Mängel auf. Sowohl im Milchstraßensystem als auch in anderen Galaxien fanden mehrere Forschergruppen Gradienten in Alter und Farbe von Sternen in den Spiralarmen, die mit diesem Modell nicht zu erklären waren. Auch die Sternentstehungseffizienz ließ sich damit nicht verstehen.

Mein Kollege Soledad del Rio und ich begannen 1995, eine Stichprobe von Spiralgalaxien zu untersuchen. Wir bestimmten die Farbgradienten in den Spiralarmen und verglichen sie mit den Positionen der Resonanzen und des Korotationsradius. Dabei fanden wir signifikante Unterschiede zwischen den Galaxien mit deutlich und solchen mit weniger deutlich ausgebildeten Spiralarmen. Auch hinsichtlich der Sternentstehungseffizienz bemerkte meine Arbeitsgruppe solche Unterschiede: Sind die Spiralarme deutlich ausgeprägt, bilden sich dort massereiche Sterne mit höherer Effizienz als in der restlichen Scheibe. Bei nur schwach ausgebildeten Spiralarmen hingegen ist die Effizienz für beide Scheibenregionen annähernd gleich. Andere Forscherteams bestätigten diesen Befund.

Rolle der Dichtewellen subtilerals bisher angenommen?


Wir fragten uns nun, ob auch die Anfangsmassenverteilung für Spiralarme und restliche Scheibe unterschiedlich sein könnte. Dann aber wäre eine wesentliche Annahme in den beiden Theorien zur Sternentstehung hinfällig, denn beide setzen voraus, dass es solche Unterschiede nicht gibt. Anhand unserer Stichprobe von Galaxien mit deutlich sichtbaren Spiralarmen vermochten wir aber tatsächlich zu zeigen, dass die Anfangsmassenverteilung in den Armen anders ist als in der restlichen Scheibe. Die Spiralarme produzieren, bezogen auf den gesamten Massenbereich, weniger Sterne als die Scheibe, erzeugen dafür aber einen höheren Anteil massereicher Sterne. Aus all dem ist zu schließen, dass Dichtewellen die Sternentstehung beeinflussen, indem sie die Effizienz erhöhen oder die Anfangsmassenverteilung so verändern, dass in den Armen ein höherer Anteil massereicher und hellerer Sterne als im Rest der Scheibe zu finden ist.

Im Jahre 1998 bezogen González und ich eine Dichtewelle in das Modell der räumlichen Selbstausbreitung ein. Abgesehen davon, dass die Simulationen damit wesentlich deutlichere Spiralarme ergaben, konnten wir zwei weitere interessante Schlüsse ziehen. Erstens: Wenn die Dichtewelle vorlaufende Spiralarme besitzt, verschwindet die Spiralstruktur. Zweitens: Durch die Selbstausbreitung werden auch außerhalb der Lindblad-Resonanz Spiralarme erzeugt, die stark gekrümmt sind und in einigen Fällen fast einen Kreis bilden. Dieser letzte Befund könnte einige bisherige Diskrepanzen erkären; außerdem weisen zahlreiche Galaxien tatsächlich solche Ringe auf.

Je nach den Eigenschaften des interstellaren Mediums und der Amplitude der Dichtewelle scheint also die Sternentstehung in den Spiralarmen verstärkt oder die Anfangsmassenverteilung verändert zu werden. Damit ist der Vorgang der Sternentstehung in Galaxien aber keineswegs vollends aufgeklärt. Jedoch haben wir eine weitere Stufe hin zum Verständnis der Gesetze erklommen, die der Sternentstehung zu Grunde liegen.

Literaturhinweise


Physics of the Galaxy and Interstellar Matter. Von Helmut Scheffler und Hans Elsässer. Springer, 1998.

Triggered Star Formation. Von B. Elmegreen in: Star Formation in Stellar Systems, S. 381–478. Cambridge University Press, 1992.

Spiral Structure in Galaxies. Von G. Bertin und C. C. Lin. The MIT Press, 1996.




Vielfalt der Sterne


Das so genannte Hertzsprung-Russell-Diagramm beschreibt die Beziehung zwischen den stellaren Zustandsgrößen Leuchtkraft und Oberflächentemperatur. Jeder Stern ist durch einen Punkt in diesem Diagramm repräsentiert (hier sind zusätzlich Größe und Farbe schematisch angedeutet). Weil nicht alle Kombinationen zwischen beiden Zustandsgrößen vorkommen, verteilen sich die Sterne in diesem Diagramm nicht gleichförmig. Die Sterne der "Hauptreihe", wie unsere Sonne, beschreiben eine Diagonale von links oben, wo die größten, massereichsten und heißesten Sterne zu finden sind, nach rechts unten, wo sich die kleinsten, masseärmsten und kühlsten befinden. Die "Überriesen" oben und die "Riesen" in der Mitte, rechts von der Hauptreihe, sind viel ausgedehnter als die Sterne der Hauptreihe. Sie sind hier im Vergleich zu den Hauptreihensternen nur mit einem Fünfzigstel ihrer Größe dargestellt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 46
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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