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Steuerung chemischer Reaktionen mit Lasern

Hoffnungen, durch gezielte Anregung von Bindungen mit Laserstrahlung chemische Umsetzungen in eine bestimmte Richtung lenken zu können, haben sich nur sehr bedingt erfüllt. Mehr Erfolg versprechen neue Verfahren, die auch die Phaseninformation im Laserstrahl nutzen.

Die Chemie hat als Wissenschaft in den letzten hundert Jahren erhebliche Fortschritte gemacht; dennoch hat sich an den Grundlagen ihrer industriellen Praxis wenig geändert. Zum Aufbrechen oder Knüpfen chemischer Bindungen dienen vorwiegend die altbewährten Mittel: Änderung von Temperatur und Druck oder Zugabe eines Katalysators.

Dies ist jedoch ein recht grobes Instrumentarium, weil es keinerlei Gebrauch davon macht, was über die Bewegungen der Moleküle bekannt ist. Infolgedessen sind Reaktionen im großindustriellen Maßstab oft nicht so effizient, wie sie sein könnten: Außer der gewünschten Substanz liefern sie teils erhebliche Mengen unbrauchbarer Nebenprodukte.

Dagegen ermöglichen neu entwickelte Techniken, bei denen chemische Verbindungen mit Lasern bestrahlt werden, um selektiv eine ganz bestimmte Umsetzung auszulösen, im Idealfall hundertprozentige Ausbeuten – wenn auch vorerst nur in Labor-Quantitäten. Dabei nutzt man das quantenmechanische Grundprinzip, wonach nicht nur Licht, sondern auch Materie Wellencharakter hat. Jüngsten Berechnungen zufolge kann ein Laser auf dieser Grundlage Reaktionen äußerst wirksam in eine gewünschte Richtung lenken.

Nun ist der Gedanke, mit Lasern chemische Reaktionen in Gang zu setzen, keineswegs neu – die ersten Versuche gab es bereits kurz nach der Erfindung dieses Instruments vor etwa 35 Jahren. Laser senden elektromagnetische Strahlung einer genau festgelegten Frequenz – also Licht einer bestimmten Farbe – aus und geben daher wohldefinierte Energiemengen in Form von Photonen (Lichtquanten) an ein Zielobjekt ab, das diese Strahlung absorbieren kann. Chemische Bindungen stellte man sich als unterschiedliche elastische Federn vor, die sich je nach Stärke jeweils durch Lichtquanten einer bestimmten Energie in Schwingungen versetzen lassen. Sollte es also nicht möglich sein, indem man die Frequenz eines Lasers genau auf eine bestimmte Bindung abstimmt, diese zu schwächen oder zu brechen und so die Bildung bestimmter Produkte gegenüber anderen zu begünstigen?

Diese sogenannte modenselektive Chemie hat die in sie gesetzten Erwartungen allerdings nicht erfüllt. Bei der überwiegenden Mehrzahl von Molekülen scheitert sie daran, daß die chemischen Bindungen keineswegs unabhängig voneinander sind. In den meisten Fällen besteht zwischen ihnen eine der-art starke Kopplung, daß sie leicht Schwingungsenergie austauschen können. Infolgedessen verteilt sich die von einem Laser einer Bindung selektiv mittels Lichtquanten zugeführte Energie im Nu über die restlichen Bindungen des Moleküls. Das Ergebnis ist somit praktisch das gleiche wie beim viel billigeren Erwärmen.

Aus Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre hat sich jedoch eine neue vielversprechende Methode der Laser-Anregung herauskristallisiert, die man als kohärente Steuerung bezeichnet. Sie basiert auf einer Eigenschaft des Laserlichts, die bei der modenselektiven Chemie unbeachtet geblieben war: seiner Kohärenz.

In herkömmlichen Lichtquellen wie etwa Glühbirnen wird ein Wolframdraht elektrisch aufgeheizt. Die dadurch angeregten Wolframatome geben die aufgenommene Energie durch spontane Emission eines Lichtquants wieder ab. Jedes Atom strahlt seine Energie dabei unabhängig von allen anderen ab, so daß die gesamte vom Glühdraht ausgesandte Strahlung ein Durcheinander aus Lichtwellen der verschiedenen Atome ist (Bild 2 links). In gewisser Weise ähnelt sie damit einem Trupp Soldaten, die sich frei bewegen. Solches Licht nennt man inkohärent, weil die einzelnen Wellenzüge außer Phase sind. Im Gegensatz dazu emittieren in einem Laser alle Atome wohlkoordiniert, so daß sämtliche Wellenzüge sich exakt in Phase befinden – wie die Beine einer im Gleichschritt marschierenden Kolonne (Bild 2 rechts).


Interferierende Lichtwellen

Derart kohärentes Licht zeigt das wichtige Phänomen der Interferenz. Treffen zwei Strahlen so aufeinander, daß die Berge und Täler ihrer Wellenzüge jeweils zusammenfallen, dann verstärken sie sich gegenseitig, und die Amplitude der Gesamtwelle wird dabei größer. Überlagern sich die Berge des einen Wellenzugs dagegen gerade mit den Tälern des anderen, löschen sie einander aus, und die Gesamtwelle verschwindet.

Konstruktive und destruktive Interferenz kann man mit einem Laser leicht beobachten, wenn man seinen Strahl auf eine undurchsichtige Platte mit zwei parallelen schmalen Schlitzen richtet. Diese Spalte wirken dann wie eigene Lichtquellen, von denen fächerförmig neue Wellenzüge ausgehen, die sich überlagern können. Auf einem Beobachtungsschirm hinter dem Doppelspalt erscheint dann ein Muster aus hellen und dunklen Streifen.

Nun haben nach den Gesetzen der Quantenmechanik auch Materieteilchen wie Elektronen, Atome und Moleküle Wellencharakter und können deshalb gleichfalls miteinander interferieren (siehe "Komplementarität und Welle-Teilchen-Dualismus" von Berthold-Georg Englert, Marian O. Scully und Herbert Walther, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 50). Die Existenz derartiger Materiewellen und der damit verbundenen Interferenzphänomene ist vielfach experimentell bestätigt worden.

Wie aber lassen sie sich für die Steuerung von Reaktionen nutzen? Dazu sind verschiedene Verfahren ausgearbeitet worden. Das einfachste besteht darin, zwei verschiedene Laserstrahlen auf ein Molekül zu richten; jeder regt selektiv bestimmte wellenartige Zustände des Moleküls an, die dann miteinander interferieren können. Bei konstruktiver Interferenz entsteht dabei möglicherweise ein bestimmtes Produkt, bei destruktiver ein anderes. Wie eine genauere Analyse zeigt, kann man das Interferenzmuster und damit die jeweiligen Produktausbeuten gezielt steuern, indem man die Kohärenzeigenschaften und Intensitäten der beiden Laserstrahlen entsprechend abstimmt.


Interferierende Wellenfunktionen

Für eine genauere Erklärung dieses Sachverhaltes muß man wissen, wie Physiker atomare oder molekulare Systeme beschreiben. Betrachten wir beispielsweise ein Molekül aus drei aneinandergereihten Bestandteilen A, B und C. Sein momentaner Zustand läßt sich mit einer mathematischen Funktion wiedergeben, die alle verfügbaren Informationen über den Zustand des Moleküls und seine Bewegungen – seine Dynamik – enthält. Weil diese Funktion der für Wellen sehr ähnlich ist (was wiederum damit zusammenhängt, daß Teilchen eben auch Wellencharakter haben), bezeichnet man sie als Wellenfunktion. Ihr Quadrat gibt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür an, das Molekül in einer bestimmten geometrischen Anordnung (geknickt oder gestreckt) vorzufinden. Wellenfunktionen stellen ein grundlegendes Werkzeug zur Beschreibung der Dynamik molekularer Systeme in der Quantenmechanik dar.

Nehmen wir an, das Molekül ABC ließe sich auf zwei Arten zerlegen, entweder an der Bindung zwischen A und B oder an derjenigen zwischen B und C. Auf diese Weise ergeben sich zwei mögliche Produktpaare: BC und A oder AB und C. Für das Aufbrechen jeder der beiden Bindungen muß man dem Molekül Energie zuführen.

Ein Mittel dazu ist, wie erwähnt, es mit Photonen einer bestimmten Frequenz zu bestrahlen, die es absorbieren kann, wobei es die zugehörige, genau definierte Energiemenge aufnimmt. Sind die Photonen energiereich genug, gelangt das Molekül in einen reaktiven Grenzzustand, in dem es sich in zwei Fragmente aufspalten kann. Die Wellenfunktion, die ABC in diesem kritischen Zustand beschreibt, enthält nicht nur Informationen über die Welleneigenschaften des anregenden Laserlichtes, sondern auch über die quantenmechanische Wellennatur des Moleküls selbst.

Aber was geschieht, wenn wir beispielsweise Licht einer dreimal geringeren Frequenz einstrahlen, dessen Photonen entsprechend nur ein Drittel der zur Spaltung erforderlichen Energie beinhalten? In diesem Falle müßte das Molekül drei solche Quanten absorbieren, um genügend Energie für die Dissoziation aufzunehmen. Damit wäre aber auch die Wellenfunktion des reaktiven Grenzzustandes eine andere, weil sich in ihr niederschlüge, daß drei Photonen absorbiert wurden anstatt eines einzelnen.

Man kann die molekulare Dynamik und damit die Richtung der Reaktion in unserem Beispiel nun dadurch steuern, daß man ABC gleichzeitig mit beiden Laserstrahlen anregt (Bild 3). Auf diese Weise erzeugt man Moleküle mit zwei unterschiedlichen Wellenfunktionen bei der Dissoziationsenergie. Diese beiden Wellenfunktionen, die durch die verschiedene Art der Anregung hervorgerufen wurden, interferieren dann ebenso miteinander wie kohärentes Licht in einem Doppelspaltexperiment (siehe Kasten auf Seite 74). Es mag vielleicht seltsam scheinen, daß zwei Reaktionswege sich auf diese Weise überlagern können, aber die Interferenz von Wellenfunktionen ist gerade ein Wesensmerkmal der Quantenmechanik.

Zum Glück für den Chemiker, der Reaktionen steuern möchte, hat der Interferenzterm je nach dem Reaktionsweg zu dem einen oder anderen der beiden Produkte eine unterschiedliche mathematische Form. Durch seine Modifikation kann man mithin dafür sorgen, daß entweder vorwiegend A und BC oder AB und C entstehen. Andererseits hängt dieser Term von den relativen Amplituden und Phasen der beiden ursprünglichen Lichtwellen ab und läßt sich demnach anpassen, indem man diese Parameter entsprechend variiert. Weil die Steuerung über die Interferenz geschieht, benötigt man auch keine Hochleistungslaser – schon relativ schwaches Licht kann die Dynamik der Moleküle erheblich beeinflussen.

Gemeinsam mit Chi K. Kan analysierten wir an der Universität Toronto die Dissoziation des zweiatomigen Moleküls Jodbromid (IBr). Es kann entweder zu I + Br oder zu I + Br* zerfallen, wobei der Stern andeutet, daß im zweiten Falle ein elektronisch angeregtes Bromatom mit überschüssiger Energie entsteht. Unseren Berechnungen zufolge müßten Änderungen der Intensität und relativen Phase von zwei Laserstrahlen erlauben, den Ablauf der Reaktion in weiten Grenzen zu steuern: Die Ausbeute an angeregten Bromatomen ließe sich damit zwischen 25 und 95 Prozent variieren. Mit konventionellen Methoden ist die Selektivität einer Reaktion dagegen allenfalls um etwa 10 Prozent zu erhöhen. Daniel S. Elliot von der Purdue-Universität in West Lafayette (Indiana) hat mit Ionisationsexperimenten an Atomen nachgewiesen, daß diese Methode tatsächlich funktioniert, und Robert J. Gordon von der Universität von Illinois in Chicago gelang es in entsprechenden Versuchen, den Zerfall zwei- und mehratomiger Moleküle damit zu lenken.

Die kohärente Steuerung funktioniert freilich nicht nur mit einem Photon und drei anderen mit jeweils einem Drittel der Dissoziationsenergie. Vielmehr läßt sich die Wahrscheinlichkeit für das Ablaufen einer bestimmten Reaktion immer dann beeinflussen, wenn die Anregung in den Grenzzustand auf zwei Wegen erfolgt; die einzige Bedingung ist, daß die Zahl der absorbierten Photonen in beiden Fällen entweder ungerade (wie im obigen Beispiel) oder gerade sein muß.

So wies André Bandrauk von der Universität Sherbrooke in der kanadischen Provinz Quebec rechnerisch nach, daß man die Photodissoziation von molekularem Chlor in Grundzustands- und elektronisch angeregte Atome über einen weiten Bereich steuern kann, wenn man das Molekül zwei Photonen aus einem Laserstrahl und vier jeweils der halben Energie aus einem zweiten Strahl absorbieren läßt. Andererseits fanden wir heraus, daß die gleichzeitige Anregung mit einem Photon und zweien der halben Energie die Kontrolle der Richtung erlaubt, in der die Produkte die Reaktionszone verlassen. Auf diese Weise ließe sich vielleicht die Produkttrennung vereinfachen und so die Gesamtausbeute der Reaktion verbessern.


Derzeitige Grenzen der Methode

Die Steuerung chemischer Reaktionen mit kohärentem Licht ist zwar vom Konzept her auf eine Vielzahl isolierter Moleküle anwendbar, aber praktisch schwer umzusetzen. Zum einen sinkt die Effizienz erheblich, wenn die Phasen der Lichtwellen oder der molekularen Wellenfunktionen nur schlecht definiert sind. Das liegt vor allem an zwischenmolekularen Stößen, die mit steigender Temperatur und zunehmendem Druck häufiger werden und bei technischen Verfahren gewöhnlich in großer Zahl stattfinden.

Es bedarf also noch erheblicher Forschungsarbeit, um kohärente Steuerung auch im industriellen Maßstab realisieren zu können. Gegenwärtig muß man entweder die Reaktionsbedingungen besonders geschickt gestalten oder sich auf eine sehr enge Klasse von Reaktionen beschränken. In verdünnten Gasen beispielsweise, also bei großen mittleren Molekülabständen und geringen Stoßhäufigkeiten, liefert die Technik derzeit schon gute Ergebnisse – aber das sind Bedingungen, die kaum für großtechnische Reaktionen taugen.

Das zweite Haupthindernis besteht in der Schwierigkeit, eine bestimmte Phasenbeziehung zwischen den beiden Laserstrahlen einzustellen und aufrechtzuerhalten. Bei zwei unabhängigen Lasern weiß man im allgemeinen nicht, inwieweit das Licht des einen in Phase mit dem des anderen ist. Außerdem wird die Phasendifferenz zwischen den beiden Strahlen durch Instabilitäten der Apparaturen beeinflußt; dadurch verringert sich der Grad der Interferenz und damit das Ausmaß der Steuerungsmöglichkeit.

Komplizierte optische Techniken sollten jedoch dieses Problem mildern oder lösen. So kann man aus Photonen einer bestimmten Frequenz solche einer anderen Wellenlänge erzeugen, indem man Laserstrahlung durch spezielle Materialien schickt, die seine Frequenz zum Beispiel verdoppeln. Auf diese Weise erhält man zwei Lichtwellen, deren Phasendifferenz wohldefiniert ist und sich dadurch modifizieren läßt, daß man eine Welle relativ zu der anderen nach Bedarf verlangsamt.

Einen anderen Ausweg bieten sehr intensive Laserstrahlen, über die derzeit viel geforscht wird. Gemeinsam mit Zhidang Chen von der Universität Toronto konnten wir zeigen, daß man damit auf wohldefinierte und sorgsam kontrollier-te Phasenbeziehungen verzichten kann. Außerdem sollten sie erheblich höhere Umsätze erlauben und unempfindlich gegen störende Wirkungen molekularer Stöße sein. Irit Sofer, Alexander Shnitman, Ilya Golub, Amnon Yogev und uns ist es am Weizmann-Institut in Rehovot (Israel) kürzlich gelungen, mit solchen Strahlen experimentell die Bildung der verschiedenen Produkte bei der Dissoziation von molekularem Natrium zu kontrollieren (Bild 1).


Pulsverfahren

Eine Interferenz zwischen Reaktionswegen läßt sich außer mit zwei kontinuierlichen Laserstrahlen auch mit zwei nacheinander abgefeuerten ultrakurzen Laserpulsen erzeugen. Moderne Lasersysteme ermöglichen Pulse unvorstellbar kurzer Dauer – bis hinunter zu 10 Exp-14 Sekunden (zehn billiardstel) Sekunden. Allerdings kommt dabei die Heisenbergsche Unbestimmtheitsbeziehung ins Spiel: Die Energie der Photonen überdeckt einen um so weiteren Bereich, und das Frequenzspektrum wird mithin um so breiter, je kürzer die Pulse sind.

Aber gerade diese Eigenschaft ist bei der Steuerung chemischer Reaktionen hilfreich. Normalerweise existiert ein Molekül ABC bei einem bestimmten festen (quantisierten) Energiewert in einem sogenannten stationären Zustand, in dem es unverändert verharrt. Damit es ein dynamisches Verhalten zeigen kann, muß es gleichzeitig in mehreren stationären Zuständen (mit verschiedenen Energieniveaus) vorliegen. Die Wellenfunktion dieses Überlagerungszustands ist gleich der Summe der Wellenfunktionen der enthaltenen stationären Zustände. Um das Molekül in einen solchen Zwitterzustand zu bringen, kann man es mit einem geeigneten kurzen Puls kohärenten Laserlichts bestrahlen. Dessen Art und Wechselwirkung mit dem Molekül bestimmen dann, welche internen Bewegungen angeregt werden. Die Moleküldynamik läßt sich also beeinflussen, indem man die relativen Anteile der einzelnen Frequenzen in dem Puls passend einstellt, das heißt, ihm eine bestimmte Form aufprägt.

Diese Ideen haben verschiedene Wissenschaftler entwickelt. Ihre theoretischen Ergebnisse zeigen, daß man zwar Pulse benötigt, die aus komplexen Frequenzmustern aufgebaut sind, wenn man die molekulare Dynamik optimal steuern will, oft aber einfache Näherungen ausreichen, wenn es nur darum geht, eine Bindung in einem Molekül kontrolliert zu brechen.

Obwohl ein einzelner Lichtpuls die innere Dynamik eines Moleküls bereits verändert, läßt sich damit allein die Ausbeute chemischer Reaktionen noch nicht aktiv steuern – dazu bedarf es eines zweiten: Der erste Puls bringt das Molekül in einen Überlagerungszustand und legt damit fest, wie es auf den zweiten reagieren wird; dieser läßt das Molekül dann, je nachdem, auf die eine oder andere Weise zerbrechen (Bild 4).

Trotz aller äußeren Verschiedenheit ähnelt dieses Verfahren der Bestrahlung mit kontinuierlichen Lasern insofern, als auch ihm die quantenmechanische Interferenz zwischen molekularen Wellenfunktionen zugrunde liegt; nur wird sie durch die in den beiden Pulsen enthaltenen Photonen verschiedener Frequenzen verursacht. Um die Interferenz und damit die Produktausbeute zu variieren, kann man das Intervall zwischen den Pulsen und das Frequenzspektrum des ersten Pulses verändern. Anders als beim kontinuierlichen Verfahren, das einen stetigen Produktstrom liefert, läßt sich hier also die Zeit als zusätzliche Variable nutzen.

Tatsächlich zeigen Berechnungen von Izhak Levy, der früher am Weizmann-Institut tätig war, und uns, daß der Steuerbereich potentiell sehr groß ist. Bei einer Analyse der Dissoziation zweiatomiger Moleküle fanden wir heraus, daß sich die relativen Produktausbeuten je nach Einstellung des Lasers zwischen 3 und 95 Prozent variieren lassen; man kann eine Reaktion also praktisch vollkommen ein- oder ausschalten.

Bei vielatomigen Molekülen sind die Kontrollmöglichkeiten etwas geringer, aber immer noch erheblich. So haben wir diese Methode beispielsweise auf die Dissoziation von einfach deuteriertem Wasser (HOD; aufgebaut aus Wasserstoff, Sauerstoff und Deuterium) angewendet und kontrollierbare Ausbeuten an H+OD oder D+OH erhalten.


Asymmetrische Synthesen

Die erste Anwendung in der Praxis könnten lasergesteuerte chemische Reaktionen bei der Produktion von Arzneimitteln finden. Biologisch aktive Substanzen kommen nämlich oft in zwei spiegelbildlichen molekularen Formen vor, die sich wie die rechte und die lin-ke Hand zueinander verhalten. Folglich spricht man von Händigkeit oder Chiralität; die beiden Formen werden als Enantiomere bezeichnet. Pharmakahersteller müssen viel Mühe darauf verwenden, Produkte mit der richtigen Händigkeit zu produzieren; denn vielfach ist nur ein Enantiomer biologisch aktiv und das andere wirkungslos oder sogar schädlich.

Die kohärente Steuerung mit Lasern böte ein einfaches Mittel, das richtige Produkt gezielt herzustellen. So haben wir die Dissoziation einer Verbindung analysiert, aus der sich entweder ein rechts- oder ein linkshändiges Fragment abspalten kann. Bezeichnen wir die Substanz mit ABA', wobei A und A' Enantiomere sein sollen; die Produkte wären also etweder AB und A' oder A und BA'. Wegen der hohen Symmetrie von ABA' läßt sich durch Anregung mit normaler Laserstrahlung die Dissoziation nicht gezielt in eine der beiden Richtungen dirigieren: A und A' werden in gleichen Mengen gebildet. Unsere Analysen zeigen jedoch, daß unter bestimmten Bedingungen (insbesondere in einem schwachen Magnetfeld) das Doppelpulsverfahren zur Steuerung der Enantiomerenausbeute geeignet ist, so daß beispielsweise bevorzugt A entsteht.

Auf die Interferenz molekularer Quantenzustände gestützte Verfahren können im übrigen die Grundlage gänzlich neuer Technologien bilden. So läßt sich damit erreichen, daß die Produkte einer chemischen Reaktion alle in einem bestimmten angeregten Energiezustand anfallen. Sie könnten dann synchron in den Grundzustand übergehen und dabei Laserstrahlung bei Frequenzen emittieren, die mit heutigen Lasern nicht zugänglich sind. Noch interessanter ist die Idee von Paul B. Corkum vom kanadischen Nationalen Forschungsrat, wonach Interferenzeffekte die Grundlage von Lasern bilden könnten, die extrem kurze Lichtblitze von etwa 10 Exp-16 (hundert trillionstel) Sekunden Dauer aussenden; sie wären weniger als ein Zehntel so lang wie die kürzesten heute herstellbaren.

Zusammen mit Gershon Kurizki vom Weizmann-Institut haben wir auch die Steuerung von Elektronenströmen in Halbleitern mittels Quanteninterferenz vorgeschlagen. Dazu müßte man zwei Wege schaffen, auf denen ein Donor-Atom bei Absorption von Licht ein Elektron abgeben kann, und sie zur Interferenz bringen. Durch gezielte Beeinflussung dieser Interferenz ließe sich dann kontrollieren, in welche Richtung die Elektronen freigesetzt werden, das heißt, in welche Richtung der elektrische Strom fließt. Als Ergebnis erhielte man einen optischen Schalter, der in extrem kurzer Zeit – vielleicht innerhalb einer billionstel Sekunde – umspringen sollte und damit wesentlich schneller wäre als heutige Schalter. Experimentelle Hinweise auf die Möglichkeit einer derartigen Richtungssteuerung haben Boris Zeldovich, derzeit an der Universität von Zentralflorida in Orlando, bei photoelektrischen Detektoren, Corkum in Halbleiter-Bauteilen und Elliot bei der Photoionisation von Atomen gefunden.

Die Quantenmechanik lieferte neue Ansätze zu einem tieferen Verständnis der Natur. Doch inzwischen sind wir dabei, aus der Rolle des passiven Beobachters herauszutreten. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert wird klar, daß die planmäßige Erweiterung quantenmechanischer Vorstellungen einzigartige Möglichkeiten birgt, atomare, molekulare und elektronische Vorgänge noch umfassender, eleganter und gezielter zu steuern als bisher.

Literaturhinweise

- Coherent Pulse Sequence Control of Product Formation in Chemical Reactions. Von D. J. Tannor und S. A. Rice in: Advances in Chemical Physics, Band 70, Teil 1, Seiten 441 bis 523, 1988.

– Interference between Optical Transitions. Von C. Chen, Y.-Y. Yin und D. S. Elliott in: Physical Review Letters, Band 64, Heft 5, Seiten 507 bis 510, 29. Januar 1990.

– Controlled Photon Induced Symmetry Breaking: Chiral Molecular Products from Achiral Precursors. Von M. Shapiro und P. Brumer in: Journal of Chemical Physics, Band 95, Heft 11, Seiten 8658 bis 8661, 1. Dezember 1991.

– Coherent Laser Control of Bound-to-Bound Transitions of HCl and CO. Von S.-P. Lu, S. M. Park, Y. Xie und R. J. Gordon in: Journal of Chemical Physics, Band 96, Heft 9, Seiten 6613 bis 6620, 1. Mai 1992.

– Coherent and Incoherent Laser Control of Photochemical Reactions. Von M. Shapiro and P. Brumer in: International Reviews of Physical Chemistry, Band 13, Heft 2, Seiten 187 bis 229, September 1994.

– Coherence Chemistry: Controlling Chemical Reactions with Lasers. Von P. Brumer and M. Shapiro in: Accounts of Chemical Research, Band 22, Heft 12, Seiten 407 bis 413, Dezember 1994.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1995, Seite 70
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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