Stimme im Kopf
Elektronische Implantate in der Schnecke (Cochlea) des Innenohres geben bereits Zehntausenden ertaubter Patienten das Hören zurück. Voraussetzung ist allerdings ein intakter Hörnerv – er wird von einer solchen Prothese stimuliert. Weltweit entwickeln Forscher deshalb Systeme, die Verarbeitungsstationen der akustischen Wahrnehmung im Gehirn direkt ansprechen.
Eine Kooperation des Huntington Medical Research Institutes in Pasadena und des House Ear Institute in Los Angeles (beide Kalifornien) mit Cochlear Ltd., dem führenden Implantat-Hersteller in Sydney (Australien) konzentriert sich auf Patienten mit Neurofibromatose Typ 2 (NF2). Diese entwickeln in jungen Jahren Tumoren des achten Hirnnerven, der auch die Fasern des Cochlea-Nerven umfasst. Bei der Operation der Geschwulst geht deshalb oft das Hörvermögen verloren.
Rund 150 so Ertaubte tragen mittlerweile den Prototypen einer entsprechenden Neuroprothese. Mittels mehrerer flacher Elektroden spricht sie die Oberfläche des Hirnstamms in der Nähe des so genannten ventralen Cochlea-Kerns an, der beim Gesunden als Schaltstelle für Signale von der Hörschnecke fungiert. Wie bei "herkömmlichen" Implantaten verarbeitet ein externer Sprachprozessor den von einem Mikrofon aufgenommenen Schall. Er sendet einem Empfänger unter der Kopfhaut Steuersignale, die an die Elektroden weitergeleitet werden. Gegenwärtig erhalten die Patienten aber gerade genug akustische Information, um ihr Lippenlesen zu verbessern und einige Geräusche wahrzunehmen. Mehrere parallel zur Gehirnoberfläche angeordnete Schichten von Nervenzellen im Cochlea-Kern sprechen nämlich spezifisch auf unterschiedliche Frequenzen an. Die oberflächliche Reizung vermittelt dementsprechend nur jeweils eine Tonhöhe.
Ein neues System soll deshalb künftig mit sechs unterschiedlich langen Iridium-Mikroelektroden in den Hirnstamm eindringen und so verschiedene Frequenzbereiche übertragen. Die Prothese, die derzeit im Tierversuch erprobt wird, soll nach Ansicht der Entwickler sogar Telefongespräche möglich machen. Dank des Instrumentariums der stereotaktischen Operation, von der Fixierung des Kopfes bis zur Computerplanung an dreidimensionalen Gehirnmodellen, soll diese Technik trotz des recht schweren chirurgischen Eingriffs einem größeren Patientenkreis zugänglich werden.<
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 2000, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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