Struktur des Verifikationssystems
Für das Abkommen über ein umfassendes Verbot von Kernwaffenversuchen gilt das gleiche wie für alle anderen Rüstungskontrollverträge: Die Unterzeichnerstaaten vertrauen darauf , daß die vereinbarten Regelungen eingehalten werden. Den Nachweis, daß ein Vertragspartner gegen die Bestimmungen verstoßen hat, müßte die Staatengemeinschaft oder ein anklagender Staat erbringen. Um dies zu ermöglichen, werden sehr detaillierte Kontrollmechanismen wie spezielle technische Überwachungssysteme und Inspektionen vereinbart. Im Falle des umfassenden Teststopps muß das Verifikationssystem imstande sein, die Versuchsexplosion einer Kernwaffe oder jede andere nukleare Explosion zu entdecken und nachzuweisen – und zwar weltweit, unabhängig von dem Medium, in dem sie stattfände, und unabhängig von der freigesetzten Energiemenge. Die Anforderung lautet damit: Überwache die Lithosphäre (die äußere Gesteinshülle der Erde), die Hydrosphäre (Meere) und die Atmosphäre derart, daß eine Nuklearexplosion mit ausreichender Wahrscheinlichkeit detektiert, lokalisiert und identifiziert werden kann. Erforderlich ist dazu ein komplexes globales Meßnetz, das nur in internationaler Zusammenarbeit aufgebaut und betrieben werden kann. Während der Verhandlungen in Genf mußte nicht nur die Struktur dieses Verifikationssystems beschlossen, sondern auch ein Kompromiß zwischen Aufwand und möglichst effizienter Verifikation gefunden werden, um die Kosten nicht ins Unermeßliche steigen zu lassen. Die in die Beratungen einbezogenen Experten wurden schließlich beauftragt, ein System zu entwerfen, das eine nukleare Explosion, deren Energiefreisetzung derjenigen von etwa einer Kilotonne des chemischen Sprengstoffs TNT – einer Energie von 4,2 × 1012 Joule – entspricht, mit hoher Wahrscheinlichkeit nachzuweisen vermag. Diese Formulierung stellt lediglich eine planerische Vorgabe dar, denn der Vertrag selbst verbietet grundsätzlich alle Nuklearexplosionen, also auch diejenigen mit noch kleinerer Energiefreisetzung. Es ist aber zu erwarten, daß das Meßnetz nach seiner Inbetriebnahme auch Explosionen unterhalb von einer Kilotonne TNT zu entdecken vermag; auf jeden Fall wäre die abschreckende Wirkung enorm, denn ein potentieller Vertragsbrecher sähe sich einem erheblichen Risiko ausgesetzt, daß ein heimlich durchgeführter Nukleartest entdeckt werden würde. Das Verifikationssystem, auf das sich die Expertengruppen schließlich geeinigt haben, enthält mehrere Komponenten. Das Internationale Überwachungssystem (International Monitoring System, IMS), das Nuklearexplosionen detektieren soll, besteht aus einem weltumspannenden Netz verschiedenartiger Sensoren. Die von den einzelnen Meßstationen registrierten Daten werden an das Internationale Datenzentrum (International Data Centre, IDC) weitergeleitet, wo man sie zunächst für jede Nachweistechnologie separat und dann gemeinsam auswertet, um ein detektiertes Ereignis zu lokalisieren und möglichst zu identifizieren. Anschließend werden die Resultate den Vertragsstaaten zur Verfügung gestellt. Läßt sich ein Ereignis weder vom IDC noch von einem Mitgliedsstaat als eindeutig unverdächtig einschätzen, kann eine Inspektion vor Ort (On-site Inspection, OSI) beantragt werden, über die der Exekutivrat entscheidet, der das ausführende Organ der in Wien beheimateten Organisation des Abkommens über einen umfassenden Teststopp (Comprehensive Test Ban Treaty Organisation, CTBTO) darstellt. Weil solche Inspektionen einen Eingriff in die Souveränität eines Staates bedeuten, sollen sie mit größmöglicher Zurückhaltung und mit den unaufdringlichsten Verfahren beginnend erfolgen. Um eine Vor-Ort-Inspektion sinnvoll durchführen zu können, müssen die vom IDC vorgelegten Ergebnisse sowohl räumliche als auch zeitliche Kriterien erfüllen. Der Vertrag schreibt dazu vor, daß ein verdächtiges Ereignis auf etwa 1000 Quadratkilometer genau zu lokalisieren sein muß. Die Position läßt sich im allgemeinen durch seismische Messung der Nachbeben, die um den Explosionsort zentriert sind, genauer eingrenzen, indem man tragbare Seismometer aufstellt – vorausgesetzt, das Inspektionsteam ist rechtzeitig vor Ort, denn die Häufigkeit der Nachbeben nimmt rasch ab. Eile ist noch aus einem zweiten Grund geboten: Viele Spaltprodukte, die bei einer nuklearen Explosion vermehrt entstehen und die gerade eine Unterscheidung von Emissionen aus kerntechnischen Anlagen ermöglichen, zerfallen mit kurzer Halbwertszeit. Ein Inspektionsteam müßte infolgedessen innerhalb von 14 Tagen mit einer umfangreichen Ausrüstung vor Ort eingetroffen sein; um die gesamten dazu erforderlichen Maßnahmen rechtzeitig einleiten und durchführen zu können, muß das IDC die Auswertung der Daten spätestens etwa 48 Stunden nach ihrer Registrierung zur Verfügung stellen.
Auswahl der Nachweistechniken
Die Detonation eines Kernsprengsatzes ruft eine Vielzahl von Wirkungen hervor, die zum Teil davon abhängen, in welchem umgebenden Medium sie stattfindet. Dementsprechend gibt es eine Reihe von Sensortechnologien, die sich zu ihrem Nachweis eignen (Bild 2).
Nach Beginn der Teststoppverhandlungen 1994 wurden zunächst sieben verschiedene Methoden diskutiert:
- Seismik. Sie registriert die elastischen Erschütterungen des Erdbodens.
- Hydroakustik. Mit ihr lassen sich die Schallwellen, die sich im Wasser ausbreiten, detektieren.
- Radionuklidtechnik. Sie ermöglicht den Nachweis der Spalt- und Aktivierungsprodukte, die bei den nuklearen Reaktionen innerhalb der Kernwaffe und mit dem Material des umgebenden Mediums entstehen.
- Infraschalltechnik. Dieses Verfahren registriert den niederfrequenten Anteil der Stoßwelle, der in der Atmosphäre nur wenig gedämpft wird und sich deshalb als Schallwelle über große Entfernungen ausbreiten kann.
- Detektion des elektromagnetischen Pulses (EMP). Elektromagnetische Wellen werden vom Ort der Explosion abgestrahlt, wenn sich die von der Kernstrahlung aus den Molekülen der Luft herausgeschlagenen Elektronen in einem asymmetrischen Umfeld ausbreiten.
- Optische Detektion. Durch Wechselwirkung der freigesetzten Röntgenstrahlung mit der umgebenden Luft entsteht ein Lichtblitz, der sich mit optischen Sensoren registrieren läßt.
- Satelliten. Mit Neutronen-, Röntgen-, Licht- und EMP-Detektoren sowie bildgebender Technik ausgerüstet können sie aus Umlaufbahnen um die Erde Versuchsexplosionen im Weltraum entdecken, aber auch Vorgänge auf dem Erdboden überwachen.
Alle diese Nachweisverfahren wurden auf ihre Eignung hin untersucht, einen Nukleartest mit der Energiefreisetzung von etwa einer Kilotonne TNT, der in der Atmosphäre, unter Wasser oder unterirdisch stattfindet, zu detektieren, zu lokalisieren und zu identifizieren. Die nachfolgenden Diskussionen konzentrierten sich jedoch im wesentlichen auf unterirdische Versuchsexplosionen, weil sie als einzige nicht von dem 1963 in Kraft getretenen Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser untersagt worden waren.
Die meisten Delegationen lehnten Satelliten als zu teuer ab. Es ist aber bekannt, daß verschiedene Staaten den Weltraum bereits mit solchen Spähern überwachen und dadurch ein Abschreckungseffekt erzielt wird. So wurde im Vertrag festgelegt, daß sich ein Ersuchen um eine Inspektion vor Ort auch "auf einschlägige technische Informationen, die in einer mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts zu vereinbarenden Weise durch nationale technische Verifikationsmittel erlangt wurden", stützen kann. Gemeint sind mit nationalen technischen Mitteln insbesondere die Meßinstrumente an Bord von Satelliten.
Die optische Detektion wurde letztlich nicht in das Überwachungssystem einbezogen, weil ihr Nutzen zu sehr vom Wetter abhängig wäre; die Nachweiswahrscheinlichkeit würde bei bewölktem Himmel sehr stark abnehmen. Die Detektion eines elektromagnetischen Pulses wurde hingegen lange als mögliche Option diskutiert. Sie ist außer der Radionuklidmeßtechnik die einzige Methode, mit der sich nukleare von chemischen Explosionen in der Atmosphäre unterscheiden lassen. Die meisten Experten hielten jedoch die Fehlalarmrate für zu hoch, da Blitze während eines Gewitters ebenfalls einen EMP erzeugen und dieser nur schwerlich – und bei großen Entfernungen gar nicht – von einem Kernwaffen-EMP zu unterscheiden wäre.
Übrig blieben schließlich vier Verfahren für das Internationale Überwachungssystem, das IMS: die Seismik, die Hydroakustik sowie die Radionuklid- und die Infraschalltechnik. Einzig über die Radioaktivität ließe sich eine Kernexplosion direkt identifizieren. Die anderen drei Techniken können zunächst nur eine Explosion nachweisen; ob diese chemischen oder nuklearen Ursprungs ist, müßte im wesentlichen aus der umgesetzten Energiemenge erschlossen werden.
Nach intensiven und aufwendigen Verhandlungen vermochten sich die Delegationen Ende 1994 auf diese vier Nachweisverfahren zu einigen. Es sind übrigens dieselben, die – zusammen mit der EMP-Technik – die USA, die damalige Sowjetunion und Großbritannien bereits in den sechziger Jahren während ihrer trilateralen Verhandlungen über einen umfassenden Teststopp, die schließlich scheiterten, ausgewählt hatten.
Festgelegt wurde nun, daß 170 Seismik-, 11 Hydroakustik-, 80 Radionuklid- und 60 Infraschallstationen zu einem weltumspannenden Überwachungsnetz auf- oder ausgebaut werden sollen. Die Anzahl dieser Meßplätze ergibt sich aus ihrer erforderlichen Dichte, die wiederum bestimmt ist durch die mögliche Detektionsentfernung. Alle Hydroakustik- und Infraschallstationen werden kontinuierlich Daten senden, ebenso 50 der seismischen Stationen, die übrigen 120 nur auf Anfrage. Die Radionuklidstationen werden täglich Spektren zum Internationalen Datenzentrum übermitteln.
Das Vorläufige Technische Sekretariat
Die organisatorischen Strukturen des Verifikationssystems werden gegenwärtig errichtet. Eine Vorbereitungskommission ist seit Frühjahr dieses Jahres damit betraut, in Wien die CTBTO aufzubauen, die für die Erfüllung des Teststoppabkommens zuständig ist. Innerhalb dieser Organisation wird das Vorläufige Technische Sekretariat (Provisional Technical Secretariat, PTS) unter Leitung von Wolfgang Hoffmann, dem ehemaligen deutschen Botschafter bei der Genfer Abrüstungskonferenz, die Durchführung der Verifikation übernehmen; die drei technischen Abteilungen sind Internationales Überwachungssystem (IMS), Internationales Datenzentrum (IDC) und Vor-Ort-Inspektionen (OSI).
Die Abteilung IMS ist wiederum in die vier Referate Seismik, Hydroakustik, Radionuklide und Infraschall unterteilt, weil jede dieser Verifikationstechniken ihre Besonderheiten aufweist und die Stationen nur von Experten aus dem jeweiligen Fachgebiet aufgebaut und betreut werden können; ein weiteres Referat organisiert das Training für künftige Betreiber der Stationen. Die wesentliche Aufgabe dieser Referate ist zur Zeit, die vorgesehenen Standorte der Meßstationen auf ihre Eignung hin untersuchen zu lassen. Vorerst werden nur einige seismische Stationen aufgebaut oder den vorgegebenen Spezifikationen angepaßt. Der eigentliche Aufbau der Stationen wird nach Auswertung dieser Erhebungen 1998 beginnen.
Die Abteilung IDC ist ebenfalls untergliedert. Das Referat Überwachung wird kontinuierlich die empfangenen Meßdaten analysieren und die Bulletins mit den Ergebnissen der Auswertung erstellen. Während das Referat Wissenschaftliche Methoden und Datenfusion die erforderliche Software weiterentwickelt, ist das Referat Infrastruktur und Kommunikation für die Hardware im IDC zuständig. Das Training der Auswerter wird wiederum durch ein eigenes Referat organisiert.
Die Abteilung OSI schließlich besteht aus den Referaten Equipment, Transport und Überflug, Inspektionen (Geophysik), Inspektionen (Radioaktivität), Bohrungen sowie Training. Ihre Aufgabe wird sein, Vor-Ort-Inspektionen durchzuführen und gegebenenfalls aufwendige Bohrungen vorzunehmen, um Gesteinsproben und radioaktive Spaltprodukte auch aus großer Tiefe gewinnen und analysieren zu können.
Leistungssteigerung durch Synergien
Jedes der vier einzelnen Meßnetze hat gewissermaßen eine wohldefinierte Zuständigkeit. Das Seismiknetz überwacht die Lithosphäre und detektiert, lokalisiert und identifiziert dort Explosionen anhand der sich in der Erde ausbreitenden Schallwellen. Dasselbe leistet das Hydroakustiknetz in den Ozeanen. Das Radionuklidnetz detektiert und identifiziert Nuklearexplosionen in der Atmosphäre, vermag aber nur grobe Angaben über den Ort des Ereignisses zu liefern, weil der Nachweis infolge der Ausbreitung der radioaktiven Substanzen in der Atmosphäre verzögert erfolgt und die Güte der Rückverfolgung von den meteorologischen Daten und den angewandten Ausbreitungsmodellen abhängt; es wird darum durch das Infraschallnetz ergänzt.
Für den Betrieb und die Leistungsfähigkeit des Gesamtnetzes ergeben sich gleichwohl Synergieeffekte, durch die sich die Fähigkeiten zur Detektion, Lokalisierung und Identifikation verbessern (Bild 3). So vermögen die seismischen Stationen prinzipiell auch Nuklearexplosionen zu detektieren, die in der Atmosphäre oder unter Wasser durchgeführt werden, weil die hervorgerufene Stoßwelle sich auch in der Erde fortpflanzt. Diese Einkopplung ist besonders effizient für den Übergang von Wasser in Gestein, so daß sich sogar fünf der teuren Hydroakustik- durch preiswertere Seismikstationen auf Inseln ersetzen ließen.
Ebenso können hydroakustische Sensoren Signale detektieren, die aus der Atmosphäre oder der Lithosphäre ins Wasser eingekoppelt werden. Möglicherweise vermag auch das Infraschallnetz Stoßwellen von Unterwasser- und nicht allzu tiefen unterirdischen Explosionen zu detektieren.
Das Radionuklid-Meßnetz zeichnet sich durch seine Fähigkeit aus, atmosphärische Nuklearexplosionen zweifelsfrei zu identifizieren. Es kann jedoch auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Unterwassertests und mit geringer, aber eben nicht zu vernachlässigender Wahrscheinlichkeit unterirdische Kernwaffenversuche detektieren. Bei nicht zu tief durchgeführten Unterwasserexplosionen gelangen nämlich aufsteigende radioaktive Gase in die Atmosphäre. Selbst im Falle unterirdischer Versuchsexplosionen ließe sich das Entweichen von Radioaktivität nicht zuverlässig verhindern; die Erfahrung zeigt, daß in etwa zehn Prozent aller Fälle radioaktive Gase entweder durch das ungenügend gedämmte Bohrloch, durch das der Sprengsatz eingeführt wurde, oder durch Risse im Gestein entweichen – oftmals noch nach mehreren Monaten, denn die Leckage wird durch einen Pumpeffekt begünstigt, der durch wechselnde Tief- und Hochdruckwetterlagen hervorgerufen wird.
Die Vorbereitungskommission der CTBTO in Wien, eine von den Signatarstaaten des Teststoppabkommens neu eingerichtete Organisation, die auch das Internationale Datenzentrum aufbaut, wird in den kommenden Jahren für die Implementierung aller vier Teilmeßnetze sorgen. Die nationalen Institutionen mit ihren Experten werden an der Funktionsfähigkeit dieses ersten weltumspannenden internationalen Überwachungssystems entscheidenden Anteil haben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1997, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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