Suizid: Zuhörer hinter Gittern
Es gibt Momente im Leben, die einen wie ein dunkles, schattenhaftes Tier anfallen. Die ins Mark treffen und denen man nichts entgegenzusetzen hat. Ein solcher Moment kann die Inhaftierung in einem Gefängnis sein. Die vertraute Welt bricht zusammen. Vor Ihnen tut sich das Unbekannte und Unerhörte auf: Mauern, Wachtürme, Stacheldraht, automatische Schleusentore, die fixierenden Blicke der Vollzugsbeamten, vor denen Sie sich entkleiden müssen: Mund auf, Zunge hin und her bewegen, Handflächen und Fußsohlen vorzeigen. Alle Körperöffnungen spreizen, zum Beweis, dass dort nichts versteckt ist. Anschließend die Gemeinschaftsdusche. Ihnen wird die Häftlingskleidung ausgehändigt, der Geruch von Abgestandenheit und Desinfektion vertreibt alles Persönliche.
Eine Inhaftierung bedeutet die Aberkennung von vielem, was uns als Menschen ausmacht. Von einem Moment auf den anderen wird einem die so sicher geglaubte Freiheit geraubt; man ist nicht länger Teil der Gemeinschaft. Der Soziologe Erving Goffman (1922-1982) bezeichnete den Moment, in dem die bürgerliche Existenz mit einem Schlag endet und alles Vertraute der Angst vor einem Dasein in Gefangenschaft weicht, als "sozialen Tod". Für viele Straftäter ist der Einzug ins Gefängnis ein Schock. In manchen Fällen bleibt es allerdings nicht beim sozialen Tod. Jedes Jahr nehmen sich etwa 50 Gefangene in Deutschland tatsächlich das Leben, die meisten von ihnen in Untersuchungshaft. Hinzu kommt noch eine große Anzahl gescheiterter Versuche. Das Risiko von Gefangenen ist damit im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zirka 23-fach erhöht.
Zwar gibt es immer noch vereinzelt Stimmen, die meinen, weil jemand eine Straftat begangen hat, sei sein Tod weniger bedauerlich. In einer humanen Gesellschaft ist jedoch jeder Suizid in einem Gefängnis einer zu viel. Wie lässt es sich also verhindern, dass ein frisch Inhaftierter an seiner Situation derart verzweifelt, dass er als letzten Ausweg nur noch den Tod sieht? ...
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