Synästhesie: Sinfonie der Sinne
Als ich etwa sechs Jahre alt war, leistete mein Verstand etwas Ungewöhnliches, das sich für mich ganz natürlich anfühlte. Wenn ich den Namen eines beliebigen Wochentags hörte, verband ich ihn automatisch mit einer Farbe oder einem Muster. Die Wörter lösten bei mir immer dieselben Farbeindrücke aus, als ob sie diesen Farbton verkörperten. Sonntag war ein dunkles Kastanienbraun, Mittwoch ein sonniges Goldgelb und Freitag ein tiefes Grün. Samstag war aufregend anders. Dieser Tag rief vor meinem geistigen Auge ein Muster aus Kreisformen in Silber- und Grautönen hervor, die sich zusehends verschoben und überlappten – wie Blasen in einem Glas mit sprudelndem Wasser.
Damals ahnte ich nicht, dass meinen Eindrücken eine neuronale Besonderheit zu Grunde lag: die Synästhesie. Der Begriff leitet sich von den griechischen Wörtern »syn« und »aísthēsis« ab, was so viel wie »gemeinsame Wahrnehmung« bedeutet. Ein sensorischer Reiz aktiviert bei Betroffenen zusätzliche Sinnesareale im Gehirn, die bei den meisten Menschen nicht darauf reagieren würden. Die Neuropsychologin Julia Simner beschreibt das treffend als einen Zustand, in dem gewöhnliche Aktivitäten außergewöhnliche Erfahrungen auslösen. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung empfindet synästhetisch, vermutlich ist das aber unter kreativen Menschen stärker verbreitet. Künstler, die von entsprechenden Eindrücken berichteten, reichen vom…
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