Tauziehen um eine Super-Akademie?
Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die interne akademische Auseinandersetzung sowie die Beziehungen der scientific community zum Ausland sollten auch in der Bundesrepublik – so der wiederholt geäußerte, aber bislang unerfüllte Wunsch – in einer einzigen Institution konzentriert werden.
Fortwährend werden in Deutschland Gremien gewählt oder berufen, die sich um die soziale Rolle der Wissenschaft, um Technikfolgenforschung, Politikberatung und Interdisziplinarität kümmern und die hiesige Wissenschaft gegenüber dem Ausland repräsentieren sollen – etwa der Technologierat beim Bundeskanzler (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1998, Seite 113), die Organe der Wissenschaftsorganisationen, die europäische und die baden-württembergische Akademie für Technikfolgenabschätzung sowie das dafür eingerichtete Büro beim Deutschen Bundestag, das im Sommer sein 25jähriges Jubiläum beging. Eine Deutsche Akademie der Wissenschaften – wenngleich in den Koalitionsvereinbarungen der Bundesregierung von 1994 vorgesehen – ist jedoch noch immer nicht über das Stadium der Diskussion hinausgekommen.
Die Leopoldina
Viele sind berufen, aber keine ist berufener als die Leopoldina, so könnte man frei nach einem Vers aus der Tragödie "Antigone" des Sophokles sagen. Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale ist auf allen genannten Gebieten tätig, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung (Spektrum der Wissenschaft, April 1991, Seite 49, und Dezember 1992, Seite 130). Sie erweitert und reformiert jetzt ihre Handlungsmöglichkeiten. Als älteste deutsche Akademie – sie wurde 1652 gegründet – wäre sie damit künftig imstande, eine umfassende und zentrale Rolle zu spielen. Sie hätte dazu wohl auch die Zustimmung des Wissenschaftsrates.
Dieser weist in seiner Stellungnahme zur Leopoldina vom 10. Juli 1998 darauf hin, daß deutsche Akademien als gelehrte Gesellschaften nicht wie in manchen anderen Staaten Instrumente der zentralen Wissenschaftslenkung sind. Wegen ihrer Rolle als Brücke zwischen den Wissenschaftlern in Ost und West und ihrer während der gesamten DDR-Zeit bewahrten politischen Unabhängigkeit wurde die Leopoldina freilich zu einem wichtigen Ratgeber bei der Neugestaltung der Forschung in Ostdeutschland. Forum der deutschsprachigen Naturwissenschaft und Medizin ist diese Gelehrtengesellschaft bisher vor allem durch ihre Symposien, Meetings, Jahresversammlungen und Publikationen, aber auch durch die von ihr verliehenen Auszeichnungen und Preise.
Interdisziplinäre Kommissionen, die seit wenigen Jahren eingerichtet werden, ergänzen nunmehr diese Funktion. Sie sind zeitlich befristet und sollen – ohne dazu von staatlicher Seite beauftragt zu sein – Antworten auf aktuelle wissenschaftlich-gesellschaftliche Fragen finden. Das Leopoldina-Förderprogramm, ursprünglich für junge ostdeutsche Forscher eingerichtet, (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 138), ist seit Anfang 1998 ein – vom Wissenschaftsrat gerühmtes – Exzellenzprogramm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es erweitert die in Deutschland begrenzten Fördermöglichkeiten für Postdoktoranden.
Die fachliche Gliederung der Leopoldina wird derzeit neu geordnet. Die Gesamtzahl der Sektionen wurde von 36 auf 26 reduziert (siehe Tabelle), aber mit drei neuen für Technikwissenschaften, Wissenschaftstheorie sowie Ökonomik und Empirische Sozialwissenschaften interdisziplinär abgerundet. In den Senat der Akademie sollen künftig auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufgenommen werden, um die Stimme der unabhängigen Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu stärken.
Die geplanten Leopoldina Science Conferences sollen interdisziplinär künftige Entwicklungen der Naturwissenschaften und der Medizin sowie der Grenzgebiete zu den Geisteswissenschaften behandeln. Sie sind Nachfolger der 15 Jahre lang vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft organisierten Dahlem-Konferenzen. Bevor sie jedoch unter einem eigenen Konferenzdirektor in der Leopoldina endgültig institutionalisiert werden, soll ihre Finanzierung in einer Versuchsphase über Drittmittel erfolgen.
Allgemein befürwortet der Wissenschaftsrat, daß die Leopoldina überwiegend vom Bund, aber zusammen mit dem Land Sachsen-Anhalt finanziert wird. Das Bundesfinanzministerium hatte die Stellungnahme angefordert, weil es nach Möglichkeiten suchte, aus der jetzigen Belastung von 80 Prozent des mehr als drei Millionen Mark betragenden Grundhaushaltes herauszukommen. Der Wissenschaftsrat verlangt jedoch, an diesem Finanzierungsschlüssel festzuhalten – wegen "des besonderen Status der Leopoldina in der deutschen Wissenschafts- und Akademielandschaft".
Wird damit die Leopoldina zu einer nationalen Akademie der Wissenschaften? Der Wissenschaftsrat hat in seiner Stellungnahme diese Frage sorgsam umschifft. Die Mitglieder und Freunde der Leopoldina sowie andere Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker sind sich in diesem Punkt nicht einig. Insbesondere drohen Schwierigkeiten mit den sieben Akademien der Wissenschaften einzelner Bundesländer, die in einer Konferenz zusammengeschlossen sind. Ihr gehört die Leopoldina nicht an. Sie versteht sich als überregional und international wirkende Einrichtung. Ihre rund 1000 Mitglieder leben im gesamten deutschsprachigen Raum.
Die Leopoldina will "vordergründig keine (nationale) Akademie der Wissenschaften Deutschlands werden". Auf der Jahresversammlung im März 1997 meinte Präsident Benno Parthier, sie sei ebenso wie die Akademien-Konferenz "mit ihren derzeitigen Strukturen aus der Vergangenheit kaum in der Lage, zukunftsbestimmende wissenschaftsorientierte Aufgaben zu bewältigen", welche Wissenschaft, Gesellschaft und Politik im 21. Jahrhundert erwarteten. Andererseits sprächen mehrere Gründe für eine repräsentative Deutsche Akademie der Wissenschaften.
Eine solche zu gründen war Absicht der bisherigen Bundesregierung. Aber in der wissenschaftlichen Gemeinschaft hatte sich aus unterschiedlichen Motiven Widerstand gegen diese staatliche Durchsetzung einer nationalen Akademie geregt. Auch Bundespräsident Roman Herzog denkt darüber sehr differenziert: Gegenüber der Jahresversammlung 1997 der Leopoldina sagte er, ob eine Nationalakademie erforderlich sei, um den größer werdenden Bedarf der Gesellschaft an wissenschaftlicher Beratung zu befriedigen, entscheide sich nicht zuletzt dadurch, wie erfolgreich sich die bestehenden Akademien dem Dialog mit Gesellschaft und Politik stellen. Von der Überlegung, die Leopoldina solle das übernehmen, ist er inzwischen zwar abgerückt, doch hält er an dem Gedanken fest, gewisse Aufgaben zu institutionalisieren wie etwa die Pflege der internationalen wissenschaftlichen Partnerschaft, die Entwicklung übergreifender Perspektiven für Deutschland und die Organisation transdisziplinärer Forschung sowie die Funktion als Sprachrohr der Wissenschaft, als Kommunikationsplattform und als Motor für Veränderungen. Nach einem neuen Gespräch mit den Wissenschaftsorganisationen Anfang Oktober soll dafür eine Kommission berufen werden.
Berlin-Brandenburgische Akademie
In Deutschland ist inzwischen die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) in diese Richtung aktiv geworden. Sie hat offenbar Ambitionen, über eine Namensänderung zunächst einmal zur reinen Berliner Akademie und dann zur nationalen Deutschen Akademie der Wissenschaften zu werden. Präsident Dieter Simon sagte beim diesjährigen Leibniz-Tag am 27. Juni 1998: "Hauptstadtakademie ist das wenigste. Aber für das ganze Land zu sprechen scheint uns ebenfalls eine reizvolle Aufgabe zu sein." Allerdings hätten seine Vorschläge, unter welchen Bedingungen und in welchen Formen man eine wissenschaftliche Gesamtvertretung der Nation ins Leben rufen könne, in der Politik "einstweilen noch nicht das rechte Gehör gefunden". Man werde vermutlich etwas nachhelfen müssen, doch die Akademie habe einen langen Atem und werde sich unentbehrlich machen.
Simon verwies auf Gutachten der BBAW für Brandenburg, Saarland, Rheinland-Pfalz und Hamburg sowie auf Expertisen über die deutsche Universitätssituation und die künftige Mitwirkung bei der Neugestaltung der Wissenschaftslandschaft Osteuropas. Generell versuche die Akademie, ihr Wirkungsfeld auf ganz Europa und mit Hilfe des Deutsch-Amerikanischen Akademischen Konzils (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1997, Seite 130) und der im Vorjahr gegründeten American Academy in Berlin auch auf Übersee auszudehnen.
Als ein erster konkreter Schritt der BBAW hin zu einer nationalen Akademie kann der Ende 1997 konstituierte Konvent für Technikwissenschaften verstanden werden. Sie hat sich mit der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengetan, unter deren privatrechtlichem Dach der Konvent gegründet wurde. In ihn können Technik- und Naturwissenschaftler aus allen deutschen Akademien als ordentliche Mitglieder gewählt werden; auch Nicht-Mitglieder zum Beispiel aus der Wirtschaft können volles Stimmrecht erhalten. Aufgabe des Konvents ist es, die Technikwissenschaften in Deutschland auf nationaler und internationaler Ebene zu vertreten, neue Forschungsschwerpunkte zu initiieren, interdisziplinäre Projekte zu fördern sowie im Dialog mit den Natur- und Geisteswissenschaften die Rolle zukunftsweisender Technologien für Wirtschaft und Gesellschaft einzubringen.
Es ist allerdings derzeit nur schwer vorstellbar, daß aus einer der Länderakademien oder der Leopoldina eine nationale Deutsche Akademie der Wissenschaften hervorgeht, die dem Vergleich mit ähnlichen Institutionen im Ausland standhält. Die vielfältigen Aufgaben der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, im internationalen Rahmen und im interdisziplinären Gespräch sind im föderalen Deutschland anders und auf ihre Weise effektiv verteilt. Für Leopoldina-Präsident Parthier ist eine repräsentative Deutsche Akademie nur "als neuer Sproß aus dem Schoße der vorhandenen Akademien vorstellbar". Als Vorbild zieht er das National Research Council der USA in seiner Stellung gegenüber den beiden US-amerikanischen Akademien für Naturwissenschaften und für Ingenieurwissenschaften heran. Eine solche Gründung darf allerdings nicht von der Regierung verordnet werden, und sie braucht ihre Zeit.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1998, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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