Tiermodelle: Fische in der Matrix
Ein frisch geschlüpfter Fisch schwimmt zum ersten Mal gegen den Strom. Mit seinen Glupschaugen, die aus seinem nur wimperngroßen Körper hervorquellen, beobachtet er die Umgebung. Plötzlich gleitet die Szenerie unter seinem Körper vorwärts, als ob er von der Strömung zurückgetrieben wird. Er schlägt mit dem Schwanz, um seine Position zu halten.
Tatsächlich aber ist der winzige Babyfisch bewegungsunfähig und wird von mehreren Glaspipetten in einer mit Wasser gefüllten Petrischale festgehalten. Die Schale liegt unter einem 80 000 Euro teuren Mikroskop in einer Ecke des mit technischem Gerät vollgestopften Labors. Ein von unten projizierter Film versetzt den Fisch in eine virtuelle Welt – fließende helle und dunkle Streifen gaukeln ihm eine vorbeigleitende Unterwasserszenerie vor. Obwohl das Tier sich nicht von der Stelle rührt, feuern seine motorischen Neurone ganz so, als würde es schwimmen. Die Signale verrechnet ein Computer, der damit das Video steuert; der Fisch hat also den fast perfekten Eindruck einer normalen Fortbewegung. Währenddessen beobachtet Florian Engert unter dem Mikroskop das Feuern der Neurone – denn das Fischgehirn ist durchsichtig.
Engert, der aus der Umgebung von München stammt und seit 2002 als Neurowissenschaftler an der Harvard University in Cambridge (USA) arbeitet, hat diesen Versuchsaufbau ersonnen. Gern bemerkt er scherzhaft, der Fisch ähnele der Filmfigur Neo aus dem Sciencefiction-Thriller "Matrix". In dem Streifen von 1999 sind Menschen von Maschinen versklavt worden, leben aber in einer virtuellen Realität im Glauben, sie seien frei. Der Fisch in seiner "Unterwassermatrix" soll Engerts Team eine zentrale Frage der Neurowissenschaften beantworten helfen: Wie kann eine Ansammlung von Hirnzellen Informationen aus der Umwelt erfassen und darauf mit einem so ausgefeilten Repertoire an Verhaltensweisen reagieren? ...
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