Metallurgie: Tonnen zu Trommeln
Duales System in der Karibik: Materialwissenschaftler erkunden Fertigung und Klangcharakteristik der karibischen Steeldrum.
Recycling kann auch Spaß machen, wie karibische Musiker beweisen. Aus den Hinterlassenschaften von Erdölindustrie und Marinestützpunkt bauen sie ihre Steeldrums, deren schwirrender, metallischer Klang Assoziationen an Sonne, Strände und viel zu süße Cocktails weckt. Auch der Materialwissenschaftler Lawrence E. Murr von der Universität Texas in El Paso verfiel diesem Instrument. Seit einigen Jahren untersucht sein Team die Herstellung sowie die Klangcharakteristik aus der Sicht von Metallurgen.
Die "Steeldrum" ist eine musikalische Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Gegen Ende der dreißiger Jahre zogen die Nachfahren afrikanischer Sklaven auf Trinidad während des Karnevals gruppenweise durch die Straßen und begleiteten Sänger auf Metalldosen, Kanistern und was die Müllhalden sonst noch hergaben. Bei diesen "Wettkämpfen" bekamen die Schlaginstrumente – und mancher Körperteil – einige Beulen ab. Wahrscheinlich inspirierten die damit einhergehenden Klangänderungen zur gezielten Bearbeitung von Blechkanistern.
Stimmen mit dem Hammer
In den 40er Jahren wechselten die Musiker zu Ölfässern, weil diese dickwandiger und somit differenzierter zu bearbeiten waren. Heutige Exemplare sind auf bis zu 34 Noten gestimmt. Sie alle basieren auf demselben Verfahren zur Herstellung und Stimmung.
So wird zu Beginn ein Boden eines 55-Gallonen-Fasses mit einem schweren Hammer in eine konkave Form mit 15 bis 20 Zentimeter Tiefe geschlagen. In dieser Mulde legt der Musiker in konzentrischen Ringen angeordnet die notes genannten Spielflächen an. Dazu treibt er konvexe, also nach außen gewölbte, Ellipsoide aus dem Metall und grenzt sie mit einem stumpfen Meißel durch eine umlaufende Rille ab. Generell gilt: Vom Fassrand zum Zentrum nimmt die Frequenz der spielbaren Töne zu. Innerhalb eines Ringes variiert sie mit dem Ellipsoid-Durchmesser: Je kleiner, desto höher. Im nächsten Schritt verkürzt der Musiker die Seitenwand des Fasses, nur Basstrommeln behalten die volle Länge. Vor dem Feinstimmen mittels Hammerschlag auf die Seiten der Notenwölbungen kommt das Instrument über ein Feuer. Die ursprüngliche Idee war wohl, Öl- und Farbreste abzubrennen, doch verbesserte dieser Prozess auch den Klang.
Das Austreiben der konkaven Spielfläche reduziert die ursprüngliche Dicke von einem guten Millimeter um bis zu 50 Prozent im Zentrum der Trommel. Die zusätzliche Einkerbung um jede Note nimmt noch einmal 10 bis 15 Prozent an Materialdicke. Solches Kaltschmieden härtet Stahl, den Grund zeigt das Mikroskop, wie Murr berichtet: Ebenen des Kristallgitters werden gebrochen und verschoben, verhaken sich ineinander – das Material wird steifer. Nach der Bearbeitung mit dem Hammer an Testinstrumenten wuchs die Zahl solcher "Versetzungen" im Zentrum der Spielfläche um das Hundertfache. Werden derartige Bereiche noch erhitzt, sammeln sich Kohlenstoff-Atome in den Versetzungszonen und stabilisieren sie. An Proben aus verschiedenen Bereichen einer Trommel maßen die Forscher bis zu 20 Prozent zusätzliche Härtung.
Beim Stimmen durch Hämmern, mitunter auch durch lokales Erhitzen mit dem Gasbrenner, stellt der Musiker vor allem die erste und zweite Oberschwingung ein, also ebenfalls beim Anschlag erklingende Töne von der doppelten und dreifachen Frequenz des Grundtons.
Eine Steeldrum zu stimmen erfordert Erfahrung und Geduld, denn trotz der Einkerbung um jede Notenwölbung sind die einzelnen Ellipsoide über die gemeinsame Spielfläche miteinander gekoppelt. Schlägt man eine an, geraten andere in Resonanz und beeinflussen den Gesamtklang, verleihen ihm seine Eigenart. Eine Analyse des Frequenzspektrums einzelner Noten zeigte Überraschendes: Der erste Oberton teilt sich in zwei deutlich verschiedene Frequenzen – der Klang wird so noch farbenreicher. Dieses splitting nahm mit der Verformung des Materials zu, beruht also wohl ebenfalls auf Versetzungen im Gitter.
Literaturhinweise
Connecting Materials Science and Music in Steel Drums. Von Lawrence E. Murr und Everaldo Ferreyra Tello. In: American scientist, Bd. 88, Januar-Februar 2000, S. 38.
Steel Pan Tuning. Von Ulf Kronman. Musikmuseet, Stockholm 1992.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 91
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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