Individualität: Tonschnipsel der Persönlichkeit
Bei fast jeder Bewerbung muss man sich irgendwann einmal selbst einschätzen. Auch Persönlichkeitspsychologen nutzen diese Methode, um Menschen miteinander zu vergleichen und voneinander zu unterscheiden. Aber Selbsteinschätzungen sind nicht unbedingt richtig, sondern oft unbewusst verzerrt oder absichtlich geschönt. Darüber hinaus liefern weder Bewerbungen noch Persönlichkeitsfragebogen ein vollständiges Bild einer Person. Erstere konzentrieren sich vornehmlich auf berufliche Meilensteine; Letztere erfassen generelle Charakterzüge und ignorieren, wie sich jemand im Alltag tatsächlich verhält.
Um die Persönlichkeit von Menschen genauer und alltagsnäher zu erheben, hat einer von uns (Mehl) gemeinsam mit seinen Kollegen Anfang der 2000er Jahre damit begonnen, Studienteilnehmer nicht nur zu befragen, sondern ihnen auch zuzuhören. Sie entwickelten den so genannten elektronisch aktivierten Rekorder (kurz: EAR). Anfangs handelte es sich dabei um ein in aufwändiger Handarbeit modifiziertes Diktiergerät, heute um eine Smartphone-App. Diese begleitet die Versuchspersonen als stiller, am Gürtel befestigter Zuhörer durch den Alltag und zeichnet etwa fünfmal pro Stunde 30 Sekunden lang alle Gespräche und Umgebungsgeräusche auf. Ausgebildete studentische Hilfskräfte verschriftlichen die Aufnahmen hinterher und notieren alles, was das akustische Logbuch hergibt: Welche Situationen sucht die Person auf? Wie verhält sie sich? Es ist erstaunlich, was die Sammlung an Tonschnipseln offenbart: wann und wie oft jemand lacht, weint oder flucht, ob jemand tiefsinnige Gespräche mit Freunden in einem Café führt, mit einem Fremden im Bus über das Wetter schwatzt und vieles mehr …
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