Traumata: In den Händen des IS
Im November 2014 nahm mich mein Onkel im kurdischen Teil des Irak in seiner Familie auf. Gemeinsam verfolgten wir nach dem Abendessen die Nachrichten im Fernsehen. Als hätte ich einen Stromschlag erhalten, zuckte ich zurück und stammelte, mit dem Finger auf den Bildschirm deutend: "Bei diesem Mann war ich auch!" Damals war er anders gekleidet gewesen, trug nicht dieses schwarze, lange Gewand und den schwarzen Turban. Unverkennbar jedoch waren das breite Gesicht wie das eines Bauern und der schwarze Vollbart mit weißen Strähnen. Mein Onkel wurde kreidebleich.
Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Der US-Geheimdienst wollte mit mir sprechen. Kurze Zeit später hat man mich nach Deutschland geschafft. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, dass es Abu Bakr al-Baghdadi gewesen war, der mich als sein persönliches Eigentum betrachtet hatte. Zweieinhalb Monate war ich in den Händen des selbst ernannten Kalifen, des Anführers der Terrormiliz Islamischer Staat, des meistgesuchten Terroristen der Welt. Ich wusste nicht, dass die USA auf ihn ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar ausgesetzt hatte.
Ich bin Jesidin, in einer aufgeschlossenen und modernen Familie aufgewachsen. Wie hätte ich mir da ausmalen sollen, dass im Irak von einem Tag auf den anderen wieder das Mittelalter herrscht? Mit Sklaverei und Menschen, die wie Fliegen auf der Straße sterben. Bis heute konnte mir niemand sagen, ob meine Eltern und Geschwister noch leben ...
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