Schildvortrieb: Trude hats geschafft
Die gigantische Bohrmaschine "Trude" wurde eigens für den Bau der vierten Elbtunnelröhre entwickelt und gebaut. Nach ihrem erfolgreichen Einsatz wird sie nun für den nächsten Auftrag fit gemacht.
Hamburgs Lebensader hat einen Namen: die Elbe. Fast 77 Millionen Tonnen Güter wurden 1997 im Binnenhafen der Hansestadt umgeschlagen. Doch der Fluss stellt auch eine Barriere für den Straßenverkehr in Nord-Süd-Richtung dar. Als 1975 der Elbtunnel mit seinen drei Röhren den Betrieb aufnahm, lag das Verkehrsaufkommen im Mittel bei 56|000 Fahrzeugen pro Tag: Mittlerweile sind es in Spitzenzeiten 140|000. Um einen Infarkt der wichtigen Verbindung zu vermeiden, beschloss die Stadt den Bau einer vierten Röhre mit zwei Fahrspuren. Doch anders als in den 70er Jahren durften die Arbeiten den Schiffsverkehr nicht beeinträchtigen. Statt im Flussbett sollte von vornherein darunter gegraben werden. Der maschinelle Tunnelvortrieb war die einzige Möglichkeit, dies zu bewältigen.
Der vorhandene Tunnel und die Forderung nach einem Fahrbahn-Gefälle von maximal 3,5 Prozent legten den Verlauf der neuen Röhre zwingend fest. Der tiefste Punkt würde bei 42 Metern unter dem Meeresspiegel liegen; der Wasserdruck betrug an dieser Stelle bis zu 5,5 bar. Über dem Tunnel lägen bei der insgesamt 950 Meter langen Passage unter der Elbe nur 7 bis 13 Meter Ton und Kies. Im Anstieg zum nördlichen Ausgang trennten ihn laut Plan sogar nur etwa 9,5 Meter von dichter Besiedlung. Überdies konnten im Sand und Geröll ständig Findlinge auftauchen, die Gletscher vergangener Eiszeiten herangeschoben hatten.
Um diesen sehr vielfältigen Anforderungen zu begegnen, entwickelte und baute unser Unternehmen die größte Tunnelvortriebsmaschine der Welt; 1997 wurde sie auf den Namen "Trude" getauft, ein Akronym für "Tief runter unter die Elbe". Von den etwa 3100 Metern Tunnellänge hat sie von Oktober 1997 bis Ende Februar diesen Jahres erfolgreich eine Strecke von 2561 Metern ergraben und mit Betonfertigteilen, so genannten Tübbingen, ausgekleidet.
Im Grunde haben wir eine ganze Fabrik in den Untergrund geschickt, die gegen herabbrechendes Gestein und gegen Grundwasser durch eine Schild genannte zylindrische Stahlkonstruktion geschützt ist. Von Sensoren und Regelkreisen gesteuert produzierte sie Tunnelsegmente im festen Takt: Nach zwei Metern durch Sediment und Fels hielt Trude für 45 Minuten an. In der Zeit hatte die Bedienmannschaft dann Gelegenheit, aus jeweils acht Tübbingen einen auskleidenden Ring zusammenzusetzen; 11|520 dieser Teile, jedes etwa 18 Tonnen schwer, wurden insgesamt verbaut. Danach drückten 64 Hydraulikstempel die Maschine vorwärts, und der nächste Schritt begann. Bis zu 14 Meter legte Trude auf diese Weise pro Tag zurück.
Trudes Schneidrad hat noch jeden beeindruckt: 400 Tonnen Stahl, 14,2 Meter im Durchmesser, konstruiert, um sich durch Sediment, Fels und verschleißenden Kies gleichermaßen gut durchzubeißen. Dazu dienten zum einen 30 Rollenmeißel, deren rotierende, keilförmige Schneiden auch hartes Gestein abscheren und zerkleinern können. Insgesamt 111 Fräszähne gruben sich zum anderen in lockeren Boden. Schaufeln am äußeren Rand des Rades räumten das abgebaute Material fort. Dieses Ungetüm arbeitete sich mit 2,5 Umdrehungen pro Minute und 3|200 Kilowatt voran.
Hoher Wasserdruck, Lockergestein und die Gefahr von Setzungen im Wohngebiet erforderten, die Abbaufront jederzeit durch Druckluft zu stützen. Ein Regelkreis berücksichtigte dabei beispielsweise den aktuellen Wasserdruck und die Dichteverhältnisse an der Front. Durch das Schneidrad wurde außerdem sofort ein Gemisch aus Wasser und dem feinen Tonmineral Bentonit gepresst, das eine undurchlässige Schicht bildete. Zudem spülte die Flüssigkeit abgebautes Material durch das Rad in die Abbaukammer zu einer Pumpe; ein Steinbrecher zerkleinerte zuvor bis 1,20 Meter große Blöcke.
Zu den technischen Neuheiten gehörte die Möglichkeit, verschlissene Werkzeuge von innen unter atmosphärischem Druck zu wechseln; dazu war das Rad in begehbare Sektoren unterteilt (siehe Grafik oben). Probleme in der Abbaukammer konnten Taucher beheben.
Um bei Gesteinswechseln rechtzeitig andere Grenzwerte für relevante Prozessdaten wie etwa Drehmoment, Anpresskraft oder Vortriebsgeschwindigkeit einzustellen, entwickelte das Unternehmen ein seismisches Vorauserkundungssystem. Es ermittelte aus den Reflexionen akustischer Signale eine Darstellung des Gesteinsaufbaus 0 bis 40 Meter vor dem Schild; Sender und Empfänger befinden sich im Schneidrad.
Ohne diesen Aufwand wäre es kaum möglich gewesen, den Zeitplan so genau einzuhalten. Am 2. März erfolgte der Durchstich des Tunnels, Mitte 2002 soll er in Betrieb gehen. Die alten Röhren werden dann im Laufe eines Jahres saniert und ausgebaut, bis Mitte 2003 endgültig acht Spuren für den Straßenverkehr unter der Elbe zur Verfügung stehen. Unsere Vortriebsmaschine wird derzeit in Hamburg demontiert und anschließend wieder ins Werk gebracht. Sie wird ein neues Schneidrad erhalten, angepasst an die geologischen Verhältnisse im Untergrund Moskaus. Dort soll nämlich in schwierigem geologischen Terrain ein Doppeltunnel als Teil eines neuen Autobahnringes gebaut werden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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