Zusatzbeitrag: Übertragbare spongiforme Enzephalopathien - wodurch werden sie verursacht?
Außer der Prionen-Theorie gibt es weitere, weniger exotische Hypothesen über den Erreger, der die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Scrapie und ähnliche Erkrankungen verursacht.
Seit 1982 soll ein infektiöses Protein ohne Nucleinsäure, ein Prion, die Ursache sein. Obwohl sich noch im selben Jahr herausstellte, daß das als Beweis vorgelegte Experiment nicht haltbar ist und obwohl generell keine Belege existieren, daß ein Protein genetische Informationen beinhalten könnte, stieg diese Hypothese als sogenannte Prionen-Theorie in den folgenden Jahren zum heute noch führenden Konzept auf; die Erreger werden seither Prionen genannt, die zugeordneten Syndrome unter dem Oberbegriff Prionen-Krankheiten geführt.
Amyloidosen – offene und versteckte
Der verdächtige Eiweißstoff erwies sich als dominierender Bestandteil von faserig strukturierten Ablagerungen im Gewebe, die man seit dem letzen Jahrhundert nach ihrem Anfärbeverhalten als Amyloid – wörtlich: stärkeähnlichen Stoff – bezeichnet. Ein Amyloid (es gibt verschiedene) entsteht während eines Krankheitsprozesses und bewirkt einen chronischen, langsamen Verlauf von Beschwerden.
Bei einer solchen Amyloidose beginnt ein jeweils bestimmtes körpereigenes Protein auf bisher nicht immer genau bekannte Weise, zu einem pathologischen Produkt zu aggregieren; es bildet unlösliche Fibrillen mit hohem Anteil an Beta-Faltblattstruktur. (Daher hat George Glenner von der Universität von Kalifornien in San Diego bereits vor Jahren den Namen Beta-Fibrillosen für diese Krankheiten vorgeschlagen.) Die fibrillären Aggregate werden extrazellulär abgelagert, häufig – allerdings nicht immer – in Form größerer Ablagerungen, sogenannter amyloider Plaques. Als solche lassen sie sich nach spezifischer Anfärbung in Gewebeschnitten leicht nachweisen. Unterbleibt die Plaque-Bildung, kann es schwierig sein, lichtmikroskopisch eine Amyloidose zu belegen.
Ein Paradebeispiel für ursprünglich versteckte Amyloidosen sind die hier interessierenden Krankheiten, die übertragbaren spongiformen Enzephalopathien. Bis 1985 hatte man sie verkannt; amyloide Plaques waren zwar durchaus beobachtet worden, in vielen Fällen aber schien überhaupt kein Amyloid im Gewebe vorhanden zu sein. Mit der Anwendung immer besserer immunologischer Nachweismethoden zeigte sich jedoch, daß bei Mensch und Tier ausnahmslos ein für diese Krankheiten spezifisches Amyloid entsteht. Es ist lediglich in vielen Fällen so fein verteilt, daß es beim herkömmlichen Verfahren eben unsichtbar bleibt.
Von den zahlreichen verschiedenen Amyloiden, die in der Fachliteratur beschrieben sind, ist keines krankheitsübertragend. Es kann zwar einmal auch ein Amyloid bei einer bakteriellen Infektion wie Tuberkulose entstehen – dieses ist dann aber, wie gesagt, nicht infektiös.
Im Falle der übertragbaren spongiformen Enzephalopathien gelang es Stanley B. Prusiner und seinen Kollegen, das für den Krankheitsprozeß entscheidende Gen, das von anderen Forschern lange vorhergesagte sinc-Gen, zu identifizieren (das Kürzel steht für englisch scrapie incubation; man hatte bei Kreuzungsexperimenten an Mäusen festgestellt, daß ein einziges Gen die Inkubationszeit bestimmt – die Spanne, bis eine übertragene Scrapie-Infektion sich in Krankheitszeichen äußert). Die Prionen-Forscher nannten es jedoch dann Prion-Gen.
Das von diesem Gen codierte Protein, aus dem das Amyloid entsteht, zu charakterisieren und auf der Oberfläche von Nervenzellen zu lokalisieren, ist ebenfalls das Verdienst Prusiners und seiner Kollegen; aber ein hieb- und stichfester Beweis, daß dieses Amyloid die Krankheit überträgt, steht bis heute aus. Das ist eigentlich verwunderlich, denn aus beispielsweise zehn infizierten Hamstergehirnen lassen sich bis zu einem Milligramm Amyloid, sprich "Prion", isolieren. Mancher Virologe wäre glücklich, wenn es ihm gelänge, so einfach und so viel von einem unbekannten Virus zu isolieren. Für ihn stellt das Amyloid allerdings nur eine äußerst schwierig zu entfernende Verunreinigung dar, in der sich der eigentliche Erreger versteckt.
Die alternativen Hypothesen
Nach der Virus-Hypothese ist für die übertragbaren spongiformen Enzephalopathien ein bisher nicht entdeckter viraler Erreger der ursächliche Krankheitsauslöser: Er verursacht im Gehirn den Untergang von Nervenzellen, weil er mit einem Rezeptor auf deren Zelloberfläche reagiert (Bild 1). Dieser – so die weitere Annahme – ist das Produkt des sinc-Gens (des "Prion"-Gens) und somit das Protein, aus dem das pathologische Amyloid entsteht. Die Reaktion mit dem Virus und die Infektion der Nervenzellen veranlassen die Rezeptorproteine zur Aggregation, und dadurch bildet sich die pathologische Struktur der amyloiden Fibrillen (im Falle von Scrapie als scrapie-assoziierte Fibrillen bekannt). Die Folgen der Verklumpung: Die Nervenzellen gehen unter; wenn der Schaden um sich greift, treten klinische Symptome auf, und schließlich stirbt das Individuum. Daher besagt das Virus-Konzept: Ohne Virus und ohne die von ihm induzierte Amyloidose entwickelt sich weder ein klinisches Krankheitsbild, noch tritt der Tod ein.
Davon unterscheidet sich die andere alternative Hypothese – das Virino-Konzept – nur unwesentlich. Ihm zufolge gibt es eine infektiöse Nucleinsäure, die nicht nackt wie bei den Viroiden bleibt, sondern sich zum Schutz in dem gebildeten Amyloid versteckt. Während Viren ihre Schutzhülle genetisch selbst bestimmen, soll also hier das genetisch durch den Wirt festgelegte Amyloid als Hülle dienen. Solche hypothetischen Erreger, von Alan Dickinson am Institut für Tiergesundheit in Edinburg (Schottland) Virinos genannt, unterscheiden sich grundlegend von den Prionen. Während bei diesen das Amyloid die Information für die Infektion darstellen soll, ist sie bei den Virinos – wie bei Viren – an Nucleinsäure gebunden.
Das Konzept der virus-induzierten Amyloidose basierte 1985, als einer von uns (Diringer) es erstmals vorstellte, auf den folgenden Befunden:
- Der Erreger hat die Größe eines klassischen Virus.
- Es gibt verschiedene Stämme.
- Nach erfolgter Infektion breitet sich der über den Magen-Darm-Trakt aufgenommene Erreger im übrigen Organismus wie ein Virus aus.
- Er erreicht wie das Tollwut-Virus das Zentralnervensystem über Nervenbahnen.
- Amyloide Fibrillen werden gebildet.
- Infektiosität und pathologisches Protein sind zwar eng miteinander verbunden, jedoch korrelieren sie mengenmäßig und in der zeitlichen Entstehung nicht unbedingt miteinander.
- Außer der Infektiosität bestimmt ein einziges Gen des Wirtes (wir wissen heute, daß es das "Amyloid-Gen" ist) entscheidend den Krankheitsverlauf: Es wirkt bei der Auswahl des Erregerstammes mit, der sich vermehren und die Krankheit auslösen wird; zudem bestimmt es, wann oder ob überhaupt klinische Symptome auftreten.
Obwohl bislang weder das vorhergesagte Virus noch das hypothetische Virino zu isolieren war (das viele gebildete Amyloid verhindert das), haben sich al-le seit 1985 gemachten Entdeckungen zwanglos unter dem Virus- beziehungsweise Virino-Konzept vereinigen lassen.
So hatten noch 1985 die Gruppen von Charles Weissmann in Zürich und Prusiner in San Franzisko gezeigt: Das Protein, aus dem die Fibrillen bestehen, wird tatsächlich durch ein Gen des Wirtes bestimmt – wie es sich für ein richtiges Amyloid gehört. Das Gen liegt nur in einer einzigen Kopie im einfachen Chromosomensatz vor und ist das lang gesuchte sinc-Gen. Es codiert für ein Glykoprotein (einen Eiweißstoff mit Zuckerseitenketten), das in der äußeren Zellmembran verankert ist – wie es sich für einen ordentlichen Virusrezeptor gehört. Das Protein kommt besonders angereichert auf der Oberfläche von Nervenzellen vor. Damit wird sofort verständlich, warum gerade diese Zellen zu Grunde gehen und pathologische Veränderungen nur im Gehirn zu entdecken sind.
Das Virus- und das Virino-Konzept sind ungleich einfacher und schlichter als die Prion-Hypothese. Und sie haben den Vorteil, auf dem allgemein anerkannten medizinischen und naturwissenschaftlichen Wissen aufzubauen, also nicht spekulativ zu sein. Sie fordern konsequent, daß menschliche und tierische spongiforme Enzephalopathien in Beziehung zueinander stehen müssen. Das bedeutet, daß nach dem wirklichen Erreger weiterhin geforscht werden muß.
So suchen wir am Robert-Koch-Institut seit Jahren nach Hinweisen auf eine Virusspur. Vor kurzem haben wir in Zusammenarbeit mit Maurizio Pocchiari und Yo Geng Xi vom Istituto Superiore di Sanitá in Rom ein krankheitsspezifisches Partikel gefunden, und zwar bisher im experimentellen Hamster-System für Scrapie sowie bei verschiedenen For-men der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Obwohl das Partikel durchaus strukturelle Eigenschaften bekannter kleiner Viren aufweist, ist es – sollte es der Erreger sein – entgegen der Erwartung von 1985 viel kleiner als alle bisher beschriebenen Viren (Bild 2). Wir hoffen dennoch, daß es uns einen Schritt weiter zum Verständnis dieser Krankheiten führt.
Drei Hypothesen zur Struktur des Erregers stehen nun seit gut einem Jahrzehnt zur Debatte. Keine ist zur Zeit bewiesen. Auf welcher realen Basis die drei Hypothesen stehen, läßt sich jedoch jederzeit prüfen – einfach durch Austausch der Materialien, die nach Angabe der Forscher in San Franzisko seit 1982 "fast gänzlich" aus Prionen bestehen, in allen anderen Laboratorien jedoch so unrein sind, daß ein Virus oder ein Virino als Beigabe nicht auszuschließen sind. Bestünden die Fraktionen in San Franzisko fast gänzlich – besser noch gänzlich – aus Amyloid, sprich aus reinen Prionen, würden Viren oder Virinos keine Rolle mehr spielen. Wir könnten, ja müßten die entsprechenden Hypothesen ad acta legen. Bis zur Klärung dieses Widerspruchs jedoch vertrauen wir auf die Plausibilität einfacher Konzepte.
Literaturhinweise
– Amyloid Deposits and Amyloidosis. The b-Fibrilloses. Von G. G. Glenner in: New England Journal of Medicine, Band 302, Seiten 1238 bis 1292 und 1333 bis 1343, 1980.
– Amyloid and Amyloidosis 1990. Herausgegeben von J. N. Natvig, Ø. Førre, G. Husby und anderen. Kluwer Academic Publishers, London 1991.
– Hidden Amyloidosis. Von H. Diringer in: Experimental and Clinical Immunogenetics, Band 9, Seiten 212 bis 229, 1992.
– The Nature of the Scrapie Agent. The Virus Theory. Von H. Diringer, M. Beekes und U. Oberdieck in: Slow Infections of the Central Nervous System. Herausgegeben von J. Björnsson, R. I. Carp, A. Löve, H. A. Wisniewski. Annals of the New York Academy of Sciences, Band 724, Seiten 246 bis 258, 1994.
– Small Virus-like Structure in Brains from Cases of Sporadic and Familial Creutzfeldt-Jakob Disease. Von M. Özel, Y.-G. Xi, E. Baldauf, H. Diringer und M. Pocchiari in: The Lancet, Band 344, Seiten 923 bis 924, Oktober 1994.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 52
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