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Ulysses am Südpol der Sonne

Am 13. September letzten Jahres näherte sich erstmals eine Raumsonde dem solaren Südpol und erkundete damit eine bislang weitgehend unbekannte Region unseres Planetensystems - mit zum Teil überraschenden Ergebnissen.


Nur zwei Jahre nachdem die Sowjetunion mit dem piepsenden Sputnik den ersten künstlichen Satelliten auf eine Erdumlaufbahn gebracht hatte, sprachen sich Wissenschaftler auf einem internationalen Symposium anläßlich des Geophysikalischen Jahres 1959 dafür aus, eine Raumsonde über die Pole der Sonne fliegen zu lassen. Bis zur Realisierung dieser Idee vergingen allerdings drei Jahrzehnte. Zwar näherten sich bereits Anfang der siebziger Jahre die deutsch-amerikanischen Helios-Sondenunserem Zentralgestirn bis auf 43 Millionen Kilometer; aber sie blieben – ebenso wie die Pioneer- und Voyager-Sonden, die das äußere Sonnensystem erforschten – in der Ebene der Planeten (der Ekliptik) .

Erst am 6. Oktober 1990 wurde die in ihren Dimensionen mit einem Kleinwagen vergleichbare, 370 Kilogramm wiegende Raumsonde Ulysses von der US-Raumfähre Disvovery ausgesetzt und auf einem komplizierten Umwegkurs in hohe solare Breiten geschickt (Spektrum der Wissenschaft, Oktober ]990, Seite 20). Dabei diente der Planet Jupiter mit seinem gewaltigen Schwerefeld als kosmische Schleuder: Im Februar 1992 katapultierte er die Sonde nach Süden aus der Ebene der Planetenbahnen hinaus; herkömmliche Raketenantriebe allein hätten nicht genügend Schub zum Verlassen der Ekliptik aufbringen können.

Mitte 1993 erreichte Ulysses 32 Grad südliche Breite und stellte damit den bis dahin von Voyager 2 gehaltenen Rekord ein. Der eigentliche Überflug der solaren Südpol-Region begann dann am 26. Juni letzten Jahres, als die Sonde den 70. südlichen Breitengrad überschritt. Bei einer Breite von 80,2 Grad erreichte sie am 13. September – nach fast vier Jahren Flugzeit und einer Wegstrecke von mehr als zwei Milliarden Kilometern schließlich den südlichsten Punkt ihrer Reise.

Magnelfeld und kosmische Strahlung


Eine der Hauptaufgaben von Ulysses war es, das Magnetfeld der Sonne außerhalb der Ekliptik zu vermessen. Nach übereinstimmender Meinung der Sonnenforscher sollte es – ähnlich wie das irdische – im Prinzip dem Dipolfeld eines Stabmagneten gleichen, bei dem die Feldlinien an den beiden gegenüberliegenden Polen ein- und austreten.

Eine Komplikation ergibt sich bei der Sonne allerdings daraus, daß sie am Äquator schneller rotiert als an den Polen. Dadurch wickeln sich die Feldlinien am Äquator wie Wasserstrahlen eines sich drehenden Rasensprengers spiralförmig auf und werden vom Sonnenwind in das Planetensystem hineingetragen (Bild 1). In der Ebene der Planetenbahnen erscheint das solare Magnetfeld deshalb wie der fliegende Rocksaum einer tanzenden Ballerina. Zu höheren Breiten hin glätten und strecken sich die spiralförmigen Feldlinien. Weil sie an den Polen schließlich wie in einem Flaschenhals zusammenlaufen, sollte dort eine bis zu fünfmal so hohe Feldstärke herrschen wie in mittleren Breiten.

Was die fast sechs Meter langen Magnetausleger von Ulysses registrierten stimmt jedoch nur teilweise mit diesem Bild überein. Zwar wurden jenseits des 30. Grades südlicher Breite nur mehr Feldlinien einer Polarität gemessen; aber Ulysses konnte am Südpol kaum einen Anstieg des Magnetfeldes feststellen. Bisher deutet nichts in den Daten auf die Existenz eines magnetischen Pols im südlichen Polargebiet der Sonne hin.

Ein ebenso unerwartetes Ergebnis lieferten die Messungen der kosmischen Strahlung; das ist ein steter Strom bis zu 100000 Stundenkilometer schneller, nur den zehnmilliardstel Teil eines Milligramms wiegender Teilchen, die aus den Tiefen des interstellaren Raums in unser Planetensystem gelangen. Da sie größtenteils geladen sind, werden sie vom solaren Magnetfeld gebündelt und ähnlich wie eine Flüssigkeit, die durch einen Trichter fließt auf spiralförmigen Bahnen längs der Feldlinien zu den Sonnenpolen gelenkt (Bild 2; in gleicher Weise führt das irdische Magnetfeld Teilchen des Sonnenwindes zu den Erdpolen hin und erzeugt dort die Polarlichter).

Dementsprechend hatte man angenommen, daß die kosmische Strahlung über den Polargebieten der Sonne fünf- bis zehnmal so intensiv wäre wie innerhalb der Ekliptik. Ulysses registrierte jedoch nur einen Anstieg um etwa 50 Prozent. So überraschend dies ist, paßt es doch zu dem Mangel an Indizien für einen Magnetpol; denn ohne einen solchen Pol gibt es auch keinen Trichter, der die kosmische Strahlung bündelt.

Eine mögliche Erklärung für beide Befunde wäre, daß der Trichter am magnetischen Flaschenhals der Sonnenpole eben nur ungewöhnlich eng ist, so daß Ulysses seinen Rand nicht überquerte, weil die Sonde lediglich bis knapp über den 80. Breitengrad gelangte. Vielleicht fallen bei der Sonne aber auch Magnet- und Rotationsachse nicht zusammen; auf der Erde sind beide ja ebenfalls etwas gegeneinander geneigt.

Eine Erklärung für die geringe Zunahme der kosmischen Strahlung böte auch eine weitere Entdeckung von Ulysses. Danach laufen offenbar langperiodische elektromagnetische Wellen längs der Magnetfeldlinien an den Polen der Sonne wie bei einer angezupften Gitarrensaite auf und ab. Sie könnten die kosmische Strahlung weitgehend abschirmen und gleichzeitig die äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre aufheizen.

Der Sonnenwind


Die Sonne ist ein heißer Gasball ohne feste Begrenzung. Oberhalb einer mit Sonnenflecken bedeckten Zone, der Photosphäre, erheben sich weitere heiße Schichten, die normalerweise nur im Röntgen- und Radiowellen-Bereich zu beobachten und lediglich während einer totalen Sonnenfinsternis auch direkt sichtbar sind. Die äußerste Atmosphäre, die Korona, ist dabei so heiß und unruhig, daß selbst die Sonne mit ihrer enormen Gravitation sie nicht mehr fest an sich zu binden vermag. Deshalb strömt ein Partikelwind aus Protonen, Elektronen und Alphateilchen (Helium-Kernen) kontinuierlich in das Planetensystem ab.

Dieser Teilchenwind kann sich bei Aktivitätsausbrüchen auf der Sonne vorübergehend verstärken. Dann ruft er in der Erdatmosphäre sogenannte Magnetstürme hervor, die den Funkverkehr stören. Ein starker Sonnenwind kann auch Satelliten beschädigen oder sogar das Leben von Astronauten bedrohen.

Die Untersuchung des über den Polen der Sonne in besonders reiner Form strömenden Sonnenwindes war denn auch eine der wichtigsten Aufgaben von Ulysses. Zum ersten Mal beobachtete die Sonde in höheren Breiten den Ausbruch riesiger Wolken ionisierten Gases in der Korona. Diese koronalen Massenauswürfe erreichten dabei Höhen von mehr als 50 Millionen Kilometern und enthielten ungefähr zehn Milliarden Tonnen an elektrisch geladenem solarem Wasserstoffgas.

In Erdnähe weht der Sonnenwind gewöhnlich mit einer Geschwindigkeit von etwa 450 Kilometern pro Sekunde. Außer dieser langsamen Komponente gibt es allerdings auch eine mit rund 800 Kilometern pro Sekunde fast doppelt so schnelle. Man glaubt, daß diese rasche Strömung von sogenannten koronalen Löchern ausgeht – Stellen geringer Dichte, an denen das Sonnenplasma relativ ungehindert entweichen kann. Sie treten vermutlich dort auf, wo Magnetfeldlinien von der Oberfläche ausgehen und sich in den interplanetaren Raum erstrecken. Das aber ist vorwiegend der polnahe Bereich. Tatsächlich registrierte Ulysses beim Vordringen in höhere solare Breiten vermehrt die schnelle Komponente des Sonnenwindes.

Wo diese auf den langsamen Teilchenstrom trifft, entstehen Stoßwellen. Die darin aufgestaute Energie kann an energiearme neutrale Atome der kosmischen Strahlung abgegeben werden. Diese Teilchen werden dabei aufgeladen und stark beschleunigt; sie bewegen sich dann mit dem Sonnenwind längs der solaren Magnetfeldlinien teilweise bis hinaus zur Jupiterbahn. Ulysses konnte die Existenz dieser anomalen Komponente der kosmischen Strahlung erstmals auch in hohen Breiten nachweisen.

Inzwischen befindet sich die Sonde auf dem Weg zum Nordpol der Sonne. Voraussichtlich am 31. Juli dieses Jahres wird sie wiederum bei 80,2 Grad Breite den nördlichsten Punkt ihrer Bahn erreichen und dort analoge Messungen vornehmen. Nach dieser Passage hätte sie ihre vorgesehene Aufgabe erfüllt. Doch erhoffen sich die Wissenschaftler schon jetzt eine Verlängerung der Mission. In sechs Jahren würde die Raumsonde zum zweiten Mal die Pole der Sonne überqueren und könnte dann, sofern die Meßgeräte noch funktionieren, weitere Daten liefern. Dies wäre insofern interessant, als sich unser Tagstern in den Jahren 2000 und 2001 in einem Sonnenflecken-Maximum, also einem Zustand viel stärkerer Aktivität, befinden wird. Der Vergleich der Meßreihen ergäbe sicherlich interessante Aufschlüsse über Ursachen und Auswirkungen der solaren Aktivitätszyklen. Nach weiteren vier Jahren käme die Sonde schließlich wieder in die Nähe von Jupiter und könnte, sollten ihre Systeme immer noch intakt sein, neuen, unbekannten Regionen entgegengeschleudert werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1995, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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