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Titelthema: "…und dreimal Vaterunser"

Ein bisschen Zauberei ist doch kein Hexenwerk! Im Frühmittelalter bedienten sich auch Mönche und Pfarrer uralter heidnischer Sprüche – ­vorausgesetzt, Gottvater, Christus und der Heilige Geist traten an die Stelle Wotans, Balders und anderer Wesen der germanischen Mythologie.
Einst ritten Wotan und sein Sohn Balder in den Wald. Da brach sich Balders Fohlen ein Bein. Sinthgunt, die Schwester der Sunna, kam und besprach das Pferd, dann Volla, die Schwester der Frija, und zuletzt sang Wotan – so gut er konnte:

Sei es Knochenverrenkung, sei es Blutverrenkung, sei es Gliedverrenkung – Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Glied – als seien sie zusammengefügt!

Überliefert ist diese Episode aus dem Leben der germanischen Götter in einer mittelalterlichen Handschrift aus dem 9./10. Jahrhundert, wiederentdeckt 1841 in einer Bibliothek des Merseburger Doms. Zwischen liturgischen Texten und Gebeten hatte ein unbekannter Verfasser zwei uralte magische Formeln gezwängt. Vermutlich weil hinter dieser Erzählung viel mehr steckt als die bloße Wiedergabe einer Legende: Wer auch immer diesen "Zweiten Merseburger Zauberspruch" sang – so glaubten die Germanen –, machte sich die Macht des Heilergottes Wotan zu eigen. Wie dieser einst das Pferd heilte, würde er jetzt auch andere kranke Gliedmaßen richten.

Als der Merseburger Kodex entstand, war die Region des heutigen Deutschlands aber längst christianisiert. Zuletzt besiegelte Karl den Große das Ende des Heidentums mit der Unterwerfung der Sachsen und der Taufe Widukinds. Das war im Jahr 785 – fast zwei Jahrhunderte vor der Entstehung der Handschrift. Wie passt das zusammen?  …

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