Ungewöhnliche Kachelungen
Aus einer einfachen Konstruktionsanweisung entstehen höchst komplizierte, nichtperiodische Muster.
Parkettierungen sind seit jeher ein beliebtes Thema der Unterhal-tungsmathematik. Es geht darum, mit einer oder mehreren vorgegebenen Formen – den Kacheln – die unendliche Ebene, oder wenigstens einen hinreichend großen Teil davon, lückenlos und nicht-überlappend auszulegen. Ich hatte im Januar 2000 die Ehre, Ihnen in dieser Rubrik einige künstlerische Parket-tierungen zu präsentieren. Vor kurzem wies mich Michel Châtelain aus Prilly (Schweiz) auf eine ganz andere Parkettierungsmethode hin, bei der sich die Form der Kacheln erst ziemlich gegen Ende ergibt. Zuerst wird das Schema festgelegt, nach dem die Kacheln aneinander gelegt werden sollen, und erst dann eine Form, die dazu passt.
Denken Sie sich zum Beispiel ein einzelnes Quadrat. Natürlich kann man die Ebene einfach mit Quadraten auslegen, wie bei einer Badezimmerwand, aber wir wollen noch einen gewissen Dreh mit einbauen. Das Bild unten zeigt, wie man aus einem Quadrat viere macht, die zusammen ein größeres ergeben; dabei habe ich die Quadrate mit L-förmigen Zeichen versehen, um sichtbar zu machen, wie sie gedreht und/oder gespiegelt werden. Wenn wir die gleichen vier Transformationen mit dem 2x2-Quadrat wiederholen, erhalten wir den im Bild gezeigten Block aus 16 Quadraten.
Man kann diesen Prozess nun beliebig wiederholen und erhält immer größere Blöcke aus 64 Quadraten, 256 und so weiter. Jeder Block ist im nachfolgenden enthalten; deshalb passt die ganze Folge von Parkettierungen in ein einziges unendliches Muster. Je nach Vorgehensweise kann man so die ganze Ebene oder einen unendlich großen Teilbereich parkettieren. Wenn man jedes Teilmuster der Folge in die linke obere Ecke seines Nachfolgers legt, parkettiert man einen unendlichen Quadranten – ein Viertel der ganzen Ebene. Wenn man abwechselnd links oben und rechts unten anlegt, wird die ganze Ebene überdeckt. Eine Halbebene lässt sich füllen, indem man beispielsweise zwischen links unten und rechts unten abwechselt.
Inflation: Schneeballprinzip für Parkette
Das ganze Verfahren ist ein Spezialfall des so genannten Inflationsverfahrens. Die Parkettierungstheoretiker verwenden die Inflation gerne, um zu zeigen, dass ein gewisses Muster keinesfalls periodisch sein kann. Damit liefert es ein ergiebiges Modell für die Festkörper, die als "Quasikristalle" zu Ruhm gelangten.
Aber die Quadrate mit den L-förmigen Markierungen sind nicht die Kacheln, auf die es uns ankommt. Sie sollen nur als Platzhalter für die zu konstruierenden Kacheln die Transformationen anzeigen, welche die endgültige Parkettierung erzeugen. Unsere Kachel entsteht aus einer erzeugenden Kurve. Das ist eine ziemlich beliebig geformte Linie, die von der linken unteren Ecke des Ausgangsquadrates zu dessen oberer rechten Ecke verläuft. (Diese Bedingung stellt sicher, dass die Kachelform geschlossen ist.) Die im Bild links unten gezeigte Kurve ist eine N-förmige Zickzacklinie.
Nun unterwerfen wir diese erzeugende Kurve den gleichen vier Transformationen wie zuvor die Quadrate. Und siehe da: Die Kurve selbst plus ihre gedrehten und gespiegelten Bilder ergeben zusammen eine geschlossene Form, die an einen Vogel erinnert oder an einen Menschen mit Umhang und ausgebreiteten Armen, wie Batman im Landeanflug. Auf diese Kachel kann man nun dieselben Transformationen anwenden wie auf das Ausgangsquadrat, und das immer wieder. Im Ergebnis erhalten wir eine Parkettierung der Ebene, oder eines Teils davon, mit unendlich vielen Exemplaren dieser interessanten Kachel.
Die Bilder rechts zeigen weitere Parkettierungen, die mit dieser Methode erzeugt wurden. Verwendet man die N-förmige erzeugende Kurve, aber andere Transformationen, so erhält man eine neue Kachelform und eine neue Anordnung (A). Ändert man die Form der Kurve, so erhält man andere Kacheln, die aber auf dieselbe Art zusammenpassen (B). Es kann auch vorkommen, dass mehr als eine Kachelform entsteht (C).
Nicht-periodisch in jeder Größenskala
Die so entstehenden Muster sind übrigens in aller Regel aperiodisch, also nicht einfache Verschiebungen (Translationen) einer Grundform wie bei einer gewöhnlichen Tapete. Periodische Muster sind ein einfacher Spezialfall dieser Konstruktionsanleitung: Wählen Sie alle Transformationen als Translationen (also keine Drehungen und keine Spiegelungen), oder, was auf dasselbe hinausläuft, zeichnen Sie einfach vier Quadrate, deren L-Markierungen alle die gleiche Orientierung haben. Jede Parkettierung, die aus diesen Transformationen hervorgeht, ist periodisch.
Die Ausgangsform muss nicht unbedingt ein Quadrat sein. Zulässig ist jede Form, die in mehrere verkleinerte Exemplare ihrer selbst zerlegbar ist; diese Formen haben den Spitznamen "Rep-Tile" (von repetitive tile, "Wiederholungskachel") erhalten (Spektrum der Wissenschaft 11/1998, S. 112). Ein gleichseitiges Dreieck ist ein Rep-Tile, denn vier kongruente gleichseitige Dreiecke lassen sich zu einem größeren zusammensetzen. Damit kann man bemerkenswerte Muster erzeugen. Vielleicht können Sie ähnliche Parkettierungen finden. Bisher hat niemand alle überhaupt möglichen Rep-Tiles bestimmt; es gibt also noch Raum für neue Entdeckungen.
Die gleiche Methode funktioniert in drei Dimensionen. Beispielsweise passen acht Würfel zu einem Würfel der doppelten Kantenlänge zusammen. Der Würfel ist also ein "Replieder". (Diese Bezeichnung habe ich soeben erfunden. Leider ist sie nicht so schön doppelsinnig wie Rep-Tile.)
Man kann die Komponenten eines Rep-Tiles ebenso wie die Ausgangsform in verkleinerte Exemplare ihrer selbst zerlegen, diese abermals und so weiter. Dann ist man bei der Selbstähnlichkeit – ein Teil gleicht einer verkleinerten Kopie des Ganzen –, die ihrerseits typische Eigenschaft eines Fraktals ist (Spektrum der Wissenschaft 7/2000, S. 72). In der Tat beruht das Parkettierungsverfahren von Châtelain auf Methoden, mit denen man Fraktale konstruiert. Es ist ein schönes Beispiel für das, was Fraktale auszeichnet: Mit einer einfachen Konstruktionsanleitung lassen sich wundervoll komplexe Muster erzeugen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2001, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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