Unmöglichkeitsbeweise
"Das kann überhaupt nicht sein", sagt der Mann vom Kundendienst im Brustton der Überzeugung, und dann ist es eben doch so. Wenn wir etwas unmöglich nennen, ist das meist nicht wörtlich gemeint – eher in dem Sinne, dass wir nicht wissen, wie es geht. Früher galt es als unmöglich, dass Maschinen, die schwerer sind als Luft, fliegen können. Und noch früher glaubte man, Körper, die schwerer als Wasser sind, könnten nicht schwimmen. Aber der Einfallsreichtum des Menschen hat solche scheinbaren Unmöglichkeiten schon viele Male überwunden.
Innerhalb der Mathematik gibt es jedoch echte, beweisbare Unmöglichkeiten. Beispielsweise, dass 3 keine ganzzahlige Potenz von 2 ist. Dazu braucht man sich nur zu fragen, welche Potenz von 2 gleich 3 sein könnte, und festzustellen, dass 1 noch zu klein ist (denn 21=2) und 2 schon zu groß (denn 22=4).
Aber Vorsicht! Die Mathematiker sind schnell bei der Hand, sich neue Gegenstände auszudenken – ein bisschen andere Zahlen zum Beispiel –, und schon sieht alles ganz anders aus. Betrachten wir die ganzen Zahlen "modulo 5". Das heißt, jedes Vielfache von 5 ist gleich null, und allgemein wird jede andere Zahl durch den Rest ersetzt, den sie beim Teilen durch 5 lässt. Nach diesen Regeln ist 23=3, denn 8 lässt beim Teilen durch 5 den Rest 3. Das heißt nicht, dass meine ursprüngliche Behauptung falsch wäre; vielmehr hat sich der Kontext geändert. Man muss nur sorgfältig darauf achten, in welcher mathematischen Welt man sich gerade befindet.
Arroganz oder pure Logik?
Unmöglichkeitsbeweise können im Einzelfall sehr frustrierend sein. Stellen Sie sich vor, ich habe zehn Jahre meines Lebens mit den kompliziertesten Berechnungen verbracht und bin nun fest überzeugt, eine neue Primzahl entdeckt zu haben, viele tausend Stellen lang. Anders als alle anderen aber ist diese Primzahl gerade. Ihre letzte Stelle ist in der üblichen Dezimalschreibweise eine Sechs. Stolzgeschwellt schicke ich meine Arbeit an einen Mathematiker. Der aber schickt sie mir postwendend zurück und behauptet, das sei Unsinn. Schlimmer noch: Wenn ich ihn frage, wo der Fehler steckt, antwortet er, er habe meine Arbeit gar nicht gelesen, aber er wisse auch so, dass sie fehlerhaft sein müsse. Ich bin erbost über so viel Arroganz!
Im täglichen Leben wäre so etwas vielleicht wirklich arrogant. Aber in der Mathematik ist es nichts als pure Logik. Die einzige gerade Primzahl ist 2, andere gibt es nicht.
Einer der tiefsten Unmöglichkeitssätze wurde zu Anfang des 19. Jahrhunderts von zwei Mathematikern unabhängig voneinander gefunden: dem Norweger Nils Henrik Abel und dem Franzosen Évariste Galois. Mit unterschiedlichen Methoden bewiesen beide, dass die allgemeine Gleichung fünften Grades sich nicht mit einer Formel lösen lässt, die nur die gewöhnlichen arithmetischen Rechenoperationen und das Ziehen von Wurzeln enthält, also Quadratwurzeln, dritte Wurzeln, vierte Wurzeln und so weiter. Zuvor hatten die Mathematiker Lösungsformeln dieser Art für weniger komplizierte Gleichungen gefunden: Die Formel zum Lösen quadratischer Gleichungen lernt man in der Schule, ähnliche, wenn auch kompliziertere Formeln gibt es für Gleichungen dritten und vierten Grades. Aber alle Versuche, Derartiges für Gleichungen fünften Grades zu finden, waren fehlgeschlagen. Abel und Galois machten der vergeblichen Mühe ein Ende, indem sie bewiesen, dass es eine solche Formel nicht geben kann.
Klötzchenlegen
Wie funktioniert ein solcher Beweis? Betrachten wir eine bekannte Knobelaufgabe. Ein Schachbrett hat 64 Felder. Nun gibt es enorm viele Möglichkeiten, das Brett mit Dominosteinen auszulegen, die jeweils zwei nebeneinander liegende Felder bedecken (Bild rechts oben). Wenn Sie zwei benachbarte Eckfelder entfernen, können Sie das verbleibende Brett immer noch leicht mit 31 Dominosteinen auslegen. Aber wenn Sie zwei gegenüberliegende Eckfelder wegnehmen, schlägt jeder Versuch fehl.
Ist durch zahlreiche Fehlversuche bewiesen, dass diese Aufgabe unlösbar ist? Nein – und wenn Sie Ihr ganzes Leben weiterprobieren würden. Ist die Aufgabe unlösbar? Ja. Hier ist der Beweis: Ein Dominostein bedeckt auf dem Schachbrett stets genau ein weißes und ein schwarzes Feld. Ein Brett, das sich vollständig auslegen lässt, muss also genauso viele weiße wie schwarze Felder haben. Das ist bei den beiden ersten Brettern der Fall, aber nicht, wenn zwei gegenüberliegende Eckfelder entfernt werden. Das verbleibende Brett hat 30 Felder der einen und 32 Felder der anderen Farbe.
Dieser Beweis hat etwas mit Galois’ Beweis der Unlösbarkeit der Gleichung fünften Grades durch Wurzelziehen gemein. (Abels Beweis passt nicht so gut in diesen Zusammenhang.) Bei beiden Beweisen wird eine so genannte Invariante eingeführt – eine Eigenschaft jeder hypothetischen Lösung, die man im Voraus berechnen kann, ohne die Lösung genau zu kennen. Beim Dominoproblem ist das sehr einfach: Es müssen gleich viele weiße wie schwarze Felder bedeckt sein. Also wählt man als Invariante die Anzahl der weißen minus der Anzahl der schwarzen bedeckten Felder; wenn diese Zahl nicht null ist, liegt keine Bedeckung vor.
Für die Gleichung fünften Grades muss man etwas mehr Aufwand treiben: Man konstruiert die so genannte Galois-Gruppe der Gleichung, das ist die Menge aller Vertauschungen der fünf Lösungen untereinander. Die Invariante ist eine spezielle Eigenschaft dieser Gruppe. Wenn sie nicht vorliegt, kann keine vorgeschlagene Lösung richtig sein. Und das kann man wissen, ohne die Lösungsvorschläge überhaupt zu kennen!
Geometrische Konstruktionen
Ähnliche Unmöglichkeitsbeweise findet man auf einem Gebiet, auf dem sich die Amateure gerne tummeln: der Konstruktion geometrischer Figuren. Bei den klassischen Aufgaben dürfen nur ein unmarkiertes Lineal und ein Zirkel verwendet werden. Gewisse Punkte sind vorgegeben; neue Punkte erhält man als Schnittpunkte von Geraden oder Kreisen. Jede Gerade muss bereits konstruierte Punkte verbinden, und jeder Kreise muss seinen Mittelpunkt in einem bekannten Punkt haben und durch einen bereits gegebenen Punkt gehen.
Welche mathematischen Probleme lassen sich durch solche Konstruktionen lösen? Zum Beispiel kann man eine Strecke in eine beliebig vorgegebene Anzahl gleicher Teilstrecken zerlegen. Oder einen gegebenen Winkel halbieren und durch n-malige Wiederholung dieser Aktion einen Winkel in 2n gleiche Winkel teilen. Oder reguläre Vielecke mit 3, 4, 5, 6, 8, 10 und 12 Seiten konstruieren. All dies ist seit den Zeiten des Euklid (um 300 vor Christus) wohl bekannt. Aber die folgenden zwei Jahrtausende lang versuchten viele Mathematiker, drei notorische Probleme zu lösen, an denen die Griechen gescheitert waren:
- einen Würfel zu konstruieren, dessen Volumen doppelt so groß ist wie das Volumen eines vorgegebenen Würfels ("Verdopplung der Würfels"),
- einen Winkel in drei gleichgroße Winkel zu teilen ("Dreiteilung des Winkels") sowie
- ein Quadrat zu konstruieren, das den gleichen Flächeninhalt hat wie ein vorgegebener Kreis ("Quadratur des Kreises").
Heute wissen wir, warum all die jahrtausendelangen Bemühungen nichts fruchteten: Alle drei Aufgaben sind mit Zirkel und Lineal unlösbar.
Tiefere Gemeinsamkeiten
Wir suchen, wohlgemerkt, exakte Lösungen. Näherungskonstruktionen beliebiger Genauigkeit sind nicht schwer. Außerdem dürfen keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet werden. Schon wenn man das Lineal markieren darf, kann man den Winkel leicht dritteln.
Wie sieht die Invariante für Konstruktionen mit Zirkel und Lineal aus? Jede solche Konstruktion kann man durch Koordinaten darstellen; jeder Schritt entspricht der Berechnung einer Reihe von Zahlen – der Koordinaten des neu konstruierten Punktes. Diese hängen mit den bereits bekannten über Gleichungen ersten oder zweiten Grades zusammen (ersten Grades für den Schnittpunkt zweier Geraden, zweiten Grades, wenn ein Kreis beteiligt ist). Das bedeutet, dass der "Grad" eines jeden konstruierten Punktes (der kleinste Grad einer Gleichung, deren Lösung er ist); eine Zweierpotenz ist. Dies ist die einfachste Invariante für Konstruktionen mit Zirkel und Lineal; sie reicht bereits aus, um die Unmöglichkeit der Lösung der drei angegebenen Probleme zu beweisen.
Den Würfel zu verdoppeln bedeutet, die Lösung der Gleichung x^3 – 2 = 0 zu konstruieren, aber das ist eine Gleichung dritten Grades. Da 3 keine Potenz von 2 ist, kann die Verdopplung des Würfels allein mit Zirkel und Lineal nicht gelingen. Auch die Dreiteilung des Winkels ist äquivalent zur Lösung einer Gleichung dritten Grades. Das folgt aus der Formel cos 3x = 4(cos x)^3 – 3 cos x. Also lässt sich auch dieses Problem nicht lösen.
Die Quadratur des Kreises bedeutet eine Gleichung zweiten Grades mit rationalen Koeffizienten zu finden, deren Lösung Pi ist. Nach einem Satz, den Ferdinand Lindemann im 19. Jahrhundert bewiesen hat, erfüllt aber Pi keine solche Gleichung, weil es sich nicht durch eine endliche Folge arithmetischer Operationen ausdrücken lässt.
Nun wissen wir also: Es ist eine reine Zeitverschwendung, diese Probleme allein mit einem unmarkierten Lineal und einem Zirkel lösen zu wollen. Leider hält das manche Fanatiker nicht davon ab, es dennoch immer wieder zu probieren. Underwood Dudley, Mathematikprofessor an der DePauw-Universität in Greencastle (Indiana), hat eine beeindruckende Sammlung solcher Bemühungen zusammengetragen. Das Traurigste ist: Die Unmöglichkeit der klassischen Winkeldreiteilung ist so offensichtlich wie die Tatsache, dass 3 keine Zweierpotenz ist; aber das hält viele Leute nicht davon ab, Jahre ihres Lebens für die Suche nach einem Phantom zu verschwenden.
Sollten Sie der Überzeugung sein, eine Winkeldreiteilung gefunden zu haben: Schicken Sie sie nicht mir, aus den angeführten Gründen, sondern an Woody Dudley, der sie sammelt. Aber ich wäre interessiert an raffinierten Geräten zur Winkeldreiteilung oder an schönen Näherungskonstruktionen – denn ich weiß, dass solche möglich sind.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 112
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