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Paläogenetik: Unser rätselhafter neuer Verwandter

Als der moderne Mensch in Eurasien auftauchte, lebten in Fernost schon seit Langem die Denisovaner. Doch erst jetzt entdeckten Paläogenetiker ihre Spuren.
Eingang zur Denisova-Höhle

Ein winziges Knochenfragment von einem menschlichen Finger war zunächst alles. Das Fossil tauchte 2008 in Südsibirien bei archäologischen Ausgrabungen in einer Höhle hoch im Altai-Gebirge auf. Es musste von jemandem stammen, der dort vor ungefähr 40 000 Jahren gelebt hatte. Doch zu welcher Menschenart hatte er gehört? Nach den an diesem Ort gefundenen Artefakten zu urteilen, bewohnten sowohl Neandertaler als auch Homo sapiens die Denisovahöhle. Um Klarheit zu gewinnen, gaben die beteiligten Forscher, darunter Michael Shunkov von der Russischen Akademie der Wissenschaften, ein Stück des Fossils den Paläogenetikern um Svante Pääbo am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zur genetischen Analyse. Diese standen gerade kurz davor, die erste Sequenzierung eines kompletten Neandertalergenoms abzuschließen. Shunkov hoffte, das Leipziger Labor könnte auch aus dem Fingerknöchelchen alte DNA isolieren und seine Vermutung bestätigen, dass dies ein Neandertalerfossil sei.

Es kam anders: Das Genom aus Sibirien stammte nicht von einem Neandertaler. Es passte aber auch nicht zum Homo sapiens, also zum modernen Menschen. Offensichtlich handelte es sich, zum großen Erstaunen der Forscher, um eine bislang unbekannte Menschenform. Nach den groben Schätzungen war der Fingerknochen zwischen 30 000 und 50 000 Jahre alt, stammte also vielleicht sogar aus der Zeit, als unsere Vorfahren in Südfrankreich in der Grotte Chauvet meisterhafte Wandbilder malten.

Die neue Menschenform wurde nach der Höhle im Altai-Gebirge benannt, in der im 18. Jahrhundert ein Einsiedler namens Denis lebte. Abgesehen vom Genom haben die Wissenschaftler immer noch sehr wenig von den Denisovanern in Händen: außer dem Knochenfragment, das von einem Mädchen stammen dürfte, mittlerweile zwei Backenzähne von verschiedenen Erwachsenen. Doch zusammengenommen liefern die paar Fossilien Anlass genug, unser Bild von der Menschenentwicklung zu überdenken. Denn DNA-Vergleiche lassen vermuten, dass die Denisovaner ein größeres Verbreitungsgebiet hatten als die Neandertaler – und dass sie einem Teil der heutigen Menschheit Gene vermacht haben. ...

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  • Quellen

Krause, J. et al.:The Complete Mitochondrial DNA Genome of an Unknown Hominin from Southern Sibiria. In: Nature 464, S. 894 - 897, 2010

Meyer, M. et al.:A High-Coverage Genome from an Archaic Denisovan Individual. In: Science 338, S. 222 - 226, 2012

Reich, D. et al.:Genetic History of an Archaic Hominin Group from Denisova Cave in Sibiria. In: Nature 468, S. 1053 - 1060, 2010

Reich, D. et al.:Denisova Admixture and the First Modern Human Dispersals into Southeast Asia and Oceania. In: The American Journal of Human Genetics 89, S. 516 - 528, 2011

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