Wahrnehmung: Unser zweiter Hörsinn
Gemeinhin heißt es, der Mensch habe fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten – und wohl jeder kennt die zugehörigen Organe. Doch diese Liste ist unvollständig. Es gibt einen sechsten Sinn, den wir gewöhnlich übersehen und dessen Sitz vielen unklar ist, obwohl wir jeden Augenblick von ihm abhängig sind: den Gleichgewichtssinn. Vermittelt wird er vom so genannten Vestibularsystem, das tief versteckt im Innenohr seine Aufgabe erfüllt, ohne dass uns dies in der Regel bewusst ist. Eine Erkrankung oder Verletzung, die seine Funktion beeinträchtigt, kann jedoch verheerend sein, wie jeder bezeugen wird, der einmal an einer Innenohrentzündung gelitten hat.
Die Betroffenen sind im Extremfall völlig außer Gefecht gesetzt – unfähig, aufzustehen oder auch nur den Kopf zu heben oder die Augen still zu halten, ohne zu erbrechen. Als wäre dies nicht schon genug, treten zudem oft akute Angstzustände auf. Die breite Symptomatik bei einer Störung des Gleichgewichtssinns, die vom Sehen und Hören über Körperhaltung und Darmfunktion bis hin zum Fühlen und Denken reicht, macht deutlich, wie wichtig das Vestibularsystem für einen normalen physiologischen Zustand ist.
Bei den Säugetieren liegt der Vestibularapparat in einer Struktur des Innenohrs, die als Labyrinth bezeichnet wird. Sie befindet sich nahe der Cochlea (Schnecke), dem eigentlichen Hörorgan. Beide Systeme sind nicht nur eng benachbart, sondern haben auch gemeinsame Merkmale. So besitzen sie übereinstimmend Haarzellen als Mechanorezeptoren, um Töne beziehungsweise Kopfbewegungen zu registrieren und in Nervensignale umzuwandeln. Ferner sind die Sinnesnerven, die von der Cochlea und dem Vestibularapparat zum Gehirn verlaufen, zu einem Strang gebündelt. Beides zeugt von einer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte für die Wahrnehmung von Schwingungen und Schwerkraft, die mindestens 500 Millionen Jahre zurückreicht. ...
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