Unsymmetrische Mimik bei Affen
Ein emotionsgeladener Ausdruck entsteht bei Rhesusaffen auf der linken Gesichtsseite früher als auf der rechten und ist dort auch stärker. Schon bei tierischen Primaten könnten demnach die beiden Großhirnhemisphären verschiedene Funktionen haben.
Die aufsehenerregenden Befunde in den fünfziger Jahren, daß die rechte und die linke Hirnrinde des Menschen teilweise andere Aufgaben erfüllen, haben zu vielen weiterführenden Untersuchungen angeregt. Auch wenn viele der Ergebnisse noch widersprüchlich sind und oft eine zu sehr vereinfachende Dichotomie unterstellt wird, nehmen die meisten Wissenschaftler heute an, daß das linke Gehirn außer für die Sprache vorrangig für mehr analytisch-logische Operationen zuständig ist, während das rechte eher bei räumlichem und ganzheitlichem Denken sowie bei emotional getönten Prozessen dominiert. Zumindest scheint dies für die Mehrzahl der Rechtshänder zuzutreffen; allerdings sind gerade hierzu die Gehirnbefunde in vielen Details noch unzureichend.
Die Asymmetrie der Hirnfunktionen spiegelt sich bekanntlich selbst in unserem Gesicht: Die rechte und die linke Seite sind anatomisch ungleich (so sind die Hälften oftmals deutlich verschieden groß, die Augen stehen anders, und das rechte Ohr sitzt vielfach tiefer), und besonders auffallend ist die Diskrepanz in der Mimik. Wenn man eine frontale Porträtphotographie längs in der Mitte zerschneidet und jeweils die beiden Hälften spiegelt, erhält man meist zwei erschreckend fremde Gesichter, die noch dazu einander wenig ähneln. Merkwürdigerweise wirkt das eine manchmal fast fratzenhaft verzerrt, während das andere uns durchaus anspricht.
Wenn sie den Eindruck solcher Kunstgesichter schildern sollten, sahen die meisten Befragten in den Porträts aus zwei linken Seiten mehr Ausdruck und erkannten darin mehr Züge einer Persönlichkeit. Die Schlußfolgerung war, daß wohl die rechte Hirnrinde beim Zeigen von Gefühlen dominiere. Überraschenderweise unterscheidet sich aber die Mimik rechts und links um so mehr, je stärker man sie willentlich kontrolliert. Muten uns mitunter darum die Aufnahmen prominenter Personen so vieldeutig an?
Noch ist nicht klar, wann und zu welchem Zweck die Hirnasymmetrie in der Evolution aufgetreten ist. Zwar kommen Seitenungleichheiten verschiedenster Art – etwa im Körperbau – bereits bei sehr einfachen Organismen vor, doch die beiden Gehirnhälften differieren selbst bei höheren Säugetieren offenbar nicht so stark wie beim Menschen. Immerhin aber scheinen schon Nagetiere sich gern zu einer bestimmten Seite hin zu orientieren und Primaten sogar für manche Tätigkeiten eine Hand zu bevorzugen (allerdings sind solche Befunde noch umstritten). Man hat auch Hinweise, daß Affen Rufe von Artgenossen vor allem in der linken Gehirnhälfte verarbeiten und das Erkennen von Gesichtern sich bei ihnen hauptsächlich rechts abspielt.
Diese letzteren Untersuchungen geben jedoch keinen Aufschluß darüber, ob diese Seitigkeit tatsächlich eine Parallelentwicklung zu der beim Menschen ist, ob also die rechte Hemisphäre unter anderem eher für Affekte und die linke mehr für emotional neutrale, referentielle Denkprozesse zuständig ist. So hat zum Beispiel in diesem Zusammenhang niemand geprüft, ob die Affen den Rufen der Artgenossen während des Tests eine Bedeutung beigemessen haben, die über die Gefühlsebene hinausgeht. (Daß sie dies prinzipiell können, ist hingegen belegt; siehe Spektrum der Wissenschaft, Februar 1993, Seite 88.) Genausowenig ist sicher, ob die gezeigten Gesichter in den Tieren vornehmlich Affekte – beispielsweise Angst vor einem ranghöheren Individuum – auslösten oder affektneutrale Denkprozesse zur Bewertung der Situation.
Der Primatologe Marc D. Hauser, der jetzt an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) tätig ist, hat darum die Mimik von Rhesusaffen gefilmt und Bild für Bild analysiert. Seine Studienobjekte waren 19 erwachsene Männchen aus der großen, frei gehaltenen Kolonie auf der puertoricanischen Insel Cayo Santiago.
Aus Porträtaufnahmen von vier verschiedenen typischen Gesichtsausdrücken, die regelmäßig in emotional geladenen sozialen Situationen auftreten, bastelte er spiegelsymmetrische Gesichter aus zwei rechten beziehungsweise linken Hälften und ließ die Bilder von Leuten beurteilen, die mit der Mimik der Affen vertraut sind. Getestet wurden zwei verschiedene Formen des Drohens, mit denen dominante Tiere unterlegene einschüchtern, sowie das sogenannte Angstgrinsen (Bild) und der ihm ähnliche verzerrte Ausdruck bei der Paarung. Die Experten fanden in der Mehrzahl auf Bildern aus zwei linken Gesichtsseiten die Mimik deutlicher und die Stimmung des Tieres leichter erkennbar.
Diese subjektive Einschätzung konnte Hauser objektiv belegen, als er auf den Originalaufnahmen die Bewegung der einzelnen Gesichtsteile ausmaß, zum Beispiel die Stellung der Mundwinkel und der Ohren oder die Zahl der Falten auf den Wangen: In mehr als 75 Prozent der Fälle war das Gesicht auf der linken Seite tatsächlich wesentlich stärker verzogen. Außerdem setzte die Veränderung links früher ein (Bild) und hielt länger an.
Diese Befunde sprechen nach Überzeugung von Hauser für eine Dominanz der rechten Hemisphäre bei affektiven Vorgängen schon bei tierischen Primaten. Wie er betont, bleibt gleichwohl vorerst offen, ob auf dieser Entwicklungsstufe bereits die Dichotomie angelegt ist, die das menschliche Gehirn kennzeichnet. Dazu müßte man vor allem die Arbeitsweise der linken Hemisphäre prüfen. Sollte sich herausstellen, daß die links verarbeiteten Lautäußerungen dort – anders als beim Menschen die Sprache – vornehmlich emotional bewertet werden, hätte das Affengehirn eine vollkommen andere Arbeitsteilung.
Auch zu den menschlichen Reaktionen ist noch manch überraschende Detailerkenntnis zu erwarten. Nach einer neueren Untersuchung scheint die rechte Großhirnrinde nur bei unangenehmen Gefühlen zu dominieren, bei angenehmen vielleicht sogar die linke. Ein Vergleich mit den Befunden an Rhesusaffen ist nicht möglich, weil Hauser nach eigener Einschätzung lediglich unlustbetonte Äußerungen untersucht hat ("Science", Band 261, Seite 475).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1993, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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