Direkt zum Inhalt

Neurowissenschaften: Verborgene Schalter im Gehirn

Erlebnisse und Erfahrungen lösen epigenetische Veränderungen im Gehirn aus und beeinflussen dadurch die Aktivität von Genen. Das kann Verhaltensänderungen bis hin zu psychiatrischen Störungen hervorrufen.

Matt und Greg sind Zwillingsbrüder. Sie wuchsen in der Nähe von Boston auf und waren beide gute Schüler. In ihrem sozialen Umfeld kamen sie stets gut zurecht. Als Jugendliche tranken sie ab und zu ein Bier, rauchten hin und wieder eine Zigarette und experimentierten gelegentlich mit Marihuana, wie das viele junge Leute tun. Auf der Universität jedoch probierten sie Kokain, und diese Erfahrung prägte beide auf ganz unterschiedliche Weise. Während Matt es beim Versuch beließ – er arbeitet heute als Geschichtslehrer –, wurde sein Bruder von der Droge abhängig und völlig aus der Bahn geworfen.

Zunächst führte Greg sein Leben noch relativ normal weiter,studierte und hielt den Kontakt zu Freunden. Doch dann verfiel er dem Kokain immer mehr. Er verließ die Universität und nahm diverse Aushilfsjobs an, etwa im Einzelhandel oder in Schnellrestaurants. Keinen Arbeitsplatz behielt er länger als ein oder zwei Monate. Meist wurde er entlassen, weil er zu häufig fehlte oder mit Kunden oder Kollegen in Streit geriet. Greg verhielt sich mit der Zeit immer unberechenbarer und neigte zunehmend zu Gewaltausbrüchen. Wiederholt wurde er inhaftiert, weil er stahl, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Mehrere Entzugstherapien scheiterten, und als ein Gericht ihn mit 33 Jahren zur Untersuchung in eine psychiatrische Klinik einwies, war er bettelarm und obdachlos, von der Familie verstoßen und ein Gefangener seiner Sucht.

Wieso war Greg so empfänglich für das Kokain, dass es sein Leben zerstören konnte? Weshalb entging sein Zwillingsbruder, der exakt die gleichen Gene besitzt, einem ähnlichen Schicksal? Warum führt die Einnahme von Drogen bei manchen Menschen zu lebenslanger Sucht, während andere ihre Jugendsünden hinter sich lassen?

Diese Fragen sind nicht neu, doch erst jetzt scheinen Neurowissenschaftler den Antworten auf die Spur zu kommen. In den zurückliegenden Jahren haben Biologen zahlreiche molekulare Mechanismen entdeckt, die zu einem stärkeren oder schwächeren Ablesen von Genen führen, ohne dass die dort gespeicherte Information verändert wird. Dabei markieren Enzyme bestimmte Abschnitte der DNA und beeinflussen so deren Aktivität, manchmal sogar lebenslang. Weil dieser Eingriff nicht die Nukleotidsequenz des DNA-Strangs betrifft, sondern sich »oberhalb« von ihr abspielt, spricht man von epigenetischen Modifikationen (von griechisch: epi = über)...

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Best of Gute Frage!

In der Rubrik »Gute Frage!« beleuchten Expertinnen und Experten aus Psychologie, Psychotherapie, Hirnforschung, Verhaltensbiologie und angrenzenden Fächern jeweils einen Aspekt, der vielen von uns Rätsel aufgibt. Dieses Dossier gibt kurze und knappe, aber fundierte, Antworten auf Fragen aus den Bereichen Denken, Fühlen, Psyche und Gehirn. So finden sich informative Antworten zu den Fragen: Haben nette und kluge Leute weniger Vorurteile? Warum schämen wir uns fremd? Sind Einzelkinder besonders narzisstisch? Gibt es verschiedene Lerntypen? Kann Ekel Lust bereiten?

Gehirn&Geist – Intelligent ohne Gehirn

Ob Pflanzen, Pilze oder Einzeller – selbst einfachste Organismen lernen und lösen Probleme, um zu überleben. Und dies ist nicht an ein Gehirn oder an Nervenzellen gekoppelt! Des Weiteren erklärt der Neurophysiologe Andreas Draguhn, ob alle Lebewesen denken können und welche Voraussetzungen sie dazu unbedingt mitbringen müssen. Außerdem berichten wir, warum die Natur, und besonders ihre Geräusche, auf uns gesundheitsfördernd wirken. Was löst chronischen Juckreiz, der Menschen in den Wahnsinn treiben kann, aus? Führt die Klimakrise zur Solidarität in der Gesellschaft oder gewinnt die Abschottung die Oberhand? Wie erklärt sich das Wahlverhalten in Deutschland und anderen europäischen Ländern? Kann digitale Desinformation durch Fake News den Ausgang von freien Wahlen beeinflussen?

Spektrum Kompakt – Ab nach draußen! - Warum Natur uns glücklich macht

Sprudelnde Gewässer, rauschende Baumkronen sowie Vogelgezwitscher lindern Stress und steigern das Wohlbefinden. Die positiven Auswirkungen der Natur auf die Psyche sind weitläufig und vielschichtig. Doch profitieren nicht nur berufstätige Erwachsene von regelmäßigen Aufenthalten in der Natur.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Infos

Cameron, N. M. et al.: Epigenetic Programming of Phenotypic Variations in Reproductive Strategies in the Rat through Maternal Care. In: Journal of Neuroendocrinology 20, S. 795 – 801, 2008

Franklin, T. B. et al.: Epigenetic Transmission of the Impact of Early Stress across Generations. In: Biological Psychiatry 68, S. 408 – 415, 2010

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.