Spezial Mikrogeschichte: Interview: Vergangenheit unter der Lupe
In Frankreich, Italien und den USA ist die "Mikrogeschichte" längst etabliert. Diese Vorgehensweise, bei der Historiker überregionalen Entwicklungen in kleinen Einheiten nachspüren, spielt in Deutschland zurzeit kaum eine Rolle. Warum das so ist, welche Möglichkeiten diese Methode bietet und wo ihre Grenzen liegen, darüber diskutieren der Kieler Historiker Otto Ulbricht und der Düsseldorfer Geschichtswissenschaftler Achim Landwehr.
epoc: Wie sieht die Arbeit eines Mikrohistorikers aus?
Otto Ulbricht: Er erforscht mit mikroskopischer Perspektive eine kleine Untersuchungseinheit – ein Dorf, eine Gutsherrschaft oder eine Person wie Margaretha Dahlhusen. Dabei geht es ihm nicht darum, den Eigenwert von Dorf X herauszufinden, er bleibt nicht im Klein-Klein des lokalen Geschehens stecken. Er beschäftigt sich mit Fragen über die großen Prozesse und Entwicklungslinien der Vergangenheit: Wie bildete sich zum Beispiel der Staat in der Frühen Neuzeit heraus? Wie verlief die Industrialisierung? Konventionell arbeitende Historiker, die sich vor allem der Makroebene verpflichtet sehen, fügen ihre auf Basis von abstrakten Kategorien gewonnenen Erkenntnisse in einer Synthese zusammen. Dabei müssen sie immense Verallgemeinerungen in Kauf nehmen. Anhand von großen Fragen im Kleinen kann ein Mikrohistoriker hingegen prüfen, ob die Thesen seiner Kollegen stimmig sind – oder ob sie korrigiert werden müssen. Dabei hat er einen Vorteil: Da er es mit einer kleinen Untersuchungseinheit zu tun hat, kann er alle vorhandenen Quellen dazu anschauen, diese kombinieren und sie sich gegenseitig beleuchten lassen. Das ist eine Möglichkeit, um sozusagen aus der Innenperspektive zu neuen Ergebnissen und Fragen zu kommen.
Achim Landwehr: Da habe ich gleich einen Einwurf: Ich bezweifle, dass sich überhaupt jemand alle Quellen zu seinem Thema anschauen kann. Wenn sich ein Forscher jahrzehntelang durch ein Archiv gegraben hat, werfen seine Erkenntnisse immer wieder neue Fragen auf. Für deren Beantwortung müsste er weitere Schriftstücke heranziehen oder auf einer ganz anderen Ebene recherchieren. Ich halte das Ideal, zu einem bestimmten Gegenstand alle Quellen in Betracht ziehen zu wollen, für nicht umsetzbar.
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Otto Ulbricht: Er erforscht mit mikroskopischer Perspektive eine kleine Untersuchungseinheit – ein Dorf, eine Gutsherrschaft oder eine Person wie Margaretha Dahlhusen. Dabei geht es ihm nicht darum, den Eigenwert von Dorf X herauszufinden, er bleibt nicht im Klein-Klein des lokalen Geschehens stecken. Er beschäftigt sich mit Fragen über die großen Prozesse und Entwicklungslinien der Vergangenheit: Wie bildete sich zum Beispiel der Staat in der Frühen Neuzeit heraus? Wie verlief die Industrialisierung? Konventionell arbeitende Historiker, die sich vor allem der Makroebene verpflichtet sehen, fügen ihre auf Basis von abstrakten Kategorien gewonnenen Erkenntnisse in einer Synthese zusammen. Dabei müssen sie immense Verallgemeinerungen in Kauf nehmen. Anhand von großen Fragen im Kleinen kann ein Mikrohistoriker hingegen prüfen, ob die Thesen seiner Kollegen stimmig sind – oder ob sie korrigiert werden müssen. Dabei hat er einen Vorteil: Da er es mit einer kleinen Untersuchungseinheit zu tun hat, kann er alle vorhandenen Quellen dazu anschauen, diese kombinieren und sie sich gegenseitig beleuchten lassen. Das ist eine Möglichkeit, um sozusagen aus der Innenperspektive zu neuen Ergebnissen und Fragen zu kommen.
Achim Landwehr: Da habe ich gleich einen Einwurf: Ich bezweifle, dass sich überhaupt jemand alle Quellen zu seinem Thema anschauen kann. Wenn sich ein Forscher jahrzehntelang durch ein Archiv gegraben hat, werfen seine Erkenntnisse immer wieder neue Fragen auf. Für deren Beantwortung müsste er weitere Schriftstücke heranziehen oder auf einer ganz anderen Ebene recherchieren. Ich halte das Ideal, zu einem bestimmten Gegenstand alle Quellen in Betracht ziehen zu wollen, für nicht umsetzbar.
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