Froschsterben: Verstümmelt durch Gülle
Menschlicher Einfluss dürfte die Hauptschuld daran tragen, dass weltweit die Amphibien vom Aussterben bedroht sind. Überdüngung trägt dazu bei, dass auch Missbildungen in den letzten Jahren überhand nehmen.
Eigentlich wollte die Lehrerin den Schulkindern nur das Leben in einem Feuchtgebiet zeigen. Sie führte die Klasse an diesem Tag im Sommer 1995 zu einem Tümpel auf einer Farm in Süd-Minnesota, im Mittleren Westen der USA. Dort sollten die Schüler Leopardfrösche kennen lernen, eine Froschart, die dem Grasfrosch Europas ähnelt.
Bald zappelten die ersten Amphibien in den Keschern. Doch zur allgemeinen Bestürzung hatte einer der jungen Frösche drei Hinterbeine, ein anderer sogar vier. Und das war keine Ausnahme. Die Kinder fingen fast zwei dutzend Leopardfrösche, die Hälfte davon war verkrüppelt.
Die Schule wandte sich an die Umweltschutzbehörde, die ging der Sache sofort nach. Die Bilanz war erschreckend: Die Experten fanden außer zahlreichen Fröschen mit überzähligen, oft völlig deformierten Beinen auch Tiere ohne Hinterbeine oder mit kurzen Stummeln an deren Stelle. Manchen der Tiere sprossen ein oder zwei Gliedmaßen aus dem Bauch. Einigen fehlte ein Auge.
Die Geschichte erregte landesweites Medieninteresse. Vor allem interessierte die Menschen, worauf die Fehlbildungen zurückzuführen waren und ob so etwas auch an anderen Orten vorkam. Wie Nachforschungen ergaben, handelte es sich um keinen Einzelfall, sondern im Gegenteil um ein in Nordamerika sehr häufiges Phänomen. Fehlbildungen von Gliedmaßen sind auch aus Australien, Asien und Europa bekannt, von Europa aber nicht in diesem Ausmaß. Zahlreiche Amphibienarten, auch Salamander und Kröten, sind betroffen. In manchen amerikanischen Populationen weisen achtzig Prozent der Tiere diese schweren Fehlentwicklungen auf.
An sich sind solche Deformationen nichts Neues. Schon vor hundert Jahren berichteten Zoologen, dass sich in jeder Amphibien-Population ein paar missgestaltete Tiere finden. Doch normalerweise fehlte früher höchsten jedem zwanzigsten Exemplar ein Bein, oder es besaß keine Zehen. Noch viel seltener waren Fälle von Fröschen mit fünf oder sechs Beinen. Erst in jüngerer Zeit haben diese Missbildungen nachweislich stark zugenommen.
Bei der Suche nach den Ursachen verdächtigten die Forscher immer wieder andere Umweltfaktoren: bald die zunehmende UV-Strahlung, bald Schadstoffe im Wasser, dann wieder Parasitenbefall. Jeder dieser Einflüsse kann offenbar spezifische Fehlbildungen hervorrufen. Im Einzelfall mag daher ein Faktor dominieren, in anderen Fällen scheinen alle drei zusammenzuwirken. Bedenklich dabei ist, dass alle drei Umweltphänomene mindestens zum Teil auf den Menschen zurückgehen. Mit Sicherheit tragen die Missbildungen zum weltweiten Amphibiensterben bei, auf das Biologen erstmals 1989 aufmerksam wurden (siehe den Artikel von Blaustein und David B. Wake, SdW 6/1995, S. 58). Gerade Amphibien gelten als Indikator für den Zustand der Biosphäre. Wegen ihrer unbeschalten Eier und durchlässigen Haut reagieren sie auf Missstände in ihrer Umwelt besonders empfindlich. Zu befürchten ist, dass Schadfaktoren, die heute Frösche oder Kröten beeinträchtigen, morgen anderen Tieren zusetzen.
Als Ursache für die zahlreichen Missbildungen geriet sogleich die Ultraviolettstrahlung in Verdacht, die wegen der ausdünnenden Ozonschicht in der Stratosphäre zugenommen hat. Zum einen argwöhnten Wissenschaftler bereits einen Zusammenhang von verstärkter UV-Strahlung mit dem Amphibiensterben. Zum anderen hatten Laborstudien erwiesen, dass UV-Licht die Keimes- und Larvalentwicklung von Amphibien stören kann. Auch bei anderen Lebewesen erzeugt solche Strahlung oft genetische Mutationen und schädigt das Immunsystem. Wie weitere Versuche ergaben, kann UV-Bestrahlung Amphibienembryonen und Kaulquappen töten oder Missbildungen hervorrufen. Bei erwachsenen Fröschen schädigt sie schwer die Augen.
Ob ultraviolette Strahlung auch die Entwicklung der Beine beeinträchtigt, konnten erst in den späten 1990er Jahren Gary Ankley und Mitarbeiter von der Umweltschutzbehörde Minnesotas aufklären. Kaulquappen, die in der Studie vor ultravioletter Strahlung abgeschirmt wurden, entwickelten normale Gliedmaßen. Waren die Kaulquappen aber ungeschützt einer natürlichen Strahlungsdosis ausgesetzt, wuchsen ihnen teils verkümmerte Beine oder Füße.
Falscher Verdacht
Bei den missgestalteten Fröschen aus freier Natur treten zwar auch solche Fehlbildungen auf. Doch die UV-Strahlung erzeugte nicht alle Sorten von Deformationen, wie sie bei den Fröschen aus Tümpeln vorkommen. Vor allem verursacht UV-Strahlung eben nicht überzählige Beine. Dies bestätigten zahlreiche weitere Labor- und Freilandversuche. Davon abgesehen setzen sich Kaulquappen und erwachsene Amphibien selten freiwillig kontinuierlich der vollen Sonnenstrahlung aus. Viele Arten suchen regelmäßig Schatten auf, leben in morastigen Gewässern oder sind ohnehin eher nachtaktiv.
Ein anderer Verdacht fiel auf Chemikalien unter anderem aus der Landwirtschaft, die Laichgewässer verseuchen könnten. Nach dem grausigen Fund in Minnesota häuften sich ähnliche Meldungen auch von anderen Feuchtgebieten. Auffallend viele davon bezogen sich auf Orte bei Farmen, wo jedes Jahr große Mengen von Mineraldüngern und Pestiziden ausgebracht werden. Mitte der 1990er Jahre ergaben umfangreiche Laborstudien, dass Amphibien auf sehr viele dieser Stoffe äußerst empfindlich reagieren. Viele Substanzen, die heute in die Umwelt gelangen, können für sie tödlich sein. War es aber möglich, dass irgendwelche Chemikalien das Gliedmaßenwachstum in der beobachteten Weise beeinflussten? Und welche aus der fast unübersehbaren Palette könnten das sein?
Schnell geriet das verbreitete Insektizid Methopren in Verruf. Diese Substanz wurde erstmals 1975 zugelassen. In den Sicherheitstest erwies sie sich als viel harmloser für Wirbeltiere als das heute in vielen Staaten verbotene Insektenbekämpfungsmittel DDT, das sich in der Nahrungskette anreichert. Methopren ähnelt dem Juvenilhormon von Insekten, ist also ein sehr spezifischer Wirkstoff, der sich zudem rasch abbaut. Das Insektizid stört Häutung und Verpuppung von Insektenschädlingen und behindert so die Entwicklung zum erwachsenen Tier.
Allerdings ist Methopren chemisch mit den Retinoiden verwandt. Das sind von Vitamin A abgeleitete Produkte, die unter anderem bei einigen Hautkrankheiten – auch Akne – helfen, aber in der Schwangerschaft schwere Missbildungen und Fehlgeburten hervorrufen können. Besonders die Retinsäure oder Vitamin-A-Säure und deren Derivate sind sehr heikel. Zu viel, aber auch zu wenig davon kann in der Entwicklung eines Wirbeltiers schaden.
Letzte Verdächtige: Parasiten
Ende der 1990er Jahre ergaben Studien an Fröschen, dass deren Hinterbeine unter größeren Mengen von Vitamin-A-Säure vielfach verkümmert wachsen. Doch Methopren erzeugte in Vergleichstests keinerlei Effekte dieser Art, sondern verursachte überhaupt keine Missbildungen. Als erste Ursache für die Entwicklungsstörungen in Amphibienpopulationen kam Methopren schon deswegen kaum in Frage, weil sich dieses Insektizid im Freien rasch zersetzt. Auch an den Orten, wo sich deformierte Amphibien häufen, scheint sich das Insektenmittel kaum über längere Zeit zu halten, wie gesonderte Messungen ergaben. Gleiches gilt für 61 andere in der Landwirtschaft verwendete Substanzen und deren Abbauprodukte, deren Wirkung in der Natur Fachleute bisher besonders in Gegenden im Westen der USA untersuchten, wo verunstaltete Frösche oder Kröten zuhauf vorkommen. Damit sind die Pestizide zwar nicht generell jeden Verdachts enthoben. Hunderte von Substanzen wurden bisher in dieser Hinsicht noch nicht überprüft. Es gibt auch Anzeichen, dass manche Pestizide bei Amphibien tatsächlich Körperschäden hervorrufen können. Doch überzählige Beine verursachen auch sie nicht.
Folglich hätten Umweltchemikalien, die in Laichgewässer gelangen, möglicherweise das Potenzial, bei Amphibien Missbildungen zu erzeugen, so wie auch ultraviolette Strahlung Ursache dafür sein könnte. Für die meisten der Fehlentwicklungen haben Wissenschaftler heute aber eine ganz andere Erklärung. Das betrifft vor allem die zusätzlichen Hinterbeine.
Die ersten Anhaltspunkte für die neue These gehen über zwanzig Jahre zurück, doch die Tragweite blieb zunächst unbeachtet. Schon Mitte der 1980er Jahre entdeckte Stephen B. Ruth, der damals am Peninsula College in Monterey (Kalifornien) arbeitete, in Nordkalifornien Hunderte von Amphibien mit Fehlbildungen. Viele der Pazifik-Laubfrösche (Königslaubfrösche) und Langzehenquerzahnmolche, die er dort in Tümpeln fand, besaßen zu wenige oder zu viele Beine. Auch andere Deformitäten kamen vor. Ruth schlug nicht Alarm, denn er hielt das für eine biologische Kuriosität.
Er bat damals einen Experten – Stanley K. Sessions, der heute am Hartwick College in Oneonta (US-Staat New York) arbeitet –, die bizarren Tiere zu untersuchen. Stanley erkannte schnell, dass sämtliche der deformierten Frösche und Molche von einem parasitischen Saugwurm oder Trematoden befallen waren. Der Parasit bildet im Körper dieser Wirte Zysten, und zwar besonders oft nahe der Wurzel der Hinterbeine. Stanley vermutete, dass die Zysten mechanisch die normale Entwicklung störten.
Diese These prüfte er am Axolotl, einem Molch, und an Krallenfröschen. Beides sind bewährte Labortiere. Stanley pflanzte den Versuchstieren einfach winzige Glasperlen in die sich entwickelnden Beinknospen. Tatsächlich wuchsen beiden Amphibien nun zusätzliche Beine. Auch sonst wirkten die Missbildungen ganz so wie bei den beiden zystenverseuchten Arten aus dem Freiland. Trotzdem bewies dies noch nicht den vermuteten Zusammenhang, denn weder vom Axolotl noch von Krallenfröschen sind solche Fehlbildungen aus der Natur bekannt. Klarheit brachten erst Forschungen, die einer von uns (Johnson) und Mitarbeiter seit Mitte der 1990er Jahre durchführten, als sich das Ausmaß der Froschmissbildungen abzuzeichnen begann. Johnson stieß bei seinen Recherchen auf die Arbeiten von Ruth und Sessions. Als er und seine Kollegen daraufhin zahlreiche kalifornische Feuchtgebiete überprüften, konnten sie zeigen, dass Teiche, in denen viele Königslaubfrösche mit überzähligen Gliedmaßen lebten, auch auffallend dicht von einer Wasserschnecke besiedelt waren. Es handelte sich um die Schneckenart Planorbella tenuis. Sie dient als Zwischenwirt für den Saugwurm Ribeiroia ondatrae, der den Forschern schon in den 1980er Jahren aufgefallen war.
Nun sammelten Johnson und sein Team aus den schneckenreichen Gewässern missgestaltete Frösche und untersuchten sie. Alle diese Tiere steckten rund um den Ansatz der Hinterbeine gleich unter der Haut voller Zysten mit den Parasiten. Den letzten Beweis brachten Laborstudien. Königslaubfrösche, die dem Saugwurm ausgesetzt wurden, entwickelten wie erwartet das gleiche Spektrum an Missbildungen wie im Freiland. Vor allem traten auch verschiedenste Fehlentwicklungen der Gliedmaßen auf. Teils fehlten den Fröschen Beine, teils hatten sie zu viele. Je stärker der Parasitenbefall, umso mehr Schäden wiesen die Tiere auf. Parasitenfreie Frösche wuchsen dagegen normal heran.
Schlaraffenland für einen Saugwurm
Diese Studie bedeutete den Durchbruch. Die weiteren Forschungen konnten darauf aufbauen. In der Folge erwies sich immer wieder, dass der Saugwurm Ribeiroia oft wesentlich beteiligt ist, wenn Amphibien zu viele oder zu wenige Beine wachsen. Wir selbst zeigten das für Nordkröten. Andere Forscher belegten den Zusammenhang kürzlich für Waldfrösche und für Leopardfrösche, andere nordamerikanische Arten.
Für die Parasitenthese spricht auch, dass nur manche der Gewässer voller verunstalteter Amphibien chemische Belastungen aufweisen, jedoch fast immer den Saugwurm beherbergen. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass die Parasitenplage in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Sie könnte schon epidemische Ausmaße erreichen. Für die Zeit vor 1990 fanden wir nur sieben dokumentierte Fälle, die vermuten lassen, dass die Missbildungen und der Saugwurmbefall zusammentrafen.
Dagegen konnten wir in einer 2002 veröffentlichten Feldstudie auf 25 solche Habitate allein im Westen der USA hinweisen. Dort zeigten sechs verschiedene Amphibienarten körperliche Fehler. Der Befall variierte in den Habitaten zwischen fünf und neunzig Prozent der Individuen. In den letzten beiden Jahren fanden andere Forscher das gleiche Bild in mehreren US-Staaten des Ostens und mittleren Westens. Auch der Teich in Minnesota, der 1995 in die Schlagzeilen geriet, war mit dem Saugwurm verseucht.
Zum Teil mag die Zunahme auf die gestiegene Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und Öffentlichkeit zurückgehen. Aber in der Mehrzahl kam die erste Meldung von Leuten, die eigentlich nur ein paar Frösche fangen wollten. Oft waren das sogar Kinder.
Der komplizierte Lebenszyklus des Saugwurms Ribeiroia hilft verstehen, wieso die Frösche eines befallenen Gewässers oft Jahr für Jahr, Generation um Generation, missgebildet sind und sich der Befall schnell stark ausweiten kann. Außer dem geschlechtsreifen Parasiten, der große Mengen Eier erzeugt, erscheinen in jedem Zyklus mehrere Larvenstadien, die auseinander hervorgehen, wobei sich die Larven jedes Mal noch selbst stark vermehren. Diese Larvenformen befallen verschiedene Wirte, in dem Fall Wasserschnecken und Kaulquappen. Die geschlechtsreifen Würmer leben in Vögeln, die im Wasser unter anderem Frösche fischen. Oft sind dies Reiher. Mit dem Vogelkot gelangen die Parasiteneier ins Wasser. Die daraus schlüpfenden Larven befallen Schnecken. In den Schnecken entstehen andere Larven, die freikommen, schließlich in Kaulquappen eindringen und in ihnen Zysten bilden. Wenn den Kaulquappen dann zu viele oder zu wenige Beine wachsen, werden die missgebildeten Frösche leicht Beute ihrer Fressfeinde. Der mitgefressene Parasit entwickelt sich im Reiher zum geschlechtsreifen Tier – der Zyklus beginnt von vorn.
Noch einemenschenverursachte Seuche
Doch wie konnte sich das Phänomen anscheinend zu einer regelrechten Epidemie ausweiten? Verschuldet auch dies letztlich der Mensch – dadurch, dass er in diese Lebensräume eingreift? Es gibt eine Reihe von Beispielen für Infektionskrankheiten, die neu aufgetreten sind oder zugenommen haben, weil eine veränderte Umwelt die Vermehrung eines Erregers begünstigte. Das gilt für menschliche Krankheiten wie für Tierseuchen – auch manche in Wildpopulationen. Solche Eingriffe können ganz verschiedener Art sein.
Beispielsweise tritt in den nordöstlichen USA nach den Wiederaufforstungen Lyme-Borreliose auf. Der Hintergrund: Die Weißwedelhirsche haben sich vermehrt. Sie sind Wirte von Zecken, die das Lyme-Bakterium übertragen. In Afrika nehmen Fälle von Bilharziose beim Menschen durch Stauseen, Fischteiche und künstliche Bewässerungssysteme zu. Diese weltweit verbreitete Tropenkrankheit verursacht ein anderer Saugwurm, der im Wasser durch die menschliche Haut eindringt. Er hat einen ähnlich komplizierten Lebenszyklus wie der beschriebene Amphibienparasit Ribeiroia. Auch die zunehmende Bedrohung durch verschiedene andere Krankheitserreger wie das Hanta- und das Ebolavirus hängt mit veränderten Umwelten zusammen. Selbst beim Aids-Erreger vermutet man einen solchen Hintergrund.
Auch für den Saugwurm Ribeiroia gelang uns jetzt der Nachweis, dass menschlicher Einfluss die Parasitenplage fördert. Wir untersuchten 59 Wasserstellen der westlichen USA, in denen mit diesem Schmarotzer infizierte, deformierte Frösche leben. Bei 44 dieser Gewässer handelt es sich um Tümpel auf Farmen, angelegte Weiher, Rückhaltebecken und Ähnliches. Vielfach herrscht dort eine Algenblüte, weil aus der Umgebung Dünger und tierische Ausscheidungen eingeschwemmt werden. Von den Algen ernähren sich Schnecken, die sich bei dem hohen Nahrungsangebot gut vermehren. Je mehr Schnecken die Saugwürmer befallen können, umso mehr vermehrt sich der Parasit und umso mehr Kaulquappen werden später von ihm heimgesucht. Auch der dritte Wirt des Parasitenzyklus, Reiher und andere Stelzvögel, finden sich an solchen nahrungsreichen Tümpeln gern ein.
Ein Befall mit Saugwürmern dürfte für einen Großteil der verunstalteten Amphibienvorkommen der wahrscheinlichste Auslöser sein. Dies ist aber gewiss nicht der einzige Hintergrund des Phänomens. Sicherlich verstärken weitere Umweltfaktoren oft noch das Erscheinungsbild. In manchen Fällen könnten bestimmte Gliedmaßen-, Haut- und Augenschäden sogar nur durch Wasserverschmutzung oder ultraviolette Strahlung verursacht sein. In anderen Fällen mögen diese beiden Faktoren die Immunkräfte der Amphibien so stark schwächen, dass sie einem Parasiten wenig entgegensetzen können. Möglich wäre auch, dass der Anteil verkrüppelter Amphibien ohne Beine noch dadurch steigt, dass in den betreffenden Gewässern Tiere überhand nehmen, die Kaulquappen angreifen, etwa Egel, Fische oder Wasserschildkröten.
Den Rückgang der Amphibien, durch welche Einflüsse auch immer, sollten wir als Warnung begreifen. Es erscheint dringend geboten, die einzelnen Ursachen für ihre Dezimierung zu entwirren und dann deren Wechselwirkungen aufzuzeigen. Die gleichen Eingriffe in die Natur könnten auch andere Tiere treffen, den Menschen nicht ausgenommen.
Literaturhinweise
Ecosystems, Evolution and UV Radiation. Von Charles S. Cockell und Andrew R. Blaustein (Hg.). Springer, 2001.
A Plague of Frogs. Von William Souder. Hyperion Press, 2000.
The Effect of Trematode Infection on Amphibian Limb Development and Survivorship. Von P. T. J. Johnson et al. in: Science, Bd. 284, S. 802, 30. April 1999.
In Kürze
-Seit Mitte der 1990er Jahre fällt vielerorts eine große Anzahl missgebildeter Amphibien auf. Das Phänomen wurde schon bei über sechzig Arten von Fröschen, Kröten und Salamandern in 46 Staaten registriert. In manchen Populationen beträgt die Rate 25 Prozent. Ungewöhnlich sind mancherorts besonders die zahlreichen Tiere mit zu vielen Hinterbeinen.
-Für diese Art von Fehlbildung gerieten drei Ursachen in Verdacht: ultraviolette Strahlung; mit Chemikalien belastetes Wasser; oder eine Parasitenepidemie.
-Offenbar verursacht meist ein parasitischer Saugwurm die zusätzlichen Hinterbeine. Dieser Schmarotzer vermehrt sich besonders gut in überdüngten Gewässern.
Warum verschwinden die Amphibien?
Auf der langen Liste bedrohter Arten stehen seit zwei Jahrzehnten zunehmend auch Frösche, Kröten, Salamander und Molche weit vorn. Welche Bedeutung für den weltweiten Rückgang der Amphibienbestände haben die jetzt gehäuft beobachteten Missbildungen?
Behinderte Frösche oder Lurche überleben meist nicht lange. Sofern sie nicht ohnehin bald gefressen werden, dürften sie auch beim Beutefang benachteiligt sein. Das bedeutet, dass in einer Population die meisten dieser Tiere bald verschwinden. Das heißt aber auch, dass ein Bestand mit allzu vielen deformierten Individuen beträchtlich schrumpfen kann, bis hin zum Zusammenbruch. Diese Gefahr ist bei den Parasitenepidemien, wie sie zurzeit viele der Lebensräume in Nordamerika heimsuchen, durchaus gegeben – zumal die Zahl der Infektionen offenbar ansteigt.
Vielerorts schwinden die Amphibien allerdings drastisch, obwohl dort nur selten Missbildungen auftreten. Das zwingt die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Entwicklungsdefekte bei weitem nicht der einzige unmittelbare Anlass für diesen Rückgang sind.
Amphibien bewohnen ein breites Spektrum an Lebensräumen, Feuchtgebiete wie Wüsten, Graslandschaften wie Wälder, Tiefebenen und Hochgebirge. Aber so verschiedenartig ihre ökologischen Nischen auch sind – von den unzähligen menschengemachten schädlichen Einflüssen bleiben sie nur an den wenigsten Orten ganz verschont. Manches wichtige Amphibienhabitat hat der Mensch bereits völlig beseitigt oder praktisch verseucht. In andere hat er fremde Tierarten eingeführt, denen die heimischen Arten nicht standhalten können.
Zu den größten Gefahren gehört die zunehmende UV-Strahlung, die auf die immer stärkere Ausdünnung der Ozonschicht zurückgeht. Starke UV-Strahlung zerstört die wenig geschützten Eier und Larven. Sie kann auch Entwicklungen, etwa von Beinen, verhindern. Andererseits werden bei einer Klimaerwärmung manche Feuchtgebiete trockenfallen, in denen Amphibien leben. In anderen Regionen könnte ein wärmeres Klima Parasiten und Krankheitserreger begünstigen, welche die Amphibienbestände dezimieren. Sollten Maßnahmen Erfolg haben, die das Amphibiensterben generell aufhalten, dürften auch die Missbildungen der letzten Jahre wieder verschwinden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 58
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