Editorial: Versuch und Irrtum
Am Anfang war das Experiment: Die wissenschaftliche Seelenkunde begann mit dem Anspruch von Forschern, psychische Phänomene exakt definieren, messen und unter kontrollierten Laborbedingungen testen zu können. Nur so ließen sich die Gesetzmäßigkeiten, die unser Denken, Fühlen und Handeln regieren, verlässlich ergründen. Man stelle sich die kulturelle Revolution vor, welche die ersten Psychologen vor fast 150 Jahren damit auslösten! Statt, wie es jahrhundertelang üblich gewesen war, nur wohlfeile Theorien und Menschenbilder zu pflegen, wurden auf einmal konkrete Fragen an die menschliche Natur gestellt: Sind Reflexe erlernbar? Wie äußert sich die objektive Stärke eines Tast- oder Sehreizes im subjektiven Empfinden? Was sind die Elemente des Bewusstseins? Im Lauf der Zeit kamen noch viele andere spannende Fragen hinzu, etwa: Wie weit reicht "blinder Gehorsam"? Und besitzen wir einen freien Willen?
Mit dem Titelthema dieses Hefts startet unsere neue Rubrik "Die größten Experimente der Psychologie". In jeder Ausgabe werden wir Ihnen einen klassischen Versuch und seine Folgen vorstellen – darunter auch solche, die von Biologen, Medizinern oder Neurowissenschaftlern ersonnen wurden. Zum Auftakt präsentieren wir Ihnen ab S. 12 gleich drei historische Meilensteine.
Der Blick auf das Gestern ist dabei auch für morgen relevant: Forschende Psychologen streiten inzwischen heftig darüber, wie sie ihre Wissenschaft in Zukunft verlässlicher und selbstkritischer machen können. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist ein gewisses Maß an falsch positiven Resultaten unvermeidlich – Studien liefern mitunter also nur Scheinbelege für in Wahrheit unhaltbare Annahmen. Heute jedoch zeigt sich, dass das Problem weit größere Ausmaße hat als angenommen. Die Unsitte, Daten so lange zu analysieren, bis etwas Signifikantes herauskommt, gepaart mit dem Druck, ständig neue, möglichst überraschende Befunde zu publizieren, hat das Vertrauen in die Psychologie als valide Wissenschaft geschwächt. Höchste Zeit, sich vom Forscherdrang und Einfallsreichtum der "Helden von einst" inspirieren zu lassen. Das liefert die wohl beste Gewähr, durch Versuch und Irrtum uns selbst ein Stück näherzukommen.
Eine gute Lektüre wünscht
Ihr
Steve Ayan
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