Verursachen Umwelt-Östrogene Brustkrebs?
Hormon-imitierende synthetische Verbindungen, die inzwischen allgegenwärtig sind, können zu zahlreichen anderweitig nicht erklärlichen Fällen von Brustkrebs beitragen. Die Hypothese ist zwar umstritten, doch spricht einiges nach Ansicht der Autoren dafür.
Etwa zwei Drittel aller Erkrankun- gen an Brustkrebs lassen sich weder mit Veranlagung noch mit anderen bekannten Risikofaktoren erklären, welche die Anfälligkeit dafür erhöhen. Auf BRCA1 beispielsweise, ein nach langer Suche 1994 identifiziertes Brustkrebs-Gen, sind lediglich vielleicht fünf Prozent aller Fälle zurückzuführen (das Kürzel steht für englisch breast cancer; das normale Gen ist nicht krebsfördernd, nur gewisse Mutationen darin wirken so).
Basierend auf unseren Forschungen und denen anderer Wissenschaftler haben wir zusammen mit unseren Kollegen 1993 eine Hypothese aufgestellt, wonach für einen Teil der bislang unerklärlichen Fälle von Brustkrebs Substanzen verantwortlich sein dürften, die wir Xeno-Östrogene genannt haben. Diese dem Körper fremden – griechisch xenos – natürlichen oder synthetischen Produkte können eine gänzlich andere chemische Struktur als die Östrogene (internationale Schreibweise: Estrogene) der Wirbeltiere haben; sie verhalten sich aber, wenn sie in deren Zellen gelangen, ähnlich wie jene typisch weiblichen Hormone oder verändern deren biologische Aktivität.
Einige mindern sie, werden jedoch rasch vom Organismus abgebaut. Enthalten sind solche Xeno-Östrogene gewöhnlich in pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Soja-Erzeugnissen und Kohlgewächsen. Andere, in der Regel synthetische Produkte, können Östrogen-Effekte verstärken und sind langlebig. Sie kommen in bestimmten Pestiziden, Medikamenten, Treibstoffen und Kunststoffen vor und sind seit dem Zweiten Weltkrieg durch die moderne Zivilisation zunehmend verbreitet worden (Bild 1 links). Eben diese "Östrogen-Verstärker" in der Umwelt geben uns Anlaß zur Besorgnis.
Daß manche Xeno-Östrogene Brustkrebs fördern ist zwar noch immer eine spekulative Hypothese, doch die Verdachtsmomente dafür erhärten sich mehr und mehr. Falls sie sich als zutreffend erweisen, könnten sich neue Möglichkeiten der Prävention eines Leidens eröffnen, das 1995 allein in den USA schätzungsweise 182000 Frauen treffen und rund 46000 hinwegraffen wird. In Deutschland starben 1993 fast genau 18600 Frauen an Brustkrebs. (Durchschnittlich beraubt die Erkrankung jene, die ihr erliegen, um ungefähr zwanzig Jahre ihres Lebens.)
Neue Strategien zur Verhütung sind dringend erforderlich: Weder wurden in den letzten zwanzig Jahren grundlegend neue wirksame Therapien eingeführt noch hat sich die Überlebensrate entscheidend verbessert.
Auch weitere Verbindungen, die das Hormonsystem stören, könnten Indizien zufolge die Entwicklung von Brustkrebs fördern. Zudem deuten jüngste Analysen, die in Deutschland, Großbritannien und Dänemark jeweils im Regierungsauftrag erstellt wurden, zusammen mit früheren Studien darauf hin, daß Xeno-Östrogene und andere das Hormonsystem störende Stoffe noch in anderer Weise für Mensch und Natur schädlich sein könnten. Möglicherweise tragen solche Verbindungen zu Entwicklungsanomalien bei Tieren bei sowie zu einer Reihe von Störungen im Fortpflanzungssystem bei Männern, wie sie Berichten zufolge weltweit immer häufiger werden – insbesondere Hodenhochstand, Anomalien der Harnwege und verminderte Spermienzahl; gleiches gilt für Hodenkrebs (siehe Kasten auf Seite 44).
Erste Verdachtsmomente
Brustkrebs entsteht wie andere bösartige Tumoren auch, wenn eine Zelle sich abnorm zu vermehren beginnt und ihre Nachkommenschaft sich schließlich jeglicher Kontrolle entzieht. Dazu müssen sich nach heutiger Erkenntnis zunächst Mutationen in Genen anhäufen, welche die Zellteilung regulieren und die korrekte Verdopplung der Erbsubstanz DNA (Desoxyribonucleinsäure) sicherstellen. Hormone und andere Stoffe im Umfeld der Zelle können ebenfalls eine anomale Zellvermehrung veranlassen.
Auf den Verdacht einer Beteiligung von Xeno-Östrogenen kamen wir bei Überlegungen, warum auf so viele an Brustkrebs erkrankte Frauen die meisten bekannten Risikomerkmale gar nicht zutreffen – wie ein früher Beginn der Menarche (Auftreten der ersten Menstruation, also Regelblutung), ein später Eintritt der Menopause (der Wechseljahre), Kinderlosigkeit oder der Umstand, niemals gestillt zu haben. Diese und ande- re Faktoren erhöhen bekannterweise die Gesamtmenge an biologisch aktiven körpereigenen Östrogenen (in erster Linie von Östradiol), der eine Frau im Laufe ihres Lebens ausgesetzt ist. Östradiol wird vor allem in den Eierstöcken reichlich während jedes Menstruationszyklus gebildet; ein gewisser Anteil liegt in inaktiver Form vor, der Rest jedoch ist physiologisch wirksam.
Alter gilt ebenfalls als Risikofaktor: Frauen über 50 erkranken eher an Brustkrebs als jüngere, wiederum wahrscheinlich deshalb, weil sie schon länger ihrem biologisch aktiven Östradiol ausgesetzt gewesen sind. Auch eine an tierischen Fetten reiche Ernährung scheint ebenso wie starker Alkoholgenuß das Erkrankungsrisiko zu erhöhen, vermutlich deshalb, weil Fettgewebe selbst Östrogen zu bilden und Alkohol die Hormonproduktion zu steigern vermag. Außer einer erblich bedingten Veranlagung für Brustkrebs (oft an der Erkrankung mehrerer direkter Blutsverwandter noch vor den Wechseljahren erkennbar) sind zurückliegende hohe Strahlenbelastungen durch wiederholtes Röntgen des Brustbereichs ein weiterer wichtiger Risikofaktor (heutige Geräte kommen übrigens mit einer weit geringeren Dosis aus als früher).
Wenn zuviel natürliches Östrogen eine Gefahr sein kann, so unsere damalige Überlegung, dann vielleicht auch eine längere Einwirkung von Xeno-Östrogenen – eventuell ließe sich ihr ein Teil der Erkrankungen zuschreiben, bei denen die Ursache bislang nicht ersichtlich ist. Mehr noch, sie könnte mit erklären, warum die gemeldete Inzidenz für Brustkrebs (meist ausgedrückt als Anzahl neuer Fälle pro 100000 Frauen im Jahr) seit 1940 weltweit stetig zugenommen hat. Die höchste Rate verzeichnen Industrienationen wie die USA (Bild 1 rechts), die schnellste Steigerung aber einige Entwicklungsländer.
Die Zunahme seit den achtziger Jahren geht, zumindest bei Frauen unter 65, teilweise auf bessere Früherkennung zurück; ältere Frauen haben sich seltener einer Brustuntersuchung und einer Mammographie unterzogen, obgleich sie von diesen Vorsorgemaßnahmen erheblich hätten profitieren könnten. Verschiebungen bei den Risikofaktoren – wie der Trend zu einer früheren Menarche infolge besserer Ernährung sowie der zu weniger Schwangerschaften – haben ebenfalls einen Einfluß. Worauf die verbleibende Zunahme beruht war bislang jedoch nicht auszumachen.
Einige Forscher wie Stephan H. Safe von der Texas-A&M-Universität in College Station bezweifeln eine Beteiligung von Xeno-Östrogenen an Brustkrebs: Der Mensch sei lediglich winzigen Mengen der einzelnen Verbindungen ausgesetzt; sie seien auch weit weniger wirksam als Östradiol, und pflanzliche Xe-no-Östrogene mit dämpfenden Effekten kompensierten die verstärkenden der schädlichen Formen.
Doch diese Argumente überzeugen uns nicht. Zwar mögen von einem einzelnen synthetischen Xeno-Östrogen nur Spuren in den Organismus gelangen, aber die gesamte Klasse von Substanzen ist in der Umwelt allgegenwärtig. Überdies verbleiben sie im Körper gewöhnlich jahrzehntelang, so daß sie sich in hoher Konzentration anreichern können. Pflanzliche Östrogene hingegen werden rasch abgebaut – somit ist unwahrscheinlich, daß die mit der üblichen Nahrung aufgenommenen die Auswirkungen der langlebigen synthetischen Verbindungen aufheben.
Körpereigene Östrogene und Krebs
Was ist nun der Mechanismus, der Anlaß zur Sorge gibt? Wie körpereigenes Östradiol insbesondere an der Entstehung von Brustkrebs mitwirkt, ist zwar im einzelnen noch nicht völlig geklärt; doch spielt zweifellos seine Fähigkeit eine Rolle, die Vermehrung von Epithelzellen im Brustgewebe anzuregen (diese kleiden die Milchdrüsen und ausführenden Milchgänge aus; Bild 2).
Das Hormon durchdringt als gut fettlösliche Verbindung die Zellmembran und heftet sich im Zellplasma an ein Protein, das als Rezeptor fungiert. Der molekulare Komplex vermag sich nach Einwanderung in den Zellkern an regulatorische Bereiche der DNA zu binden und Gene zu aktivieren, welche die Zellteilung steuern. Dadurch erhöht sich die Verdoppelungsrate der DNA und damit auch die Wahrscheinlichkeit, daß ein Fehler – eine womöglich karzinogene Mutation – auftritt und unkorrigiert auf die entstehenden Tochterzellen übergeht.
Neu gebildetes Östradiol wird im Körper inerhalb gewisser Zeit in andere Formen überführt, und eine davon beeinflußt unter Umständen die Entwicklung von Krebs noch weitergehend. Enzyme fügen nach Dehydrierung einer Hydroxyl-Gruppe (-OH) bei einem erheblichen Teil der Moleküle eine neue an anderer Stelle an: Manchmal ist das Produkt 16-alpha-Hydroxyöstron, manchmal 2-Hydroxyöstron (Bild 3) – je nachdem, ob die neue Hydroxyl-Gruppe an das Kohlenstoffatom in Position 16 oder an das in Position 2 kommt. Beide Verbindungen können aber nicht gleichzeitig entstehen, so daß sich ihr Verhältnis stets ändert, wenn Zellen diesen Stoffwechselweg einschlagen.
Prozesse, welche die Umwandlung von Östradiol in 16-alpha-Hydroxyöstron fördern, tragen unseres Erachtens zur Entstehung von Brustkrebs bei, auch wenn diese Ansicht nicht allgemein akzeptiert wird. Zum einen besetzt 2-Hydroxyöstron zwar den Östrogen-Rezeptor, aktiviert ihn aber nur schwach; in Analogie zum "guten" Cholesterin könnte man es "gutes" Östrogen nennen. Die 16-alpha-Form hingegen – das mutmaßlich "schlechte" Östrogen – verstärkt in hohem Maße die Wechselwirkung des Rezeptors mit wachstumsfördernden Genen, steigert die Vermehrung von Zellen des Brustgewebes und schädigt möglicherweise gar die DNA.
Des weiteren hat sich bei mehreren Studien an Tieren und kürzlich auch am Menschen ein Zusammenhang zwischen Brustkrebs und einem erhöhten Gehalt an der 16-alpha-Form ergeben (Mikroaufnahme in Bild 3). So haben Mäuse von Stämmen, die zur spontanen Bildung solcher Tumoren neigen, viermal soviel davon im Brustgewebe wie Tiere von Stämmen, die nicht dazu disponiert sind. Und maligne entartetes Brustgewebe von Frauen enthält, wie Michael P. Osborne, Nitin T. Telang und andere Wissenschaftler vom Strang-Cornell-Krebsforschungslaboratorium in New York später in einer kleinen Studie feststellten, fast das Fünffache an 16-alpha-Hydroxyöstron wie vergleichbares Gewebe von Frauen ohne solche Tumoren. Vor wenigen Monaten haben ferner Joachim G. Liehr von der Universität von Texas in Galveston und Ercole L. Cavalieri vom Eppley-Institut für Krebsforschung in Omaha (Nebraska) berichtet, daß bei manchen Fällen von Brustkrebs der Spiegel an 4-Hydroxyöstron erhöht ist (hier sitzt die namensgebende Hydroxyl-Gruppe am Kohlenstoffatom 4).
In welchem Ausmaß Östrogene die Entwicklung von Brustkrebs fördern dürfte außer von der Stärke auch vom Zeitpunkt der Exposition abhängen. Verschiedene Untersuchungen deuten jedenfalls darauf hin, daß eine ungewöhnlich hohe Östrogen-Exposition während der vorgeburtlichen Entwicklung, der Adoleszenz oder ungefähr in der letzten Zehnjahresspanne vor den Wechseljahren wegbereitend für die Entartung von Brustgewebezellen wirkt. Während dieser Phasen stellt Östrogen die Zellen vermutlich darauf ein, im späteren Leben stark auf Stimulation anzusprechen.
Ein zeitlicher Faktor ganz anderer Art mag erklären, warum Frauen, die recht früh Kinder bekommen, dadurch offenbar einen gewissen Schutz vor Brustkrebs erlangen. Nach heutiger Annahme veranlaßt eine in jungen Jahren ausgetragene Schwangerschaft das Brustgewebe, sich so zu entwickeln, daß seine Epithelzellen sich besser gegen die wachstumsfördernden Signale von Östrogen abschirmen.
Effekte von Xeno-Östrogenen
Krebs fördern bestimmte Xeno-Östrogene möglicherweise, indem sie die Bildung von körpereigenen "schlechten" Östrogenen verstärken oder indem sie den Östrogen-Rezeptor besetzen und ihn veranlassen, unnötige Vermehrungssignale auszulösen. Substanzen mit diesen Eigenschaften könnten auch noch auf andere Weise die Entwicklung von Krebs begünstigen. Zum Beispiel gibt es Hinweise, daß einige Xeno-Östrogene zur Bildung neuer Blutgefäße beitragen, die für das Wachstum und die Ausbreitung von Tumoren erforderlich sind; andere wiederum scheinen die DNA zu schädigen. Eine Exposition zu kritischen Zeiten verstärkt womöglich die karzinogenen Effekte solcher Stoffe.
Synthetische Xeno-Östrogene gelangen aus der Umwelt wohl am häufigsten über den Verzehr tierischer Fette in den menschlichen Organismus, weil sie sich in Fettgeweben anzureichern pflegen. In oberen Gliedern einer Nahrungskette sind höhere Konzentrationen zu erwarten als in denen am Anfang; deshalb ist durch Fleisch von Tieren, die kleinere Tiere beziehungsweise belastetes Grünfutter oder Getreide fressen und kontaminiertes Wasser saufen, vermutlich eine stärkere Exposition zu erwarten als durch Gemüse, das mit östrogen-wirksamen Pestiziden belastet ist. Maiskeimöl und verwandte Fette mit mehrfach ungesättigten Komponenten, zur gesundheitsbewußten Ernährung empfohlen, haben allerdings offenbar östrogene Wirkungen und können daher ebenfalls eine Expositionsquelle sein. Wo Luft und Wasser durch Industrie-Emissionen sowie Ablagerung und Verbrennung von Müll stark verschmutzt sind, dürften Menschen östrogene Stoffe mit der Atemluft oder mit verunreinigtem Trinkwasser aufnehmen. Berufsbedingte Expositionen sind gleichfalls möglich.
Anhaltspunkte für schädliche östrogene Wirkungen synthetischer Verbindungen tauchten erstmals vor mehr als 50 Jahren auf. Damals berichtete eine Reihe von Wissenschaftlern, daß in die Umwelt eingebrachte Chemikalien offenbar nachhaltig die Fortpflanzung vieler Tierarten – darunter Zuchtnerz und Schaf – beeinträchtigten. Nachfolgende Experimente bestätigten, daß DDT (Dichlor-diphenyl-trichlor-ethan) und gewisse andere chlororganische Pestizide wie Methoxychlor und Chlordecon (Warenbezeichnung: Kepone) das Hormonsystem tatsächlich zu stören vermögen.
DDT wurde einst sehr großzügig versprüht und manchmal sogar direkt am Menschen angewendet, später aber in vielen Ländern verboten, seit 1972 beispielsweise in den USA und der Bundesrepublik; einige Länder haben den Gebrauch lediglich eingeschränkt. Seither ist seine Konzentration in der Umwelt gesunken. Da sein völliger Abbau bei einer Halbwertszeit von mehr als 20 Jahren jedoch mehr als 50 Jahre erfordert, ist DDT immer noch allgegenwärtig. Außerdem wird es in vielen Entwicklungsländern weiterhin verbreitet eingesetzt, besonders wo Malaria grassiert, und manche importierten Nahrungsmittel können Rückstände enthalten.
Methoxychlor ist ein Insektizid im Obst- und Gemüseanbau, und Chlordecon war Bestandteil von Ameisen- und Schabenködern, bis es 1977 in den USA verboten wurde (in Deutschland ist es noch als Ameisenködergift zugelassen).
In den letzten 15 Jahren haben sich in Tierversuchen mehrere Verbindungen als östrogen und brustkrebsfördernd erwiesen, darunter auch bestimmte aromatische Kohlenwasserstoffe in Treibstoffen sowie einige polychlorierte Biphenyle (PCB; Bild 4). Diese langlebigen synthetischen Chlorkohlenwasserstoffe hat man als Kühl- und Isolierflüssigkeit in Transformatoren eingesetzt. In den USA werden sie seit 1977, in der Bundesrepublik seit 1983 nicht mehr hergestellt, können aber immer noch in alten Transformatoren vorhanden sein; nachgewiesen hat man sie in Boden, Wasser, tierischem und gelegentlich auch menschlichem Gewebe.
Im Falle von DDT beschleunigten Injektionen der Substanz ferner das Wachstum existierender Brusttumoren bei männlichen Mäusen. Ganz ähnlich erhöhte die Injektion des viel verwendeten Unkrautvernichtungsmittels Atrazin, das inzwischen vielerorts im Grundwasser auftaucht, bei Rattenmännchen die Häufigkeit von Brusttumoren. Dies ist ein Zeichen dafür, daß eine Chemikalie ungewöhnlich karzinogen ist, denn Nagermännchen sind im allgemeinen gegen Brustkrebs resistent.
Bei zahlreichen Experimenten waren die Tiere höheren Dosen als gewöhnlich in der Umwelt ausgesetzt. Daten, die Ana M. Soto und Carlos M. Sonnenschein vom New England Medical Center der Tufts-Universität in Medford (Massachusetts) zusammengetragen haben, weisen jedoch darauf hin, daß möglicherweise auch geringe Mengen schädlich sind, wenn mehrere Stoffe zusammenwirken. Die Wissenschaftler inkubierten Brustkrebszellen in Kultur mit Gemischen gängiger chlorierter organischer Pestizide, jedes einzelne aber in geringer Konzentration. Die Zellen vermehrten sich dann stärker als bei Einwirkung jeder Substanz allein.
Vor kurzem erhärteten Untersuchungen mit verschiedenen Pestiziden die Vermutung, daß gewisse Xeno-Östrogene Brustkrebs möglicherweise fördern, indem sie das Gleichgewicht zwischen den Stoffwechselprodukten (den Metaboliten) des Östradiols zugunsten von 16-alpha-Hydroxyöstron verschieben. So stellten wir und unsere Mitarbeiter insbesondere fest, daß DDT, DDE (ein Nebenprodukt im industriell hergestellten DDT), Atrazin und Chlordecon in Kulturen von Brustkrebszellen die Konzentration des 16-alpha-Metaboliten stark ansteigen lassen. Indol-3-carbinol hingegen, ein natürliches pflanzliches Xeno-Östrogen, das in Broccoli, Rosenkohl, Kohl und Blumenkohl vorkommt, hatte den gegenteiligen Effekt: Es begünstigte die Bildung des 2-Hydroxy-Metaboliten. Andere Wissenschaftler fanden einen ähnlichen Effekt bei Soja-Produkten.
Kunststoffe als Quelle
Erst in den letzten fünf Jahren erbrachten Laborarbeiten Indizien, daß Kunststoffe ebenfalls östrogene Wirkung entfalten können, obwohl erste subtile Anzeichen manch einen Wissenschaftler schon lange zuvor mißtrauisch gemacht hatten. In den späten siebziger Jahren entdeckten David Feldman und Aruna V. Krishnan von der Universität Stanford (Kalifornien) zu ihrer Überraschung, daß ein Hefepilz Östrogen zu bilden schien. Sie verbrachten schließlich länger als ein Jahrzehnt damit herauszubekommen, wie dieser einfache einzellige Organismus, der für solche Hormone keine ersichtliche Verwendung hat, das wohl bewerkstelligt. Endlich, 1990, fanden sie die Antwort: Weder war der Hefepilz der Produzent noch die Substanz das natürliche Hormon. Vielmehr handelte es sich um eine Chemikalie, die aus dem Plastikmaterial der Kulturflaschen in geringen Mengen frei wurde – Bisphenol A (BPA). Es ist ein Abbauprodukt von Polycarbonat, das bekanntlich in Mengen zu Kunststofferzeugnissen verarbeitet wird, und entweicht daraus bei hohen Temperaturen. (Polycarbonat findet sich unter anderem gelegentlich auch in der Auskleidung von Konservendosen und Fruchtsaftpackungen.)
Bisphenol A vermag auch beim Menschen östrogene Effekte hervorzurufen, erkennbar daran, daß sich bei einigen Arbeitern in der Kunststoffindustrie – nach dauerndem Einatmen der Chemikalie mit dem anfallenden Staub – Brüste entwickelt haben. Offen ist bislang, ob es aus Verpackungsmaterial und Behältnissen auf nicht oder auf Gartemperatur erhitzte Nahrungsmittel übergeht, ob es im Magen-Darm-Trakt aktiv bleibt und ob es an der Umwandlung normaler Brustgewebszellen in entartete mitwirkt.
Einen weiteren ähnlichen Effekt in Zusammenhang mit Kunststoff deckten Soto und Sonnenschein 1992 auf. Brustkrebszellen ihrer Kulturen vermehrten sich gelegentlich schneller als erwartet. Wie Analysen ergaben, lag das an Nonylphenol, das unter anderem für Kunststoffweichmacher verwendet wird. Wie im Falle von Bisphenol A war es aus den im Labor genutzten Kunststofferzeugnissen ausgetreten und hatte – Östrogen imitierend – Zellwachstum induziert. Verwandte Substanzen lassen sich in Polystyrol-Behältern, Venen-Kathedern sowie in einigen Detergentien und Haushaltsreinigern nachweisen. Auswirkungen auf den menschlichen Organismus sind noch nicht ermittelt.
Befunde am Menschen
Auch Studien an Menschen, bei denen man hauptsächlich chlorierte organische Pestizide und PCB untersucht hat, bringen Xeno-Östrogene mit Brustkrebs in Verbindung. In vielen der sehr frühen Untersuchungen ließ sich kein Zusammenhang finden; allerdings umfaßten sie jeweils nur eine geringe Anzahl von Personen, und oft waren die Kontrollgruppen in Merkmalen wie etwa dem Alter und den übrigen Risikofaktoren nicht vergleichbar. Mehreren neueren Befunden zufolge dürfte aber die Entwarnung aufgrund der früheren Ergebnisse voreilig gewesen sein.
Bei einer der jüngeren Untersuchungen konnten Mary S. Wolff vom Mount Sinai Medical Center in New York und ihre Kollegen an der Universität der Stadt auf langfristig aufbewahrte Blutproben von 14000 Frauen zurückgreifen. Bei 58 dieser Frauen war später Brustkrebs diagnostiziert worden; zum Vergleich wählten die Forscher aus demselben Grundstock Blutproben von 171 nicht daran erkrankten Frauen ähnlichen Alters mit gleichen Risikofaktoren. Wie sich zeigte, lag der Serumgehalt an DDE bei den Proben der späteren Krebspatientinnen höher. Für Frauen mit besonders hohem Gehalt ergab sich ein vierfach größeres Erkrankungsrisiko als für jene mit besonders niedrigen Werten.
In einer weiteren sorgsam kontrollierten Studie prüfte ein kanadisches Forscherteam unter Leitung von Eric Dewailly von der Universität Laval (Provinz Quebec) das zu Biopsiezwecken entnommene Brustgewebe von 41 Frauen. Bei Patientinnen mit einem östrogen-abhängigen bösartigen Brusttumor fanden sich höhere Konzentrationen an DDE und PCB.
Allerdings hat eine neuere große Studie zu beiden Stoffen den ausführenden Forschern zufolge keine schlüssigen Ergebnisse erbracht. Nancy K. Krieger und ihre Mitarbeiter am Forschungsinstitut der Kaiser-Stiftung in Oakland (Kalifornien) verglichen 1994 die Konzentrationen in aufbewahrten Blutproben von 150 Frauen mit und von ebenso vielen ohne Brustkrebs. Es handelte sich um Angehörige dreier ethnischer Gruppen (Afro-Amerikanerinnen, Weiße und Asio-Amerikanerinnen). Das Team betrachtete sie jedoch nicht jeweils gesondert und konnte dann keinen Unterschied zwischen den Brustkrebspatientinnen und den nicht erkrankten Frauen feststellen.
Auf den ersten Blick weckt dieses Ergebnis Zweifel an unserer Hypothese. Wie David Savitz von der Universität von Nord-Carolina in Chapel Hill jedoch darlegt, verdeckt dieses Zusammmenwerfen von Daten einen durchaus beunruhigenden Trend. Als er die veröffentlichten Daten einer jeden Gruppe getrennt betrachtete, zeigte sich, daß Weiße und Afro-Amerikanerinnen mit den höchsten Serumspiegeln an DDE und PCB ein zwei- bis dreifach größeres Erkrankungsrisiko für Brustkrebs aufwiesen als jene mit niedrigeren Spiegeln. Bei den Amerikanerinnen asiatischer Herkunft hingegen zeigte sich kein solch deutlicher Unterschied. Dies steht im Einklang mit Studien, wonach asiatische Frauen in ihren Heimatländern fünfmal seltener an Brustkrebs erkranken als weiße und schwarze Amerikanerinnen sowie Europäerinnen.
Woran könnte ihre geringere Erkrankungsrate liegen? Nun, selbst wenn asiatische Frauen in den USA leben, essen viele reichlich Soja-Produkte, Weißkohl, Broccoli und andere Gemüsesorten. Zumindest einer Studie zufolge weisen sie gewöhnlich auch höhere Konzentrationen an 2-Hydroxyöstron und niedrigere an 16-alpha-Hydroxyöstron auf als ihre nicht-asiatischen Geschlechtsgenossinnen. Man ist versucht zu spekulieren, daß der Schutz teilweise auf ihrer Ernährungsweise beruht, welche die Bildung von gutem auf Kosten von schlechtem Hydroxyöstron fördert, wenn auch genetische Unterschiede und andere Umweltfaktoren als die Ernährung ebenfalls entscheidend sein könnten.
Die bisherigen Forschungen unterstreichen sicherlich die Notwendigkeit weiterer experimenteller und klinischer Untersuchungen. Einige bedeutende klinische Studien sind bereits geplant. In den USA gibt es inzwischen einen nationalen Aktionsplan für die Erforschung potentiell vermeidbarer Ursachen von Brustkrebs, in den auch Xeno-Östrogene einbezogen sind. Entwickelt hat ihn die Gesundheitsministerin Donna Shalala; dazu sollen Umwelteinflüsse auf Brustkrebserkrankungen auf Long Island im Bundesstaat New York intensiv untersucht werden. Bei einem europäischen Projekt, das Beziehungen zwischen Ernährung und Brustkrebs klären soll, wird zugleich geprüft, ob pflanzliche Xeno-Östrogene zur Prävention beitragen.
Aber wäre es vorerst mit mehr epidemiologischer Forschung tatsächlich getan? Sollten Regierung und Industrie warten, bis sich ein Zusammenhang zwischen Xeno-Östrogenen und Brustkrebs wissenschaftlich noch besser belegen läßt? Wir halten das nicht für verantwortlich. Wenn große Bevölkerungsgruppen einem zwar ungewissen, aber möglicherweise weitverbreiteten Risiko ausgesetzt sind, wird das Abwarten von immer neuen Belegen für eine Gefährdung zum Spiel mit der menschlichen Gesundheit. Das Zögern etwa, Rauchen als gesundheitsgefährdend zu erklären, hat sicherlich mit dazu beigetragen, daß Millionen von Menschen an Lungenkrebs sowie anderen Schädigungen der Atmungsorgane und an Herzerkrankungen gestorben sind, was vermeidbar gewesen wäre.
Die Vernunft gebietet, gleich Maßnahmen einzuleiten. Erstens sollte die potentielle Östrogenität von Materialien und Verbindungen geprüft werden, die in unserer Gesellschaft viel verwendet werden wie Treib- und Brennstoffe, Medikamente und Kunststoffe, sowie von jedem dafür vorgeschlagenen Ersatzstoff. Zweitens sollten die möglichen Auswirkungen östrogener Substanzen auf den menschlichen Organismus eingehend untersucht werden, mit besonderem Augenmerk auf die Folgen von Langzeitexpositionen und Wechselwirkungen mit anderen weitverbreiteten Chemikalien. Drittens sollte vorbeugend der Gebrauch von nachweislich nicht unerläßlichen Xeno-Östrogenen eingeschränkt werden.
Krebs ist freilich das Resultat zahlreicher ineinandergreifender Faktoren, die individuell variieren können. Wir sind uns bewußt, daß mit Xeno-Östrogenen nicht alle Fälle von Brustkrebs zu erklären sind. Aber im Gegensatz zu zahlreichen gesicherten Risikofaktoren (wie eine frühe Menarche oder eine späte Menopause) sind sie vermeidbar. Wenn sich durch eine geringere Exposition die Zahl der Neuerkrankungen um beispielsweise 20 Prozent senken ließe (nochmals zum Vergleich: der Anteil erblich bedingter Fälle liegt bei rund 5 Prozent), dann würde jedes Jahr zumindest 36000 amerikanischen Frauen und ihren Angehörigen viel Leid erspart bleiben – und der Allgemeinheit die Bürde hoher Behandlungs- und Pflegekosten. Solche Überlegungen sind zu wichtig, als daß man sie ignorieren dürfte.
Literaturhinweise
- Medical Hypothesis: Xenoestrogens as Preventable Causes of Breast Cancer. Von Devra Lee Davis, H. Leon Bradlow, Mary Wolff, Tracey Woodruff, David G. Hoel und Hoda Anton-Culver in: Environmental Health Perspectives, Band 101, Heft 5, Seiten 372 bis 377, Oktober 1993.
– Environmentally Induced Alterations in Development: A Focus on Wildlife. Herausgegeben von R. Rolland, M. Gilbertson und T. Colborn. Sonderausgabe von Environmental Health Perspectives Supplements, Band 103, Ergänzungsband 4, Mai 1995.
– Environmental Oestrogens: Consequences for Human Health and Wildlife. Evaluation A1. MRC-Institut für Umwelt und Gesundheit, Universität Leicester (England)1995.
– Reducing Breast Cancer Risk in Women. Herausgegeben von Basil A. Stoll. Kluwer Academic Publishers, 1995.
– Estrogens in the Environment III. Symposium-Beiträge in: Environmental Health Perspectives Supplements. Herausgegeben von John McLachlan und Kenneth Korach (im Druck).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1995, Seite 38
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