Viel Staub um Jupiter
Bei ihrem Swing-by-Manöver am Jupiter entdeckte die Sonnensonde Ulysses periodische Staubströme, die von dem Riesenplaneten stammen; außerdem konnten erstmals Staubkörner von außerhalb des Planetensystems direkt nachgewiesen werden.
Einen Monat nachdem die europäische Sonnensonde Ulysses im Februar letzten Jahres am Jupiter vorbeigeflogen war, um für ihren Weg über die Sonnenpole Schwung zu holen, geschah Unerwartetes: Der Detektor zur Untersuchung kosmischen Staubes wurde etwa einen Tag lang von einem Strom kleinster Teilchen regelrecht bombardiert.
Dies war freilich nur der stärkste von insgesamt sechs gebündelten Staubströmen, welche die Sonde beim Vorbeiflug an dem Riesenplaneten in regelmäßigen Abständen von rund 28 Tagen trafen und deren Passage jeweils mehrere Stunden bis zwei Tage dauerte – ein zuvor nicht beobachtetes Phänomen. Außerdem entdeckte Ulysses beim Schwenk aus der Ebene der Planetenbahnen (Ekliptik) auch Staubteilchen, die wegen ihrer zu den Planeten gegenläufigen Bewegungsrichtung und ihrer hohen Geschwindigkeiten sehr wahrscheinlich aus dem interstellaren Raum stammen ("Nature", 1. April 1993, Seite 428).
Ulysses ist die erste Raumsonde, die unser Planetensystem in allen drei Dimensionen untersuchen wird (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1990, Seite 20). Nachdem sie durch den engen Vorbeiflug an Jupiter aus der Ekliptik hinauskatapultiert worden ist, soll sie die Heliosphäre über den Polen der Sonne eingehend untersuchen. Der von der Sonde mitgeführte Detektor zur Untersuchung kosmischen Staubes wurde unter Leitung von Eberhard Grün in der Abteilung Kosmophysik des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg gebaut und ist der weitaus empfindlichste seiner Art, der bisher im Weltraum war.
Kosmischer Staub besteht aus extrem kleinen Teilchen, die je nach ihrer Größe vom Gravitationssog der Sonne angezogen oder durch deren Strahlungsdruck nach außen getrieben werden. Von besonderem Interesse sind die Bahnverteilung des Staubes und die genaue Herkunft seiner Komponenten. Einige Teilchen stammen eindeutig von Kometen, andere von Kollisionen zwischen den Mitgliedern des Asteroidengürtels. Wieder andere schließlich könnten aus den Weiten der Galaxis jenseits des Sonnensystems zu uns kommen.
Partikelströme am Jupiter
Die Reise von Ulysses aus dem Bereich der inneren Planeten hinaus zur Jupiterbahn verlief zunächst recht ereignislos. Nur alle drei Tage registrierte der Staubdetektor den Einschlag eines Teilchens. Diese Kollisionen wurden zwar allmählich etwas häufiger, doch erst bei Annäherung an Jupiter stieg die Rate deutlich an. Mit dem Einschlag von mehr als 120 Teilchen innerhalb eines Tages bildete der Staubsturm vom 10. März 1992 dann einen spektakulären Höhepunkt.
Eine vorläufige Auswertung dieses und der fünf anderen Schauer stützt die naheliegende Annahme, daß sie am oder in der Nähe des Jupiter entsprungen sind. Klar ist, daß eng gebündelte Teilchenströme von einer nahen Quelle stammen müssen, da sie sonst bereits auseinandergelaufen wären. Für die Herkunft vom Jupiter spricht auch, daß von den sechs Strömen derjenige der stärkste war, bei dem die Sonde den geringsten Abstand von dem Planeten hatte; außerdem schienen alle in direkter Sichtlinie von Jupiter auszugehen. Schließlich zeugt die beobachtete Periodizität von einer einzelnen Quelle, deren Ausstoß rhythmisch moduliert wird, und schließt nicht zusammenhängende Ursachen wie zufällige Kometenvorbeiflüge aus. Mögliche Quelle wären auch das bei Jupiter vorhandene Ringsystem und der aktive Vulkanismus auf Io, dem innersten der Galileischen Monde.
Mit mehr als 30 Kilometern pro Sekunde bewegten sich die Staubstromteilchen mit recht hohem und ziemlich einheitlichem Tempo. Eine Beschleunigung auf so hohe Geschwindigkeiten ist nur elektromagnetisch möglich. Tatsächlich könnten sich die Partikel durch Wechselwirkung mit Ionen in der Magnetosphäre Jupiters elektrisch aufgeladen haben und dann vom Magnetfeld des Planeten und den geladenen Teilchen des Sonnenwindes angetrieben worden sein. Das interplanetare Magnetfeld am Jupiter ist jedenfalls stark genug, die Flugbahnen der Staubteilchen in der beobachteten Weise zu bündeln.
Nach Berechnungen, die Grün, Gregor E. Morfill vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching und M. Horanyi von der Universität von Colorado in Boulder inzwischen vorgenommen haben, sollte der Staub von Vulkanausbrüchen auf Io stammen. Die Masse- und Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen wie auch die Periodizität der Staubströme wären jedenfalls mit dieser Herkunft vereinbar ("Nature", 13. Mai 1993, Seite 144).
Staubkörner aus den Tiefen der Galaxis
Alle Planeten und Asteroiden sowie die meisten kurzperiodischen Kometen laufen im gleichen (prograden) Sinn um die Sonne; nur einige längerperiodische Kometen bewegen sich auf gegenläufigen (retrograden) Bahnen. Auch der interplanetare Staub sollte der mehrheitlichen Drehrichtung folgen. Deshalb war es überraschend, daß der Staubdetektor, der fast senkrecht zu der erdwärts weisenden Rotationsachse des Raumfahrzeugs an dessen Außenseite angebracht ist und sich mit diesem dreht, nach dem Passieren von Jupiter vorwiegend dann Einschläge registrierte, wenn er sich gerade auf der Leeseite des interstellaren Staubwindes befand. Alle bei dieser Orientierung auftreffenden Teilchen mußten retrograde Bahnen haben.
Kometen, die als Quelle dieser Staubteilchen in Frage gekommen wären, ließen sich nicht finden. Außerdem hätte sich die Staubfahne eines Kometen bereits im inneren Planetensystem bemerkbar machen sollen, wo sie am dichtesten ist. Die einzig vernünftig scheinende Erklärung für die ungewöhnlichen Bahnen ist derzeit, daß die Teilchen aus dem interstellaren Raum stammen.
Daß man sie überhaupt an ihrer Flugrichtung von interplanetaren Staubpartikeln unterscheiden kann, ist dabei ein glücklicher Nebeneffekt der mehr als vierjährigen Startverzögerung von Ulysses. Wäre die Sonde planmäßig mit der vor sieben Jahren verunglückten Raumfähre Challenger ausgesetzt worden, hätte sie Jupiter an einer Stelle des Planetensystems passiert, an der die Flugrichtung der interstellaren Staubkörner nicht sehr von der des interplanetaren Staubs abweicht.
Die mittlere Geschwindigkeit der retrograden Partikel von 26 Kilometern pro Sekunde stimmt gut mit der des interstellaren Gases überein. Dagegen sind die Massen der vom Detektor erfaßten Teilchen durchweg größer, als aus der Abschwächung des Sternenlichtes für die typische interstellare Staubkomponente abgeschätzt wurde (große Teilchen sind wegen ihres geringen Streuvermögens allerdings schlecht mit Absorptionsmessungen nachweisbar). Dies legt nahe, daß lediglich die massereichsten Teilchen von außerhalb des Planetensystems gegen Sonnenwind und interplanetares Magnetfeld bis zum Jupiter vorzudringen vermögen. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund dafür, daß im Bereich der Erdbahn und vermutlich im gesamten inneren Planetensystem überhaupt keine derartigen Teilchen zu finden sind.
Interstellarer Staub ist gewissermaßen eine übriggebliebene unverfälschte Probe des solaren Urnebels, aus dem sich unser Sonnensystem gebildet hat. Sein direkter Nachweis ist daher von größtem wissenschaftlichen Interesse – eröffnet er doch die prinzipielle Möglichkeit, diese urtümliche Materie genauer zu untersuchen und etwa aus ihrer chemischen Zusammensetzung wichtige Aufschlüsse über die Bedingungen bei der Entstehung des Planetensystems zu gewinnen. Weiterentwickelte Staubdetektoren auf den Planetenmissionen Galileo zum Jupiter und Cassini zum Saturn dürften in nicht allzu ferner Zukunft bereits ergänzende Informationen liefern.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1993, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben