Volltreffer im Bowling
Wenn man mit der Löcherkugel alle Zehne auf einmal umwerfen will, kommt es entscheidend darauf an, wie die Bahn geölt ist.
Die amerikanische Version des Kegelspiels ist nicht ohne Tücken. Jeder Anfänger im Bowling kennt den unangenehm auffälligen Unterschied zwischen dem Irrweg der eigenen Kugel und dem perfekten Wurf des Fortgeschrittenen auf der Nachbarbahn.
Traum jedes Spielers ist der "Strike", ein Wurf, der alle zehn Pins (so heißen im Bowling die Kegel) zum Fallen bringt. Es gibt unzählige Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, darunter einige sehr ausgefallene, die allerdings in hohem Maße Glückssache sind. Der Spieler, den es nach hohen Punktzahlen gelüstet, wird weniger diese wilden Würfe anstreben, sondern seine Technik so zu perfektionieren versuchen, dass das Ergebnis möglichst gut steuerbar ist: Besser immer wieder auf dieselbe langweilige Weise alle Pins umwerfen, als sie jedes Mal aufs Neue fantasievoll stehen lassen. Und selbst das ist kaum erreichbar: Professionelle Spieler streben nur danach, jedes Mal einen "Spare", das heißt Abräumen in zwei Würfen, zu erzielen. Für sie ist ein Strike ein – häufiger – Glücksfall, für den Amateur ein Geschenk des Himmels.
Ein Strike ist ein Kompromiss zwischen schwer zu vereinenden Zielen. Die zehn Pins haben einen maximalen Durchmesser von 12,1 Zentimetern. Neun von ihnen stehen auf den Seiten eines gleichseitigen Dreiecks, der zehnte genau in der Mitte. Der Abstand von einem zum nächsten beträgt stets 30,48 Zentimeter. Wenn der Spieler den Ball – so pflegt man die gelöcherte Kugel zu nennen –, der 21,6 Zentimeter Durchmesser hat, perfekt zentral wirft, sprich auf der Verbindungslinie der Pins 1 und 5, dann wird er die randständigen Kegel 4, 6, 7 und 10 unter keinen Umständen treffen (Bild unten). Sollte der Ball besser unter einem Winkel von 30 Grad auf den ersten Pin treffen, damit er genau eine Seite des Dreiecks entlang läuft? Keineswegs! Diese Bahn wäre optimal, wenn es keine anderen Kegel gäbe. Da der Ball seine Opfer zentral trifft, wird er aus seiner Bahn nicht abgelenkt und wirft nur die Pins 1, 3, 6 und 10. Es kommt also darauf an, die Kegel zwar zu treffen, aber eben nicht zentral, sodass der Ball ein wenig im Zickzack läuft. Auf diese Weise werden – zum Beispiel – die Pins 1, 3 und 5 direkt umgeworfen und reißen, schräg fallend, die übrigen mit. Damit der Ball überhaupt so weit abgelenkt wird, muss er zu diesem Zeitpunkt hinreichend langsam sein. Es gilt also, eine geschickte Kombination von Auftreffpunkt, Auftreffwinkel und Geschwindigkeit zu erzielen.
Geometrie des Abräumens: Wenn ein bewegtes rotationssymmetrisches Objekt ein ruhendes, eben-falls rotationssymmetrisches trifft, dann setzt sich letzteres in Richtung der Verbindungslinie beider Mittelpunkte in Bewegung, unabhängig von der Bewegungsrichtung des ersten. Damit Pin 1 beim Fallen Pin 2 und in dessen Gefolge auch 4 und 7 mitreißt, muss der Ball den ersten Pin in einem Winkelintervall von 17 Grad erwischen. Für die Wurffolge 3, 6, 10 beträgt der günstige Winkelbereich immerhin 25 Grad (b). Schließlich muss der Ball Pin 5 auf 44 Grad genau treffen, damit dieser Pin 8 umwirft. Bei einem perfekten Strike (c) werden nur vier Pins direkt geworfen, nämlich 1, 3, 5 und 9; alle anderen fallen ihren Leidensgenossen zum Opfer.
Theoretische Überlegungen dieser Art, die durch die Praxis bestätigt wurden, liefern eine Anleitung für einen idealen Strike. Sie bezieht sich auf eine Bahn aus 39 parallelen Leisten, die wir von rechts nach links nummerieren (Leiste 20 ist genau in der Bahnmitte), einen Ball von 7,5 Kilogramm und einen rechtshändigen Spieler.
Zum Zeitpunkt des Auftreffens auf Pin 1 (den "Headpin") muss
- der Mittelpunkt des Balls auf der Grenzlinie zwischen der sechzehnten und der siebzehnten Leiste liegen,
- sein Geschwindigkeitsvektor mit der Längsachse der Bahn einen Winkel zwischen 6 und 8,5 Grad bilden und
- seine Geschwindigkeit mindestens 6 Meter pro Sekunde betragen.
Aber wie soll man diese mindestens 6 Grad Einfallswinkel erreichen? Wenn der Spieler die Kugel am äußersten rechten Rand der Bahn startet und in gerader Linie auf die siebzehnte Leiste zielt, erreicht er nicht mehr als 1,5 Grad. Immerhin steht der Headpin volle 60,5 Fuß (18,44 Meter) hinter der Foullinie, die der Spieler nicht überschreiten darf, und die Bahn ist nur 41,5 Zoll (1,05 Meter) breit. (Zur Vergleichbarkeit mit der Bowling-Literatur geben wir hier ausnahmsweise die Längen in nicht-metrischen Einheiten an.) Es hilft also nichts: Man muss den Ball auf einen gekrümmten Weg schicken.
Der elegante Dreh: Wer einen guten Spieler beo-bachtet, bemerkt, dass dieser die Kugel auf die Rinne neben der eigentlichen Bahn zu wirft – ein Horror für den Anfänger. Im letzten Drittel der Bahn jedoch schlägt der Ball einen Haken – er "hookt", sagen die deutschen Bowling-Profis – und trifft den ersten Pin genau im richtigen Winkel. Diese Krümmung kommt durch die Rotation des Balls zu Stande.
Die ersten zwei Drittel der Bowlingbahn sind geölt. Auf diesem Teil des Weges bewegt sich die Kugel im Wesentlichen geradlinig. Sie rotiert zwar, doch wegen der geringen Reibung mit ihrer Unterlage wirkt sich das nicht auf ihre Vorwärtsbewegung aus, ebenso wie die Räder eines Autos, die auf Glatteis durchdrehen, dessen Bewegungszustand nicht beeinflussen. Sowie die Reibung auf dem nicht geölten Teil ihre Wirkung entfaltet, wird die Kugel durch Rotation um eine Achse, die gegen die Querrichtung zur Kegelbahn geneigt ist, abgelenkt, ebenso wie beim Auto das Einschlagen der Räder dessen Bewegungsrichtung verändert.
Rotationsachse und -geschwindigkeit werden durch den Abwurf bestimmt. Je nachdem, wie der Spieler den Ball aus der Hand entlässt, ist seine Rotationsachse mehr oder weniger geneigt, gleitet er mehr oder weniger weit über den Ölfilm und wird am Ende mehr oder weniger stark abgelenkt. Der Ball selbst ist übrigens nicht homogen: Die Ungleichverteilung der Masse, die durch das Ausbohren der Fingerlöcher entsteht, wird durch einen exzentrischen, schwereren Kern kompensiert – aber nicht ganz. Je nach der verbleibenden Unwucht können verschiedene Bälle sich auf der Bahn völlig unterschiedlich verhalten.
Um das Zielen zu erleichtern, ist in 15 Fuß Abstand von der Foullinie jede fünfte Leiste mit einem Dreieck versehen. Erfahrene Spieler orientieren sich mehr an diesen Visierpfeilen als an den weit entfernten Kegeln.
Letzte Ölung: Die Ölschicht auf der Bahn schützt das Material gegen den Aufprall der abgeworfenen Kugel und lässt sie hinreichend lange gleiten, ohne dass sie vorzeitig Energie verliert. In der Bahnmitte ist die Dicke der Ölschicht konstant bis etwa 26 Fuß hinter der Foullinie und nimmt bis 40 Fuß (zwei Drittel der Bahnlänge) gleichmäßig ab. Zu den beiden Rändern der Bahn hin wird die Ölschicht ebenfalls dünner.
Dieses Profil kann der Spieler nutzen, um den Weg des Balles feinzusteuern. Offensichtlich gleitet er umso besser, je dicker die Ölschicht ist. Ein randnah gespielter Ball gerät früh auf relativ trockenes Terrain und legt sich entsprechend weit vor dem Ziel bereits in die Kurve. Dagegen hookt ein mittig geworfener Ball erst später.
Während des Gleitens auf dickem Öl liegt die Rotationsachse des Balles im Allgemeinen nicht genau quer zur Fortbewegungsrichtung, wie das beim Abrollen der Fall wäre, und die "Bauchbinde" aus Öl, die er sich unterwegs zulegt, steht schräg zur Laufrichtung. Wegen dieser Schräglage ist die Reibungskraft zwischen Ball und Bahn, die sich auf dünnem Öl bemerkbar macht, in zwei Komponenten zu zerlegen: Die eine, parallel zur Bauchbinde, beschleunigt die Rotation des Balles um seine Achse. Die andere, senkrecht dazu, lenkt ihn aus; durch den Kreiseleffekt dreht sich die Rotationsachse um die Vertikale. Damit schwenkt die Bewegungsrichtung allmählich auf die Richtung der Bauchbinde ein. Schließlich rollt der Ball, ohne zu gleiten, in seiner neuen Richtung geradeaus.
Am Ziel angekommen, muss die Kugel noch genügend Bewegungsenergie haben, um den Pins einen guten Teil davon mitzugeben; aber nicht zu viel! Sie muss ja vom Aufprall auf den ersten Pin selbst so beeindruckt sein, dass sie in Richtung des nächsten abgelenkt wird.
Für den Spieler besteht die Kunst darin, bei gegebener Bahn und gegebener Ölung – die er zuvor inspizieren darf – den richtigen Ball und die richtigen Abwurfparameter zu wählen. Wenn Sie bis hierher gelesen haben, wissen Sie über die Theorie schon mehr als die überwiegende Mehrheit der Spieler. Es fehlt "nur noch" Übung, um die Kraft und vor allem das notwendige Fingerspitzengefühl zu erwerben.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2002, Seite 119
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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