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Vom Bose-Einstein-Kondensat zum Atomlaser

Ein erst kürzlich nachgewiesener makroskopischer Quantenzustand, den bestimmte Gase bei extrem tiefen Temperaturen einnehmen können, läßt sich auf seine ungewöhnlichen Eigenschaften hin untersuchen.

Vor einem Jahr vermochten Eric A. Cornell und seine Mitarbeiter von den Boulder-Laboratorien des National Institute of Standards and Technology (NIST) der USA und von der Universität von Colorado in Boulder ein Gas aus rund tausend Rubidium-Atomen so stark abzukühlen, daß es ein zusammenhängendes Quantenobjekt bildete und sich wie ein einziges Teilchen verhielt (Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 32). Damit war erstmals ein bereits 1924 von Satyendra Nath Bose (1894 bis 1974) und Albert Einstein (1879 bis 1955) vorhergesagter exotischer Materiezustand realisiert worden, bei dem ein makroskopisches System unmittelbar den Gesetzen der Quantenmechanik unterliegt. Nur wenige Monate später konn-ten auch Wolfgang Ketterle und seine Mitarbeiter am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugen, diesmal aus ultrakalten Natrium-Atomen.

Beide Gruppen hielten die Teilchen in einem Magnetfeld gefangen, das durch ein Paar aus Stromspulen erzeugt wurde. Allerdings war ausgerechnet im Zentrum dieser Falle, wo sich die kältesten Atome sammelten, die Feldstärke gleich null. Dieses Loch stopften die NIST-Wissenschaftler, indem sie das Feld mit hoher Frequenz rotieren ließen; dadurch bewegte sich die Nullstelle so schnell, daß die relativ langsamen Rubidium-Atome nicht hindurchschlüpfen konnten. Ketterle hingegen dichtete das Leck ab, indem er einen intensiven Laserstrahl, der auf die Atome eine abstoßende Kraft ausübte, auf das Zentrum der Falle fokussierte.

Allerdings waren beides Notbehelfe, welche die Möglichkeiten der Experimentatoren so einschränkten, daß sich nur relativ wenige Atome für einige Sekunden zur Kondensation bringen ließen. Deshalb entwickelten beide Arbeitsgruppen inzwischen bessere Fallen, die ein längliches Potentialminimum ohne magnetischen Nullpunkt erzeugen. Das MIT-Team ordnete die Spulen dazu nach Art eines doppelten Kleeblatts an, während in der neuen Spulenkonfiguration von Cornell und seinem Kollegen Carl Wieman der Verlauf der stromführenden Drähte an den Saum eines Baseballs erinnert.

Mit den verbesserten Fallen vermochten die beiden Gruppen unabhängig voneinander die Zahl der kondensierten Atome inzwischen auf fünf Millionen zu erhöhen. Wie Ketterle auf der Europäischen Konferenz für Quantenelektronik (ECQE) in Hamburg Mitte September berichtete, hatten die am MIT erzeugten zigarrenförmigen Kondensate die für quantenmechanische Objekte gigantische Länge von einem drittel Millimeter und existierten bis zu 20 Sekunden lang. Beim Ausschalten des Magnetfeldes dehnte sich die Teilchenwolke in der Richtung am schnellsten aus, in der sie zuvor am stärksten komprimiert war. Dieser Vorgang ließ sich verfolgen, indem man gleichsam den Schatten der Wolke bei Beleuchtung mit einem schwachen Laserstrahl beobachtete (Bild auf Seite 18).

Während das Kondensat dabei erwärmt und aufgelöst wurde, konnten die MIT-Forscher den ungewöhnlichen Zustand inzwischen auch zerstörungsfrei abbilden. Sie benutzten dazu Laserlicht einer Frequenz, bei der die Atomwolke transparent ist, so daß sie wie ein glasklarer Flüssigkeitstropfen die Strahlen nicht absorbiert, sondern nur beugt. Dadurch werden sich die physikalischen Besonderheiten des ausgedehnten Quantenobjekts – beispielsweise kollektive angeregte Zustände, supraflüssiges Verhalten und die Kondensationsdynamik – künftig genauer untersuchen und mit den theoretischen Vorhersagen vergleichen lassen.

Nachdem sich nun fast routinemäßig ausgedehnte Bose-Einstein-Kondensate erzeugen und für längere Zeit aufrechterhalten lassen, ist auch die Zukunftsvision eines daraus aufgebauten Lasers für Atome ein Stück nähergerückt. Sie beruht darauf, daß die kondensierten Atome ebenso wie die Lichtquanten (Photonen) zur Klasse der sogenannten Bosonen gehören, das heißt der Teilchen mit ganzzahligem Spin. Deshalb läßt sich der physikalische Formalismus, der den Laser für Licht beschreibt, im Prinzip auf einen für Atome übertragen, zumal Atome gemäß dem Welle-Teilchen-Dualismus auch als Wellen beschreibbar sind.

Wesentliches Merkmal eines Laserstrahls ist seine Kohärenz: Die Berge und Täler der einzelnen Lichtwellen fallen zusammen. Diese Eigenschaft ermöglicht das Auftreten von Interferenzen bei der Überlagerung von Laserstrahlen gleicher Frequenz. Ähnlich müßten auch die Materiewellen in einem Atomstrahl im Gleichtakt schwingen. Noch ist allerdings ungeklärt, ob die Atome im Bose-Einstein-Kondensat diese Kohärenzbedingung tatsächlich erfüllen.

Um das zu testen, teilte Ketterles Team die Kleeblattfalle mit einem Barrierelaser in zwei Hälften, so daß beim Abkühlen der Atome zwei wenige Mikrometer voneinander getrennte Kondensate entstanden. Nach dem Abschalten von Magnetfeldern und Laserstrahl begannen sich die beiden Teilchenwolken auszudehnen und gegenseitig zu durchdringen. Wären die Schwingungen der Materiewellen synchronisiert, müßte sich wie bei der Interferenz von Laserstrahlen ein periodisches Streifenmuster ergeben. Doch war der Ausgang des Experiments nicht eindeutig, weil die Auflösung des Beobachtungsverfahrens noch nicht ausreichte, das vorhergesagte Interferenzmuster unzweideutig zu identifizieren.

Die Hoffnung, daß es eines Tages eine sinnvolle Anwendung für einen Atomlaser geben wird, ist sicherlich mehr als bloßer Zweckoptimismus. Vor allem der Halbleiterelektronik mit ihrem Trend zur immer weiteren Miniaturisierung käme er äußerst gelegen – stößt man doch bei den gängigen lithographischen Techniken allmählich an die von der Lichtwellenlänge gesetzten Grenzen. Ein Atomlaser mit seiner sehr viel geringeren Wellenlänge würde die Abmessungen der kleinsten noch erzeugbaren Strukturen auf ein Tausendstel des heutigen Wertes reduzieren. Aber auch abseits der Mikroelektronik sollte er phantastische neue Möglichkeiten der Manipulation und hochpräzisen Vermessung in bisher unzugänglichen Größenbereichen eröffnen.

Mit dezidierten Prognosen sind die Wissenschaftler freilich noch zurückhaltend. Einstweilen verweisen sie nur auf das Beispiel des optischen Lasers. Als Anfang der sechziger Jahre die ersten Labortypen getestet wurden, konnte auch niemand ahnen, daß dieses Gerät einmal in millionenfacher Verbreitung in Supermärkten, Diskotheken und Wohnzimmern (als Bestandteil von CD-Spielern) zu finden wäre.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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