Wissenschaftsgeschichte: Zwischen den Systemen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mussten sich zahlreiche deutsche Forscher, die unter der Nazidiktatur gearbeitet hatten, den neuen Systemen anpassen. Einem gelang das besonders erfolgreich: dem Physikochemiker Peter Adolf Thiessen (1899–1990). Er war von 1937 bis 1945 Leiter der Fachsparte Chemie im Reichsforschungsrat des »Dritten Reichs« sowie von 1957 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1965 Vorsitzender des Forschungsrats der DDR. Die Kombination so einflussreicher Positionen in ein und demselben Lebenslauf erscheint paradox, basierte doch das historische Selbstverständnis der DDR auf entschiedener Gegnerschaft zum NS-Regime. Wie war Thiessens Karriere möglich?
Wissenschaftler benötigen dazu eine »Währung«, die bei den Exponenten der jeweiligen Systeme etwas gilt. Die solideste sind Fachkompetenz und Präsenz an der Forschungsfront, verbunden mit Organisationstalent und politischer Anpassungsfähigkeit. Diese Ausstattung verliert bei politischen Wechseln nicht ihren Wert – zumal in einer Epoche, in der Wirtschaft, Rüstung und damit Macht zunehmend von der Wissenschaft abhängen.
Das konnte Thiessen bieten. Er blieb zeitlebens ein produktiver Forscher. Das ergab sich bei ihm nicht einfach unter dem Zwang der Verhältnisse, sondern war wohl eine Grundhaltung. Selbst wenn er wissenschaftspolitische Spitzenpositionen einnahm und sich ganz auf die Administration hätte zurückziehen können, legte er Wert darauf, gleichzeitig auch Forschungseinheiten zu leiten und in diesen selbst tätig zu sein. Andere, deren einziger Karrieretreibstoff politische Bekenntnisse waren, standen mit leeren Händen da, sobald das System, dem sie gedient hatten, am Ende war …
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