Bioterrorismus: Vorbereitung ist die beste Verteidigung
Das Risiko von Anschlägen mit Biowaffen fordert das öffentliche Gesundheitswesen heraus.
Als Ärzte im Oktober 2001 bei Robert Stevens aus Florida eine Milzbrandinfektion diagnostizierten, vermuteten sie dahinter einen der seltenen natürlich auftretenden Fälle dieser Erkrankung. Nachdem allerdings auch ein Kollege von Stevens erkrankte, waren die gesamten USA alarmiert. Insgesamt fünf Menschen starben an Milzbrand (auch Anthrax genannt), und nur dank der raschen Einsicht, dass diese ersten Infektionen auf einer absichtlichen Freisetzung der Erreger beruhten, konnte Schlimmeres verhütet werden: Neuinfektionen wurden schneller diagnostiziert und behandelt, und die Behörden konnten Briefe mit Milzbranderregern, dem Bacillus anthracis, sicherstellen.
Lange Zeit hatten Regierungsvertreter das Thema Bioterrorismus als Angelegenheit für die Strafverfolgungsbehörden angesehen. Aber die Milzbrandfälle und auch die kurz zuvor in den USA durchgeführten Simulationen von Anschlägen mit Pocken- und Pesterregern haben deutlich gezeigt, dass Bioterrorismus in erster Linie das öffentliche Gesundheitswesen herausfordert. Trotz aller Experimente mit Sensoren, die kleinste Mengen freigesetzter Pathogene registrieren sollen: Auf absehbare Zeit werden wohl erkrankte Personen, die in die Notaufnahmen der Krankenhäuser kommen, den ersten Hinweis auf einen Terroranschlag mit Biowaffen liefern. Das Gesundheitswesen ist jedoch auf einen Massenandrang von Infizierten nicht vorbereitet – ganz zu schweigen von dem Ansturm all derer, die sich aus Sorge vor einer möglichen Infektion behandeln lassen wollen.
Unabhängig davon, ob eine Seuche durch Terroranschläge oder auf natürliche Art zum Ausbruch kommt: Die Art der Vorbereitung entscheidet darüber, ob sie rasch eingedämmt werden kann oder das Gesundheitswesen zusammenbrechen lässt. Besonders Ärzte, Krankenschwestern und alle, die sich um die ersten Patienten kümmern, müssen gewappnet sein; ebenso Laborangestellte, welche die Krankheitsursache ermitteln, und Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens, die für den Schutz der Bevölkerung zuständig sind. Die Eindämmung der Seuche hängt davon ab, ob dieser Personenkreis ungewöhnliche und potenziell gefährliche Vorkommnisse sofort als solche erkennt, und ob alle erforderlichen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Eine Voraussetzung hierfür sind vollständig ausgearbeitete Pläne, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten aller verfügbaren Kräfte im öffentlichen Gesundheitswesen festlegen.
Ein effektives Frühwarnsystem erfordert drei Elemente:
- klinische Erkennung,
- epidemiologische Untersuchungen,
- ausreichende Laborkapazität.
Eine Bedingung für die klinische Erkennung ist, dass Ärzte und anderes medizinisches Personal über die Erscheinungsbilder ungewöhnlicher Krankheiten informiert sind, dass sie im Falle von atypischen Symptomen die für eine sichere Diagnosestellung benötigten Tests veranlassen und dass sie die Befunde an die zuständigen Stellen weitermelden. Etwa die Hälfte der an Lungenanthrax Erkrankten entwickelt eine Meningitis. Diese war auch bei Robert Stevens diagnostiziert worden; und als Tests dann als deren Ursache eine Milzbrandinfektion ergaben, meldeten die Ärzte den Befund sofort den zuständigen Behörden.
In der Regel wird aber ein Arzt wohl kaum die Symptome eines Patienten sofort mit dem Ausbruch einer Seuche in Verbindung bringen. Effektiver wäre es, alle praktischen Ärzte in so genannter Syndrom-Überwachung zu schulen: das bedeutet, aktiv auf bestimmte Syndrome zu achten und sie zu melden, so etwa grippeähnliche Erkrankungen oder Ausschläge, wie sie häufig von potenziellen Biowaffen verursacht werden. Die Labortests werden in den meisten Fällen als Ursache eine natürliche Infektion feststellen. So sollte eine Syndrom-Überwachung für grippeähnliche Erkrankungen als Ursache natürlich in erster Linie die Grippe ermitteln. Das wäre an sich schon sinnvoll, da pandemische Stämme des Grippeerregers ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko darstellen. Andererseits beginnen aber auch manche durch Biowaffen ausgelöste Erkrankungen mit eben solchen grippeähnlichen Symptomen, vor allem wenn die Infektion über das Einatmen der Erreger erfolgt wie bei Lungenmilzbrand und Pest.
Auch subtilere Anzeichen könnten auf den Ausbruch einer Seuche hinweisen – etwa ein unvermittelter Anstieg von Arzneimittelkäufen in Apotheken, eine überdurchschnittliche Anzahl an Krankmeldungen sowie ein gehäuftes Auftreten spezifischer Symptome bei Patienten in Krankenhäusern.
Im Jahr 1993 haben meine Kollegen und ich das Programm ProMED (Program for Monitoring Emerging Diseases) gegründet. Mit dessen Hilfe soll die weltweite Überwachung von Infektionserkrankungen gefördert und speziell auf Anzeichen neuartiger Erkrankungen geachtet werden. Im Folgejahr kamen wir dem Ziel ein Stück näher, als Jack Woodall vom New Yorker Gesundheitsamt und ich die so genannte ProMED-Mail eingerichtet haben. Über dieses offene E-Mail-System können Ärzte weltweit klinische Befunde melden. Heute wird ProMED-Mail von der Internationalen Gesellschaft für Infektionserkrankungen verwaltet. Die erhaltenen E-Mails werden an alle 25000 Abonnenten, darunter auch Seuchenexperten, weitergeleitet, die Kommentare abgeben und weitere Schritte veranlassen können. Es gibt zwar kein formales Reaktionsschema, aber die Weltgesundheitsorganisation überwacht die ProMED-Mail, benachrichtigt die örtlichen Vertreter und empfiehlt weitere Schritte. Durch ein umfassenderes weltweites Überwachungssystem, ähnlich der globalen Wetterbeobachtung, könnten unsere Chancen, jeden Sturm am Horizont sofort zu erkennen und schnell zu reagieren, deutlich verbessert werden.
Als zweites Standbein des Frühwarnsystems sollten bereits beim ersten Fall einer ungewöhnlichen Erkrankung – wie zum Beispiel nach Inhalation von Milzbrand- oder Ebola-Erregern – epidemiologische Untersuchungen veranlasst werden. Leider ist zurzeit noch kein nationales Gesundheitssystem in ausreichendem Maße dafür ausgelegt.
Die dritte Komponente ist die Laborkapazität. Medizinischen Laboratorien kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, spezifische Krankheitserreger frühzeitig zu identifizieren und sie in den unterschiedlichsten Proben nachzuweisen. In den USA wurde seit 1999 als unterstützende Maßnahme das "Laboratory Response Network" für Bioterrorismus entwickelt. Dieses Labornetzwerk umfasst landesweite Laboratorien für klinische Mikrobiologie, die Grundlagendiagnostik betreiben und bestimmte Erreger anzüchten und identifizieren können. Proben, die ein einfach ausgestattetes Labor nicht abklären kann, werden dann an ein Labor der nächsthöheren Ausstattungsstufe weitergeleitet.
Seit den Ereignissen des 11. September 2001 und den anschließenden Milzbrandanschlägen hat die US-Regierung wiederholt eine höhere Aufmerksamkeit gegenüber Anschlägen mit Biowaffen angemahnt. Auf die Gründung eines neuen "Amtes für Bereitschaft im Gesundheitswesen" (Office of Public Health Preparedness) innerhalb der US-Gesundheitsbehörde folgte die zusätzliche Ausstattung mit Bundesmitteln in Höhe von 2,9 Milliarden US-Dollar. Das ist wohl die größte Einzelsumme, die jemals in die öffentliche Gesundheitsvorsorge der USA geflossen ist. Damit soll vor allem deren Infrastruktur verbessert werden. Auch der Vorrat an Medikamenten und Impfstoffen soll aufgestockt werden. Geplant ist, im Notfall die gesamte US-Bevölkerung gegen Pocken zu impfen. Ein Ausbruch dieser als ausgerottet geltenden Erkrankung ist zwar äußerst unwahrscheinlich, die Konsequenzen wären jedoch derart schwerwiegend, dass eine Prävention angebracht erscheint.
Sobald eine Erkrankung diagnostiziert ist, besteht der nächste Schritt darin, ihre Ausbreitung einzudämmen und Kontaktpersonen zu behandeln. Auch das hängt von der Qualität von Überwachung und Kommunikation ab. Wo treten die meisten klinischen Fälle auf? Wo werden welche und wie viele Antibiotika oder andere Medikamente benötigt? Wie können Spezialeinheiten verseuchte Regionen am besten dekontaminieren, und welche Regionen haben oberste Priorität? Welche Eigenschaften des Erregers können einen Hinweis auf die Urheber des Angriffs geben? Sind Quarantänemaßnahmen erforderlich, und wenn ja, welche? Ebenso muss der reibungslose Datenaustausch innerhalb der kommunalen, der Landes- und der staatlichen Gesundheitsämter sowie zwischen dem öffentlichen Gesundheitswesen und den Behörden der Strafverfolgung gewährleistet sein.
Die Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitswesens ist nicht nur ein essenzieller Bestandteil der Verteidigung – sie könnte sehr wohl die einzige Möglichkeit zur frühzeitigen Erkennung eines Anschlags mit Biowaffen sein. Eine Investition in Schutzmaßnahmen würde sich aber nicht nur im Fall X lohnen, der hoffentlich nie eintritt. Auch im Falle natürlicher Infektionserkrankungen würde sich ein entsprechend gewappnetes Gesundheitssystem bezahlt machen, denn aufgrund der zunehmenden globalen Vernetzung dürften Infektionserkrankungen künftig wohl noch zahlreicher ausbrechen und sich noch rascher ausbreiten. Eine tatkräftige öffentliche Vorbereitung kann deshalb auf jeden Fall Leben retten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2002, Seite 76
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